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Wirtschaft: Börsenkurse, handgemacht

Die US-Aufsicht will den Aktienhandel reformieren – und kann sich nicht entscheiden

Von Deborah Solomon

und Kate Kelly

Geht es nach dem Chef der US-Börsenaufsicht William Donaldson, sollte an den amerikanischen Aktienmärkten bald ein anderer Wind wehen. Am vergangenen Mittwoch ist der Chef der New York Stock Exchange (NYSE) Richard Grasso nach heftiger Kritik an seinen Millionenbezügen zurückgetreten. Doch schon lange vor dem Ausbruch des Streits um dessen üppiges Ruhestands-Paket plante der mächtigste Regulierer des US-Finanzmarktes die Neuordnung der durch elektronische Handelsplattformen zersplitterten Börsenlandschaft. „Wir stehen vor schwierigen Schritten“, sagte Donaldson Ende Juli in einem Interview.

Hauptstreitpunkt ist, ob die Handelsgeschwindigkeit oder der Preis einer Transaktion wichtiger ist. Donaldson scheint Preisargumenten den Vorzug geben. Der New Yorker Börse dürfte dies nutzen. Unter der großen Anzeigetafel der NYSE findet noch ein echter Handel unter Personen statt. Die so genannten Specialists rufen ihre Angebote in die Menge der versammelten Kollegen und versuchen so, ihrem Auftraggeber einen Abnehmer oder Verkäufer zu vermitteln.

Dieser körperliche Einsatz ist selten geworden. Die Computerbörse Nasdaq etwa kennt keinen zentralen Treffpunkt der Akteure. Erhält der Nasdaq-Händler von seinem Kunden einen Kaufauftrag, versucht er das passende Angebot in seinem elektronischen Orderbuch aufzuspüren. Findet er es nicht, trägt er den Auftrag selbst in eine Orderliste ein. Spätestens hier kommen die neuen elektronischen Handelsplattformen ins Spiel, die unter Namen wie Island, Instinet oder Archipelago eigene Orderbücher führen. Statt der eigenen Listen können Nasdaq-Händler auch solche Netzwerke nutzen. Die eigentlichen Handelsplätze sind so über das ganze Land verstreut. In diesen Systemen können Aufträge in Sekundenbruchteilen ausgeführt werden. Für große Händler ist dies noch vor dem Preis der wichtigste Punkt.

Der Handel auf dem NYSE-Parkett ist schwerfälliger. Einige Sekunden, manchmal Minuten kann es dauern, bis der Händler für eine Order den günstigsten Abnehmer oder Anbieter gefunden hat. Vertreter der NYSE berufen sich jedoch auf den Preisvorteil: In 94 Prozent der Fälle werde den Investoren der beste Kurs geboten. Donaldson steht noch hinter dem Prinzip: „Auch wenn sich einige über Wartezeiten von untragbaren 30 Sekunden beschweren, finde ich 30 Sekunden nicht untragbar lange, wenn dadurch der günstigste Preis gefunden wird.“

Auf dem Prüfstand steht vor allem das Verbot des Durchhandelns von Aufträgen – die so genannte Trade-Through-Regel. Sie besagt, dass die NYSE dem Investor immer den günstigsten Preis verschaffen muss. Selbst wenn die Aktie auf dem Parkett verfügbar ist, hat der NYSE-Händler ein Kaufangebot an eine elektronische Handelsplattform weiterzuleiten, sollte das Papier dort günstiger gelistet sein. Dies kann Zeit kosten, die den Investor teurer zu stehen kommt, als ein höherer Preis. Allerdings soll er so davor geschützt werden, den Händlern beim Kurs ausgeliefert zu sein. Sogar ein hochrangiger Vertreter der Börsenaufsicht, der Kommissar Paul Atkins, plädiert inzwischen für die Abschaffung der Regel. Es sei, so Atkins, als dürfe er seiner Frau am Imbiss an der Ecke kein Eis kaufen, weil es in einem entfernten Supermarkt günstiger zu haben ist.

Zersplitterte Börsenlandschaft

Sorgen bereitet der Börsenaufsicht auch das weitere Auseinanderrücken der elektronischen Handelsplätze. Dies, so meint Donaldson, verschleiere den wahren Wert einer Aktie. „Am effektivsten kann der Preis gebildet werden, wenn alle Verkäufer und Käufer durch einen einzigen Markplatz vereint sind.“ Ganz unschuldig ist die US-Börsenaufsicht an der Misere der Aktienmärkte allerdings nicht. Bei allen ihren Regulierungen der letzten 30 Jahre wurden Strukturfragen nur halbherzig und bruchstückhaft berücksichtigt. Am deutlichsten wurde dies in den 90er Jahren, als die Behörde die Bedingungen für den elektronischen Handel vorgab. Den Computer-Akteuren bot man an, sich als Börsenplatz oder Broker-Firma registrieren zu lassen. Die meisten entschieden sich für die Broker-Option, was zu einer Verschiebung der Regulierungsdichte führte: Als Broker dürfen sie ihre Bedingungen und Systeme jederzeit umgestalten. Dagegen müssen die NYSE oder die Nasdaq jeden Änderungswunsch von der Behörde absegnen lassen, was Jahre dauern kann. Auch dürfen die Broker-Firmen – anders als die Börsenunternehmen – für den Zugang zu den Handelskursen Gebühren verlangen.

Cynthia Glassman, eine Kommissarin der US-Börsenaufsicht, sagte zu den anstehenden Reformen: „Wir müssen die Fragen ganzheitlich angehen und dürfen nicht von Fall zu Fall entscheiden. Wer nur ein Problem beseitigt, schafft ein neues an anderer Stelle.“

Bei den Verantwortlichen der NYSE herrscht nur gebremster Reformeifer. Der Ruf nach Veränderungen wird dort als Aufbegehren neidischer Rivalen abgetan. „Wir haben es satt, alle 18 Monate von Konkurrenten zurückgeworfen zu werden, die verlangen, dass man uns die Zügel anlegt, nur damit sie eine Chance haben“, schrieb der NYSE-Vertreter Richard Bernhard Anfang des Jahres in einer E-Mail an die US-Börsenaufsicht. Noch hat die größte amerikanische Börse, wonach Investoren bei den elektronischen Märkten oft vergeblich suchen: Liquidität. An der NYSE können auch größere Transaktionen platziert werden, ohne große Kurssprünge auszulösen. So gesehen ist auch die Liquidität nicht von der Frage nach dem besten Preis zu trennen.

Manch eingefleischtem Händler reicht dies nicht. Trotz aller Mängel der elektronischen Systeme hält Dan Bonis, ein Wertpapierhändler aus dem Staat New York, nichts von dem in Handarbeit abgewickelten Geschäft an der NYSE: „Sobald der Mensch in dem Handel mitwirkt, wird man betrogen“, sagt er. „Wer glaubt, sie machen ein gutes Geschäft für dich, täuscht sich.“

Deborah Solomon, Kate Kelly

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