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Ein Mann sitzt nahe dem brandenburgischen Wandlitz am Ufer des Liepnitzsees auf einem Baumstamm. Noch ist am Horizont kein Windrad zu sehen.

© dpa

Bürgerprotest: Waldspaziergang gegen Windkraft

Bei Wandlitz sollen 30 Windräder aufgestellt werden. Doch die Bürgermeisterin und eine Bürgerinitiative sind vehement dagegen. Sie fürchten um ihren Wald und See.

So weit ist es schon gekommen mit der Energiewende. Jana Radant, Bürgermeisterin von Wandlitz, hält überhaupt nichts von Windstrom. Aber sind Windräder wirklich schlimmer als die Autobahn, wie Radant meint? An die A 11, die an Bernau und Wandlitz vorbei durch weitläufige Waldgebiete Richtung Norden verläuft, hat sich Radant gewöhnt. Über diese Bahn kommt ja auch ein Großteil der Besucher nach Wandlitz. Aber diese Gäste kommen nicht mehr, glaubt Radant, wenn aus einem Windeignungsgebiet im Liepnitzwald auf beiden Seiten der Autobahn tatsächlich ein Windpark wird. „Uns haben sie schon den Wandlitzsee weggenommen, den Liepnitzwald lassen wir uns nicht auch noch nehmen“, sagt die parteilose Bürgermeisterin.

Am Sonnabend haben sie wieder protestiert, die Bürgermeisterin und die Bürgerinitiative „Hände weg vom Liepnitzwald“. Unter der Führung des Oberförsters ging es in das geplante Windmühlengebiet bei Ützdorf. Ein Waldspaziergang gegen die Windkraft, die doch im Land unübersehbar ist. Mit 4400 Megawatt installierter Leistung, das entspricht rund einem halben Dutzend Braunkohlekraftwerken, ist Brandenburg nach Niedersachsen die zweitgrößte Windregion. Nach Angaben des Branchenverbandes hat sich der Windstrom aus Brandenburg binnen eines Jahrzehnts verzehnfacht; in windigen Zeiten werden bereits 40 Prozent des Stroms von den Rotoren erzeugt. Es geht also voran mit der Energiewende, dem Ersetzen von fossiler Energie und Kernkraft durch Strom aus Wind, Sonne und Biomasse.

Für Hans-Jürgen Klemm, Diplomingenieur und Aktivist gegen die Windkraft, ist die Energiepolitik „eine absolute Verarschung der Bevölkerung“ und „staatlich geförderte Korruption“. Tatsächlich ist die Energiewende ein Milliardengeschäft, bei dem vor allem der Verbraucher die Umverteilung von klassischen Kraftwerken hin zu Erneuerbaren finanziert. Und bei der die neuen Anlagen auch Widerstand provozieren. In Brandenburg hat sich die „Volksinitiative Rettet Brandenburg“ gegründet, die inzwischen 48 regionale Bürgerinitiativen umfasst, darunter auch Klemm und seine Mitstreiter aus dem Liepnitzwald.

Im Rahmen ihrer Energiestrategie möchte die Platzeck-Regierung bis 2020 zwei Prozent der Landesfläche als Windeignungsgebiet ausweisen. Mehr oder weniger unumstrittene Standorte auf ehemaligen Industriegebieten und Landwirtschaftsflächen, an Autobahnen oder sonstigen Brachen sind inzwischen belegt, nun geht es in den Wald. „In anderen Bundesländern tut man sich nicht so schwer mit dem Wald“, sagt Jens Christen vom Energieunternehmen Enertrag, der als Windfachmann und -lobbyist in die Planungsprozesse einbezogen ist.

Christen zufolge gibt es in den beiden benachbarten Landkreisen Uckermark und Barnim rund 75 naturgeschützte Gebiete – da wird es eng für den Wind. Deshalb hat die gemeinsame Regionalplanung der Kreise das Gebiet im Liepnitzwald für Windräder vorgesehen. Die Pläne wurden 2011 entwickelt und erstmals zur Diskussion ausgelegt, um die „Beteiligung aller Träger öffentlicher Belange“ zu gewährleisten.

Tatsächlich gab es 6000 Einwände, mit denen sich der entsprechende Planungsausschuss befassen muss. Demnächst werden die Pläne zum zweiten Mal ausgelegt, wieder sind Eingaben möglich, wieder wird überarbeitet. Frühestens im Frühjahr 2014 wird dann die Regionalversammlung Uckermark-Barnim mit ihren 40 Mitgliedern – je 20 aus den beiden Kreisen – über den Windpark entscheiden. „Alles hängt vom Konsens in der Bevölkerung ab“, sagt Christen und verweist auf eine Studie, wonach 60 Prozent der Brandenburger die Windmühlen in der Nachbarschaft akzeptieren. Der Wert sei umso höher, je mehr Erfahrung die Menschen mit den Kolossen hätten.

Der Wert geht gegen null am Liepnitzsee, „einem der größeren eiszeitlich geprägten Klarwasserbinnenseen Brandenburgs“, wie es in einem Text der Bürgerinitiative heißt. Rund 20 000 Besucher locke der See an jedem Sommerwochenende an seine Ufer, argumentiert die Initiative. Und das sei vorbei, wenn die Windräder auf insgesamt rund 450 Hektar das gesamte Areal zerstören, das vor rund 100 Jahren als Erholungsgebiet für die Berliner geschaffen wurde. Auch deshalb befindet sich noch immer ein Großteil des Mischwaldes im Besitz des Landes Berlin, der Rest gehört dem Land Brandenburg und dem Bund.

Ob diese drei Eigentümer an Windradbauer verkaufen oder verpachten, wird sich erst zeigen, wenn die Regionalplanung steht. Also frühestens in einem Jahr. Bis dahin organisieren die Gegner den Widerstand, denn Planungsprozesse sind immer auch politisch: je größer der Protest, desto schwieriger wird es für die Windräder. Die Argumente der Gegner betreffen die Energiepolitik allgemein: Strom aus Wind und Sonne sei nicht grundlastfähig und müsse über lange Strecken transportiert werden, und die Windkraft im Besonderen: Lichtschattenschlag, Landschaftsbild, Infraschall (niederfrequente Schallwellen), Hammerschlag (wenn der Wind besonders stark weht), Eisschlag (wenn von den Rotorblättern im Winter Eisbrocken durch die Gegend fliegen) und der Discoeffekt (blinkende Positionslichter) werden von der Bürgerinitiative aufgezählt. Dazu die Gefahr für Fledermäuse und Vögel, aber auch die Wertminderung der Grundstücke in der Nähe der Anlage.

Die Befürworter halten dagegen: Für Hammerschlag und Infraschall gebe es keine Belege, die Rotoren seien größer und drehten sich langsamer und leiser als früher, Eisbildung versuchten die Rotorhersteller zu vermeiden, weil mit Eis die Rotoren nicht rund liefen, und über das Blinken der Mühlen spreche die Windbranche mit der Luftfahrt und vor allem dem Militär; womöglich beginnen die Lampen künftig erst dann zu leuchten, wenn sich ein Flugzeug nähert.

Hans-Jürgen Klemm wird das alles nicht überzeugen. Am 17. Januar trifft er mit anderen Windkraftgegnern Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) zum Meinungsaustausch. Kein einfacher Termin für den Minister.

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