zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Briten gegen Brüssel

Konservative wollen Beziehungen zur EU lockern

London - Mit ihrem wichtigsten Vorstoß seit 25 Jahren haben Euro-Skeptiker der britischen konservativen Partei kommenden Montag eine Debatte über ein EU-Referendum erzwungen. Für sie ist es der erste Schritt in einem Prozess, der in Großbritanniens Austritt aus der EU enden soll – oder wenigstens in Neuverhandlungen über eine grundlegende Neuordnung und Lockerung der britischen Mitgliedschaft. Die Abstimmung dürfte die größte Hinterbänkler-Revolte gegen die von Euro-Pragmatismus geprägte Führung von Premier David Cameron werden.

Nie war in Großbritannien der Unmut über Europa so groß. Die Debatte wurde angesetzt, weil über 100 000 Internetnutzer eine „E-Petition“ unterzeichneten. Über 65 Abgeordnete – auch einige von der Labourpartei – hatten den Debattenantrag bereits unterzeichnet. Sogar Tories von den Regierungsbänken wollen ihr Amt riskieren und notfalls gegen den eisernen Fraktionszwang für den Antrag stimmen. „Mein Land kommt zuerst, die Partei als zweites, meine Karriere zuletzt“, so einer der Rebellen, Mark Pritchard.

„Die überwältigende Mehrheit denkt, dass wir zu viel Europa haben“, schrieb der Vorsitzende des Hinterbänklerkomitees, Graham Brady. Er befürchtet, dass die Reform der Eurozone noch mehr Macht für Europa bedeuten wird und lamentiert über die wachsenden Kosten der EU und demokratische Defizite. 61 Prozent der Briten wollen der jüngsten Umfrage zufolge das EU-Referendum. „Es ist nicht mehr eine Frage politischer Präferenzen, sondern eine des lebenswichtigen nationalen Interesses“, sagte Brady.

Premier Cameron dagegen will ein Referendum auf jeden Fall vermeiden. Nicht nur würde es seine Regierung zerbrechen. Er will auch einer schnellen Lösung der Euro-Schuldenkrise keine Steine in den Weg legen, die das britische Wirtschaftswachstum – und damit seine eigenen Überlebenschancen – in Mitleidenschaft ziehen. Aber auch Cameron sieht die Gefahr, dass die Bestrebungen, die Euro-Zone enger zusammenzuschnüren, Großbritannien marginalisieren könnte. Am größten ist seine Angst, dass die Reform auf Kosten des gemeinsamen Binnenmarktes geht. Politiker wie Ex-Außenminister Lord Owen fordern, die EU-Länder außerhalb der Euro-Zone sollten sich zu einem eigenen Block verbünden, um ihren Einfluss zu sichern. Ein Gesetz, das Machttransfers nach Brüssel nur per Referendum erlaubt, ist schon beschlossen.

Die Debatte wurde auf Montag vorgezogen – offiziell, um Cameron und Außenminister William Hague die Teilnahme zu ermöglichen. Aber wohl auch, damit die Rebellion nicht weiter wachsen kann. „Panik in der Downing Street“, schreiben die Zeitungen. Denn Cameron hat sich 2005 auf einer europaskeptischen Plattform zum Parteichef wählen lassen. Nun werden seine Versprechen von einer Partei eingefordert, die seinen Europakurs zunehmend kritisch verfolgt. Außenminister Hague führte 2001 als Tory-Chef einen ganzen Wahlkampf auf Basis seiner Kritik am Euro-Projekt. Seine damalige Warnung, der Euro werde „ein brennendes Haus ohne Ausgänge“, ist nun zum geflügelten Wort geworden. Ausgerechnet Hague soll nun die Rebellen zum Einlenken bringen.

Ein Kompromissvorschlag fordert die Regierung auf, bis nächstes Jahr in einem Weißbuch aufzuschreiben, welche Kompetenzen London von Brüssel zurückhaben will. Wie immer die Debatte ausgeht: Europa, das Schicksalsthema der Tories, steht wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Matthias Thibaut

Zur Startseite