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36 Projekte zum Neu- und Ausbau von Trassen wurden bisher definiert. Hier arbeiten Monteure in der Nähe von Kummer (Mecklenburg-Vorpommern) an dem Metallmast einer 110-Kilovolt-Freileitung zwischen Ludwigslust und Hagenow. Foto: dpa

© dpa

Wirtschaft: Bürger mit langer Leitung

Netzbetreiber wollen Anwohner von Stromtrassen finanziell beteiligen. Das soll den Ausbau beschleunigen.

Zum Glück wird Energiewende nicht nur im Berliner Regierungsviertel gemacht. Energiemanager richten ihren Blick dieser Tage auch auf den friesisch herben Landstrich zwischen Niebüll, Husum, Heide bis hinunter nach Brunsbüttel im Nordwesten der Republik. Dort, wo der Legende nach der Schimmelreiter spukte, startet der örtliche Übertragungsnetzbetreiber Tennet ein Pilotprojekt, das – wenn es denn klappt – überall im Land kopiert werden dürfte.

Das Unternehmen, das bekanntlich verantwortlich ist für die Anbindung der Nordsee-Windparks, gibt erstmals sogenannte „Bürgeranleihen“ heraus. Zeichnen dürfen diese ausschließlich Nordfriesen und Dithmarscher, die nicht weiter als fünf Kilometer von der Trasse zur geplanten „Westküstenleitung“ wohnen. Sie müssen mindestens 1000 Euro investieren, höchstens aber 10 000. Dafür erhalten sie eine garantierte jährliche Verzinsung von drei Prozent in der Projektphase und sogar fünf Prozent während des Baus. Das darf man angesichts der historisch niedrigen Zinsen, die vergleichbare Geldanlageprodukte abwerfen, als relativ attraktiv bezeichnen.

„Wenn viele von der Leitung in ihrer Region auch finanziell profitieren, kann das zur Akzeptanz der für die Energiewende so wichtigen neuen Höchstspannungsleitung beitragen“, erklärt Lex Hartmann aus der Geschäftsführung von Tennet die Motivation für das Projekt. Um den Leitungsbau zu finanzieren, bräuchte Tennet das Geld der Anwohner nicht wirklich. Der Konzern will mit dem Projekt auch lediglich maximal 15 Prozent des gesamten Investitionsvolumens auftreiben.

Ob es ein „Meilenstein“ wird, „um die Energiewende im Land zügig umzusetzen“, wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) schon orakelte, muss sich noch zeigen. Bei Tennet heißt es, die Zahl und Geschwindigkeit, mit der die Anleihen gezeichnet werden, sei nur ein erster Indikator für den Erfolg. Ob das Instrument wirklich funktioniert, könne man erst beurteilen, wenn man sehe, ob die Zahl der bei Stromtrassenbau üblichen Einsprüche von Bürgern merklich sinke. Zudem sei die Anleihe kein Ersatz für konventionelle Methoden, wie Bürgersprechstunden, in denen die drängendsten Fragen der Bürger beantwortet werden.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hatte bereits im vergangenen Herbst sein Konzept der „Bürgerdividende“ vorgestellt. Ihm schwebt vor, dass man bei den Bürgern sogar fünf Milliarden Euro über eine Anleihe mit Nennwerten ab 500 Euro einsammelt – was allerdings auch nur ein Bruchteil der benötigten Summe wäre. Denn auf mittlere Sicht, bis 2030, müssen rund 85 Milliarden Euro allein für Investitionen in Leitungen, Speicher und Kraftwerke veranschlagt werden, rechnete das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) aus.

Dazu komme die gigantische Summe von 250 Milliarden, die der Staat über die EEG-Umlage bei den Bürgern über den Strompreis einsammeln muss, um die Betreiber von Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung zu bezahlen. Die Anleihe soll also ein Vehikel sein, um ein Teil der von Bürgern aufgebrachten Milliarden wieder in deren Taschen fließen zu lassen.

Mit Finanzpsychologie allein wird der Netzausbau wohl nicht beschleunigt. Die Regierungen von Bund und Ländern haben sich daher vor einigen Wochen auch unter anderem auf ein erstes Bundesbedarfsplangesetz geeinigt. Darin sind insgesamt 36 Projekte zum Neu- und Ausbau von Trassen definiert, bei denen ein deutlich vereinfachtes Genehmigungsverfahren angewandt werden soll.

Dazu geben Landesbehörden Kompetenzen an die Bundesnetzagentur ab, der Rechtsweg bei Einsprüchen der Anlieger wird „konzentriert“, wie man es im Wirtschaftsministerium ausdrückt. Dazu kommt eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes sowie der Erlass des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (Nabeg). Diese Änderungen des Verfahrensrechts sollen dazu führen, dass Netzbauprojekte, die bisher zehn bis 15 Jahre dauerten, schon nach vier Jahren abgeschlossen werden können.

Bürgerbeteiligung plus Planung plus Bürokratieabbau: Der anstehende Bau der 150 Kilometer langen Westküstenleitung wird zeigen, ob das die goldene Mischung ist. Dann besteht – zumindest theoretisch – noch eine Chance, dass die laut Deutscher Energieagentur Dena bereits 2020 benötigten 3800 Kilometer neuer Leitungen auch tatsächlich gebaut werden.

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