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Beatrix von Storch (AfD), Lisa Paus (Grüne), Eva Högl (SPD), Kai Wegner (CDU), Petra Pau (Linke) und Christoph Meyer (FDP, von links nach rechts) stellten sich den Fragen von IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder und VBKI-Chef Udo Marin.

© DAVIDS/Sven Darmer

Bundestagswahl: Berliner Spitzenkandidaten buhlen um die Wirtschaft

Tegel offenhalten, Steuern senken: Wie die führenden Vertreter von CDU, SPD, FDP, Grünen, Linke und AfD in Berlin um die Stimmen der Unternehmer werben.

Von Maris Hubschmid

Als die Sprache auf Tegel kommt, ist Kai Wegner (CDU) in der Bredouille. Ein schwieriges Thema sei das, viel diskutiert. Schwierig ist vor allem: Noch vor wenigen Tagen hatte er sich für eine Schließung des Flughafens ausgesprochen, wie auch die Kanzlerin eine Offenhaltung öffentlich ausgeschlossen hat. Die Berliner CDU unter Führung von Monika Grütters, welche Wegner am Mittwoch vertritt, hat sich aber auf eine andere Meinung verständigt – nachdem 83 Prozent ihrer Mitglieder für einen Weiterbetrieb votiert hatten. Udo Marin, Geschäftsführer des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), der an diesem Morgen Gastgeber und Moderator ist, fasst dieses Gebaren so zusammen: „Es ist leichter, einen Pudding an die Wand zu nageln, als die CDU zu einer handfesten Aussage zu bewegen.“

Wegner rettet in diesem Fall die Zeit. Länger als 60 Sekunden darf kein Gast reden, dann gibt es die gelbe Karte – zehn Sekunden später die rote. Die bedeutet: für den nächsten Frageblock gesperrt.

Viel Hohn für die Union

Eine Regel, die sicher auch manch anderer Talkrunde gut täte. Kein Kanzlerkandidatenduett bekommen die rund 300 Gäste von Industrie- und Handelskammer (IHK) und VBKI zu sehen, sondern eine kurzweilige, oft unterhaltsame Show. Nicht zuletzt dank überaus provokanter Fragen von Udo Marin und IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder.

Was erwartet Unternehmer, wenn wer künftig mitregiert? Das sollen Berlins Spitzenkandidaten beantworten. Viel Hohn gibt es dabei zunächst für die Union. Kein Thema, das man SPD und Grünen wegnehmen könne, sei vor ihr mehr sicher. Die „Umfallerpartei schlechthin“ sei die FDP, meint aber AfD-Frau Beatrix von Storch – einst selber Mitglied der Liberalen. VBKI-Chef Marin stichelt Richtung Kollegen: Die FDP arbeite wie früher die IHK – „alle berücksichtigen, aber keinen so richtig“. Von Storch, die sich als „einzige echte Opposition“ betrachtet, versteht das Format am besten für sich zu nutzen.

Während Linken-Spitzenkandidatin Petra Pau nach der erlaubten Minute gerade erst Luft geholt hat, schießt Storch in atemberaubender Geschwindigkeit mit Themen und Thesen um sich. Antidiskriminierungsgesetz und Frauenquote gehören abgeschafft („weniger Staat, mehr Unternehmertum“), die schwarze Null sei „in Zeiten dieser Steuereinnahmen ein absoluter Skandal“. Und noch mal geht es gegen die FDP: Einen zugegeben eloquenten, schicken Bundesvorsitzenden beim „Daddeln“ zu plakatieren, sei noch kein Programm. Eder wirft ein, dass der Begriff „Digitalisierung“ im Programm der AfD kein einziges Mal auftaucht.

„Fähren statt Frontex“

„Hinzuverdienen, ohne alles weggesteuert zu bekommen“ – das müsse für Hartz-IV-Empfänger möglich sein, sagt Storch. Wegner stellt eine Einkommensteuer-Senkung in Aussicht. FDP-Kandidat Christoph Meyer streicht den Solidaritätszuschlag, und Pau propagiert Entlastung für Einkommen unter 7000 Euro brutto. Außerdem die „sanktionslose Mindestsicherung“ – die sei auch ein wichtiger Faktor für öffentliche Sicherheit.

Als der Linken-Slogan „Fähren statt Frontex“ fällt, gibt es Gelächter im Publikum. Flüchtlinge müssten nicht integriert werden, das Wort impliziere ja, dass sie zurück in ihre Heimat gehen, meint Storch. „Wenn Azubis abgeschoben werden, ist das schlimm“, sagt SPD-Vertreterin Eva Högl. Und verweist auf die Verantwortung, „die wir tragen, durch die Art und Weise, wie wir in der Welt wirtschaften“. Ansonsten sieht sich die Sozialdemokratin in der Verteidigung: Die SPD tue sich keineswegs schwer mit Unternehmertum. Högl prangert die „skandalös schlechte Bezahlung von Frauen“ an und macht sich für die Abschaffung sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge stark. Als der Name Gerhard Schröder fällt, lobt Högl den Politiker, der er war. „Jetzt hat er sich seinen Ruhestand verdient – nicht alles, was er darin macht, gefällt mir.“

Unterstützung für Ryanair

Leider gehe es in Deutschland trotz Schröders mutiger Reformen heute keineswegs jedem gut, sagt Högl mit Blick auf das Credo der CDU. In ihrem Wahlkreis Mitte, zu dem auch Wedding und Moabit gehören, komme der Wohlstand bei vielen nicht an. „15 Prozent verlassen die Schule ohne Abschluss.“ Meyer kontert: „Die SPD hat diese Bildungspolitik doch gemacht. Das sind alles Ihre Karrieren.“

Ansonsten fallen die Beiträge des FDP-Politikers wenig pointiert aus. Er verbrät seine Redezeit mit dem Verlesen von Paragrafen, die ein Recht auf Tegel belegen sollen, und Ausführungen über den Widerruf vom Widerruf. Der Staat habe private Wohnungsbauprojekte in der Vergangenheit zu oft verhindert, moniert er. Die umstrittene irische Billig-Airline Ryanair verdient seiner Meinung nach Unterstützung bei dem Vorhaben, Air Berlin zu kaufen – des Wettbewerbs wegen.

Lisa Paus, für die Grünen auf der Bühne, setzt vornehmlich beim Thema Verbrennungsmotor eine Marke. „Die Diskussion Wirtschaft oder Umwelt ist gestern.“ Wer jetzt nicht umsteuere, könne morgen auf dem Weltmarkt nicht bestehen. Die Autokonzerne stärker zur Verantwortung ziehen, das wollen sowohl Grüne und Linke als auch FDP und AfD.

Auch die AfD wird beklatscht

Was denn nun der Unterschied zwischen Union und SPD sei, wird Wegner noch gefragt. Wieder schwierig. Aber dann fällt ihm ein: „Wir haben gesagt, dass wir weder mit der AfD noch mit der Linken koalieren.“

Die Saalabstimmung bringt am Ende wenig Überraschendes. Den meisten Rückhalt haben hier, unter den Unternehmern, Union und FDP – mutmaßlich unabhängig von der heutigen Performance. Auch die AfD wird beklatscht. Die rote Karte sieht niemand.

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