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Wirtschaft: Börsenflaute bedroht Versicherungen

Die Ertragskrise hat sich weiter verschärft / Finanzministerium überprüft Garantieverzinsung

Berlin (hej). Die anhaltende Börsenkrise bedroht nach Einschätzung von Branchenkennern die Existenz zahlreicher Versicherungsunternehmen in diesem Jahr. „Was wir im vergangenen Herbst erlebt haben, war erst die Ouvertüre“, sagte Manfred Poweleit, Chef des Branchendienstes mapReport, dem Tagesspiegel. Da sich die Aktienkurse aber seitdem nicht erholt haben, habe sich die Ertragskrise der Versicherer in den vergangenen Monaten weiter verschärft. Betroffen seien vor allem Kranken- und Sachversicherer, die bislang mit den Erträgen ihrer Kapitalanlagen Verluste im eigentlichen Versicherungsgeschäft wettgemacht haben. Gefährdet seien besonders Gesellschaften, die im operativen Geschäft rote Zahlen schreiben und kein kontinuierliches Neugeschäft haben, warnt Poweleit.

Auch bei den Lebensversicherern werde die Krise auf den Kapitalmärkten deutliche Spuren hinterlassen, glaubt der Branchenexperte. Im vergangenen Jahr war bereits die Detmolder Familienfürsorge unter Zwangsverwaltung gestellt worden, bevor die Huk Coburg dem Unternehmen beigesprungen ist. In diesem Jahr werden nach Einschätzung Poweleits auch große Anbieter betroffen sein. Poweleit rechnet selbst beim Branchenprimus Allianz Lebensversicherungs AG mit Abschreibungsbedarf in Milliardenhöhe. Zwar hat die Allianz für dieses Jahr die Überschussbeteiligung ihrer Versicherten von 6,8 Prozent auf 5,3 Prozent deutlich gekürzt, dennoch hält Poweleit auch diese Gewinnbeteiligung noch für überhöht. Denn mit Aktien sei derzeit kaum Geld zu verdienen, und auch festverzinsliche Wertpapiere würden nicht genug Rendite bringen, um die Gewinnbeteiligung von 5,3 Prozent zu finanzieren. Die Allianz habe selbst zugegeben, dass ihre Aktienreserven bei einem Dax-Stand von 3200 Punkten aufgezehrt seien. Derzeit liegt der Dax-Stand deutlich darunter.

Besonders bedrohlich ist die Situation nach Einschätzung Poweleits bei den Versicherungsgesellschaften, die bereits für das Geschäftsjahr 2001 stille Lasten gebildet hatten und im vergangenen Jahr weitere Kursverluste erlitten haben. Dazu zählten auch große Anbieter wie Axa und Victoria. Deren stille Lasten seien inzwischen höher als das Eigenkapital, kritisiert Poweleit.

„Die Situation auf dem Kapitalmarkt hinterlässt ihre Spuren“, räumt Allianz-Leben-Sprecher Eckhard Marten ein. Wie fast die gesamte Branche wird auch die Allianz für das abgelaufene Geschäftsjahr von den Möglichkeiten des Paragrafen 341 b HGB Gebrauch machen. Dieser erlaubt es Versicherern, nur vorübergehende Kursverluste nicht in den Bilanzen abzuschreiben. Trotz der Probleme mit der Kapitalanlage ist die Allianz mit dem abgelaufenen Jahr nicht unzufrieden. Im Neugeschäft habe man ein Beitragswachstum von 30 Prozent erzielt, sagte Marten dem Tagesspiegel.

Auch der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gibt sich gelassen. Nach wie vor gehe man davon aus, dass kein deutscher Lebensversicherer akut von Insolvenz bedroht sei, sagte GdV-Sprecher Michael Gaedicke. Zwar werde die Zahl der Zusammenschlüsse von Versicherungen mit Schwierigkeiten zunehmen. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, „dass wir vor einer Welle von Fusionen stehen“, sagte GDV-Präsident Bernd Michaels, am Dienstag auf einer Tagung in Berlin.

Um zumindest für Neuverträge eine Entlastung zu schaffen, hält Versicherungsexperte Poweleit eine Senkung des Garantiezinses für sinnvoll. Derzeit liegt der gesetzlich garantierte Rechnungszins, der Lebensversicherungskunden zugute kommt, bei 3,25 Prozent. Altverträge werden sogar mit vier Prozent verzinst. Allerdings gebe es erheblichen Widerstand gegen eine Absenkung, sagt Poweleit, weil das Produkt Lebensversicherung dadurch unattraktiver werde. Das Thema ist dennoch aktuell: „Wir beobachten den Markt“, sagt ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums, „und wir überlegen, ob wir den Zins korrigieren müssen.“ Das Ministerium ist zuständig für die Festlegung des Garantiezinses. Allerdings will man sich mit einer Entscheidung noch Zeit lassen – mindestens drei Monate.

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