zum Hauptinhalt
Volkmar Denner, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Technikkonzerns Bosch, arbeitet seit 30 Jahren für das Unternehmen.

© Foto: Daniel Naupold/dpa

Bosch-Chef Volkmar Denner im Interview: „Wir haben die Krawattenpflicht abgeschafft“

Bosch-Chef Volkmar Denner im Tagesspiegel-Interview über intelligente Roboter, Start-up-Kultur im Traditionskonzern und die Zukunft des Elektroautos.

Herr Denner, kürzlich wurde in einer Autofabrik ein Arbeiter von einem Roboter getötet. Gerät da etwas außer Kontrolle in der Industrie 4.0?

Eine solche Nachricht ist natürlich schockierend. Aber wie immer bei Arbeitsunfällen sollte man genau analysieren, bevor man schnelle Schlüsse zieht.

Haben Sie Verständnis dafür, dass sich Menschen vor der Digitalisierung der Arbeitsprozesse fürchten?

Ich halte das für übertrieben. Herkömmliche Roboter arbeiten – aus gutem Grund – hinter Schutzzäunen. Die Industrie setzt sie für Arbeitsgänge ein, die für den Menschen gefährlich oder beschwerlich sind. Die Entwicklung geht weiter: Von Bosch stammt eine neue Robotergeneration, die mit einer Sensorhaut umgeben ist. Dieser Roboter erkennt, wenn ihm ein Mensch zu nahe kommt, stoppt dann in seiner Bewegung und vermeidet so Verletzungen.

In der Fabrik des Industriezeitalters 4.0 werden womöglich gar keine Menschen mehr arbeiten.

Da täuschen Sie sich. Auch die IG Metall sieht das übrigens anders. Industrie 4.0 und die vernetzte Produktion sind eine große Chance für den Hochkostenstandort Deutschland. Je produktiver wir werden, desto mehr Arbeitsplätze können wir im Land halten.

Für die Qualifizierten. Und die anderen?

Uns muss klar sein, dass sich die Qualifikationen ändern. Einfache Tätigkeiten können durch Roboter ersetzt werden. Menschen werden künftig weiterhin dort eingesetzt werden, wo sie ihre Talente am besten entfalten können. Moderne Roboter können mit Menschen Hand in Hand arbeiten, zum Beispiel in unserem Werk in Bamberg in der Fertigung von Einspritzkomponenten. Mehr Produktivität können wir nicht nur durch mehr Automation erreichen, sondern auch durch eine verstärkte Vernetzung. Beide Trends ziehen zufällig zur gleichen Zeit in unsere Fabrikhallen ein.

Digitalisierung als letzte Chance für den Hochlohnstandort Deutschland?
Sicher nicht die letzte Chance. Aber wir müssen sie nutzen. Wir brauchen eine öffentliche Diskussion in Deutschland: Wo sind wir wirklich stark, wie können wir Beschäftigung halten? Was bedeutet das zum Beispiel auch für die Bildungslandschaft? Ich mache mir da Sorgen.

Inwiefern?

Zwei Themen werden für Deutschland künftig sehr wichtig: Kreativität und systemisches Denken. Beides kommt in der Ausbildung – also in der Schule, der Hochschule und der beruflichen Bildung – viel zu kurz. Deshalb ermutige ich unsere Mitarbeiter, kreativ zu sein. Ich fordere alle Geschäftsbereiche und Regionen jedes Jahr einmal auf, kreative Ideen für den Aufbau neuer Geschäfte außerhalb des bisherigen Portfolios vorzulegen und sich um ihre Finanzierung zu bewerben. Dafür stellen wir jährlich rund 500 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.

Bosch wird kommendes Jahr 130 Jahre alt. Gut die Hälfte des Umsatzes wird im Autozuliefergeschäft gemacht. Sie versuchen, eine Start-up-Mentalität in den Konzern zu tragen. Ecken Sie da nicht an?

Ich habe schon immer so bei Bosch gearbeitet: das Klassische weiterentwickeln und zugleich etwas Neues hinzu bauen. Natürlich ist das ein Spagat. Man muss dem klassischen Bereich, der das Geld verdient, die verdiente Wertschätzung zukommen lassen und zugleich die Start- ups ermutigen. Ich habe das nie als einen Konflikt der Kulturen empfunden.

Flipflops statt Krawatte?

Wenn Sie so wollen, auch das. Wir haben in der Tat die Krawattenpflicht abgeschafft. Man sollte jetzt aber auch nicht ins Gegenteil verfallen und glauben, dass Krawattenträger per se von gestern sind. Das sind nur Äußerlichkeiten. Es geht um Freiräume, nicht nur gedankliche. Diese Start-up-Kultur versuchen wir auch auf die klassischen Bosch-Bereiche auszudehnen. Das wird die Kraft von Bosch in der Zukunft ausmachen.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben die Fahrerassistenzsysteme für Tesla in der Hälfte der sonst üblichen Zeit entwickelt. Mit einer Mannschaft, die eigentlich den Takt aus dem Autobereich gewohnt war. Mit einem anderen Kunden, einer anderen Führung und einer Start-up-Motivation hat es funktioniert. Ein anderes Beispiel zeigt, was ich mit Kreativität meine: Die Lambdasonde aus dem Automobilbereich im Backofen. Darauf bin ich besonders stolz. Unsere Ingenieure sind auf die Idee gekommen, dass man eine Sonde, die den Sauerstoff in Abgasen misst, auch im Backofen einsetzen kann – um anzuzeigen, wie weit der Braten oder der Kuchen sind.

Wie attraktiv ist die Berliner Start-up- Szene für Bosch?

Im Rahmen unserer „Internet der Dinge-Strategie haben wir schon kräftig in Berlin investiert und hinzugekauft. Zum Beispiel den Softwarespezialisten Inubit, der in unserem Software- und Systemhaus Bosch Software Innovations aufgegangen ist. Berlin ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie man sich kreativ weiterentwickeln kann: Wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass es in dieser Stadt einmal eine so große Start-up- und IT- Szene geben würde? Überraschend und faszinierend zugleich.

Bosch hat bei der Fotovoltaik geglaubt, es sei ein gutes Geschäft – und musste sich teuer davon trennen. Was macht Sie sicher, dass Ihre 500 Millionen Euro bei den Start-ups gut angelegt sind?

Innovation ist immer riskant. Wir investieren aber nicht nur in hochriskante Bereiche oder nur in Start-ups. Das wäre nicht zu verantworten. Wir sorgen für eine gute Risikostreuung. Grundsätzlich ist unser Anspruch, Innovationsführer in unseren Arbeitsgebieten zu sein. Deshalb geben wir insgesamt rund zehn Prozent unseres Umsatzes für Forschung und Entwicklung aus.

"Wenn ich behaupten würde, dass ich jede Schraube im Unternehmen kenne, würde ich lügen"

Wer die Daten hat, hat die Macht im „Internet der Dinge“, heißt es. Bei den Dingen – Autoteile, Heizungen, Hausgeräten und anderem – ist Bosch vorne, bei IT und Software sind Apple oder Google besser. Wer macht das Rennen in der Industrie 4.0?

Das ist offen. Das Spiel hat offensive und defensive Komponenten. Wir sind im Internet der Dinge auf allen drei Ebenen gut unterwegs: bei der Hard- und Software sowie bei neuen Geschäftsmodellen. Auf der defensiven Ebene müssen wir unser klassisches Produktgeschäft stärken und ausbauen, damit wir die Hardware auch in der vernetzten Welt liefern können. Dafür müssen wir uns anstrengen. Es ist nicht gesagt, dass wir mit neuen Geschäftsmodellen leichten oder schnellen Erfolg haben werden. Aber umgekehrt hatten auch die IT-Konzerne noch keinen Erfolg in der Welt der Dinge – etwa mit eigenen Autos oder Smartphones. So einfach scheint es nicht zu sein.

Im Google-Car steckt eine Menge Bosch. Auch im iCar von Apple?

Darüber kann ich nicht sprechen. Für uns sind die neuen Spieler auf dem Markt attraktive neue Kunden, die wir sehr ernst nehmen. Das gilt für Tesla, für Google und für viele andere auch. Player, die aus diesen Branchen kommen, haben einen anderen Spirit, ein anderes Tempo. Das inspiriert uns und treibt uns an.

EU-Kommissar Günter Oettinger sagte neulich: Den Wettlauf um die IT-Führerschaft haben wir verloren. Sie klingen nicht so resigniert. Werden Ihre Botschaften in Berlin und Brüssel nicht gehört?

Ich hoffe doch. Es müsste sich allerdings noch einiges an den Rahmenbedingungen in Deutschland verbessern, damit wir den Wettlauf tatsächlich nicht verlieren. Zum Beispiel reicht es nicht, das Breitbandnetz auf 50 Mbit pro Sekunde auszubauen.

Der Bund plant nur 50 Mbit bis 2018.

Das ist zu kurz gesprungen. Wenn wir die Welt vernetzen, steigen die Datenströme exponentiell an. Das Netz muss kontinuierlich und flächendeckend ausgebaut werden. Wir wollen von der Politik wissen: wann, wie viel und wo. Was nützt der beste Stau-Warner im Auto, wenn die Daten zu spät zum Fahrer gelangen? Außerdem muss die von der EU-Kommission vorgeschlagene Datenschutzgrundverordnung jetzt einheitlich in Europa umgesetzt werden. Wir brauchen Standards, die überall in Europa gelten, damit wir die passende Technik nur einmal entwickeln müssen.

Die EU-Kommission macht sich gerade unbeliebt, weil sie Deutschland vorwirft, wegen des hohen Dieselanteils die Luft in den Städten zu verpesten. Zu recht?

Zum Klimaschutz ist der Diesel unbedingt notwendig! Ohne den Diesel werden wir die scharfen CO2-Grenzwerte nicht bezahlbar erreichen, die die EU uns vorschreibt. Wir müssen den Diesel daher in Deutschland und in Europa unbedingt marktfähig halten, denn der Diesel trägt nur zehn Prozent zur Stickstoffdioxid-Belastung bei. Da muss uns die Politik unterstützen. Die deutsche Industrie ist hier führend in der Welt.

Bosch steckt 400 Millionen Euro/Jahr in die Elektromobilität. Wie lange halten Sie das durch auf einem stagnierenden Markt?

Ich sehe keine Stagnation. Elektromobilität ist schon lange da. Beim Zweirad zum Beispiel ist sie sehr verbreitet – ganz ohne staatliche Förderung. Deshalb ist Bosch hier frühzeitig eingestiegen. Wir sammeln als großer Einkäufer von Lithium-Ionen-Batterien für Zweiräder und Elektrowerkzeuge Erfahrungen.

Die Sie bei der Batterie für das E-Auto nutzen können?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir große Fortschritte bei der Batterietechnik machen werden. Bis 2020 wollen wir die Kosten halbieren und die Energiedichte verdoppeln. Dazu stehe ich.

Lohnt es sich, hohe Summen in eine Produktion von Batteriezellen am Standort Deutschland zu investieren? Hier liegen die Asiaten weit vor uns.

Da würde ich mich nicht festlegen. In die aktuelle Generation der Batteriezellen sollten wir jedenfalls nicht einsteigen. Das Geld würden wir verbrennen. Forschung und Entwicklung müssen aber intensiviert werden. Und wir müssen die entsprechende Fertigungstechnik für die nächste Generation entwickeln. Wenn es einen Durchbruch bei der Elektrochemie geben wird, brauchen wir auch neue Produktionsanlagen, auf denen die Batterie der Zukunft gebaut werden kann. Sonst wird es schwierig, gegen große Fabriken, die bereits in Asien stehen, anzutreten

Die Bundesregierung zögert bei der Zusage von weiteren Fördermaßnahmen, etwa bei der steuerlichen Förderung der gewerblichen Nutzung von E-Autos.

Ich gebe zu, wir sind enttäuscht darüber, dass hier nicht mehr passiert. Es ist richtig, voll auf Forschung und Entwicklung zu setzen. Aber wir wünschen uns mehr. Keine direkten Kaufprämien – das würde nur teure Strohfeuer entfachen – aber bei den Abschreibungsmöglichkeiten gäbe es Chancen. Kein Unternehmer kauft jetzt ein E-Fahrzeug, wenn er unsicher ist, ob es in ein paar Monaten vielleicht doch eine Sonderabschreibung gibt. Dabei wäre der deutsche Flottenmarkt sehr wichtig für die Verbreitung der Elektromobilität. Auch die Politik könnte mit ihren Behördenfahrzeugen mit gutem Beispiel vorangehen.

Herr Denner, die Bosch-Produktpalette ist riesig – von der Bohrmaschine über den Backofen bis zu Sensoren und Elektromotoren. Wie behält man als Vorsitzender der Geschäftsführung, der zugleich Forschungschef ist, den Überblick?

Wenn ich behaupten würde, dass ich jede Schraube im Unternehmen kenne, würde ich lügen. Ein wenig hilft mir meine Ausbildung als Physiker. Dadurch kann ich die vielfältigen Dinge auf Gemeinsamkeiten zurückführen. Das liebe ich. Ich bin ein begeisterter Techniker und Naturwissenschaftler.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

DER MANAGER

Volkmar Denner (58) ist seit 2012 Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH. Der Physiker ist auch Forschungschef des Unternehmens, für das er seit 1986 tätig ist. Denner, Vorstandsmitglied des Verbands der Autoindustrie, sitzt auch im Steuerkreis des Innovationsdialogs von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

DER KONZERN

Bosch ist mit rund 50 Milliarden Euro Umsatz der größte Automobilzulieferer und führender Hersteller von Elektrowerkzeugen und Hausgeräten sowie Gebäude- und Verpackungstechnik. Das 1886 als Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik von Robert Bosch in Stuttgart gegründete Unternehmen hat knapp 300 000 Mitarbeiter, davon 120 000 in Deutschland. Die GmbH gehört der gemeinnützigen Robert Bosch Stiftung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false