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Krawatte, bei dieser Hitze – wenigstens in Japan dürfen Geschäftsleute im Sommer auf sie verzichten.

© picture-alliance / Cultura RM

Business-Kleidung: Schlipspflicht oder Speckrolle?

Eine Uniform symbolisiert Macht. Und im Sommer wäre ein Dresscode fürs Büro etwas Gutes. Den kann man vorschreiben, Geschmack leider nicht.

Es ist einer dieser perfekten Tage, an denen man auch ohne Wecker wach wird, weil die Sonne mit aller Kraft durch die Vorhänge leuchtet und es morgens um halb acht schon 22 Grad warm ist. Ein Tag wie ein Spaghettiträgerkleid, denke ich, aber ich muss zu diesem Termin. Frühstück bei einer Bank, lauter Männer in dunklen Anzügen also. Ich ziehe Rock und Bluse und eine Strumpfhose an. Nackte Beine gehen gar nicht, nicht mal im Hochsommer, sagt die Etikette-Expertin dieser Zeitung.

Als ich ankomme, sitzen die ersten Journalistenkollegen schon schwitzend am Tisch. „Bankentermin“, stöhnt einer und versucht, die Krawatte zu lockern. Dann kommen die Gastgeber, wie erwartet alle in Schwarz oder Dunkelblau. Sie setzen sich, dann lächelt der Ranghöchste in die Runde und fragt: „Hätten die Damen etwas dagegen, wenn die Herren ihre Jacketts ausziehen?“ „Kein Problem“, sage ich. Die Frage, ob ich meine Strumpfhose ausziehen darf, verkneife ich mir. Dass die Herren ihre Jacken ablegen, heißt ja noch lange nicht, dass sie auch ihren Humor auspacken.

Aber, fragte ich mich, warum ziehen sie sie dann überhaupt erst an? Wozu das Theater um den Dresscode, wenn sowieso alle wissen, dass es heiß ist?

Uniformen gab es schon immer, dafür muss es Gründe geben. Kleidung symbolisiert Macht, heißt einer. Moment mal. Ich weiß, dass diese Bank an einem Tag das deutsche Finanzsystem zum Einsturz bringen könnte. Glauben die wirklich, wir würden sie nicht ernst nehmen, bloß weil sie im Sommer schwitzen?

Dass Banker auch anders können, sehe ich beim nächsten Termin. Hier laufen lauter Typen in Turnschuhen herum. Es sei „Casual Friday“, sagt mein Gesprächspartner entschuldigend, da darf jeder kommen, wie er will. Warum er dann einen Anzug trage, frage ich. „Weil Sie da sind“, antwortet er. „Oh“, sage ich geschmeichelt. Klar. Gut angezogen sein heißt, dass man den anderen wertschätzt. Plötzlich schäme ich mich für meine Bluse, heute morgen sah sie noch gut aus, jetzt ist der oberste Knopf lose, erste Schweißflecken bilden sich auch schon. Dann spüre ich meine Füße wieder, die in den engen Schuhen schwitzen. Würde dieser Mann seine Gäste wirklich wertschätzen, müsste er ihnen ein kühles Fußbad anbieten.

Können wir einander nicht auch barfuß respektieren? „Nein“, sagt Sonja. Sie arbeitet bei einer Softwarefirma und geht jeden Tag mit Pumps ins Büro, wegen der Kunden. Unter ihrem Schreibtisch hat sie Flipflops stehen. „Mal ehrlich“, fragt sie, „Würdest du jemandem einen Bausparvertrag abkaufen, der dir im Muskelshirt gegenübersitzt?“ „Mh“, sage ich. Ein gutes Argument. Dann stelle ich die Gegenfrage: Was ist denn mit den Beratern, die den alten Leuten die riskanten Zertifikate verkauft haben. Die sahen sicher immer tipptopp aus. Genutzt hat es den Rentnern nichts. Kompetenz und Ehrlichkeit kann man eben nicht anziehen.

Ich frage meinen Freund Hans. Er ist selbstständig. Ich stelle mir vor, dass er den ganzen Tag in Shorts auf dem Balkon sitzt und brillante Ideen in den Laptop tippt. „Quatsch“, sagt er. Und dass er, bevor einen Kunden anruft, immer ein frisch gebügeltes Hemd anzieht. Er fühle sich dann einfach professioneller.

Heißt das, wir brauchen eine Uniform, um uns selbst zu disziplinieren? Kann eine Bank Milliarden verdienen, wenn ihre Mitarbeiter nur von Montag bis Donnerstag Disziplin an den Tag legen?

Die Japaner haben es ausprobiert. 2005 startete die Regierung eine Anti-Krawatten-Initiative. Wegen der globalen Erderwärmung dürfen die Büros in den Unternehmen nur noch auf 28 Grad heruntergekühlt werden. Von Juli bis September müssen die Mitarbeiter darum keine Krawatte tragen, sie dürfen sogar den obersten Hemdknopf öffnen. Soweit ich weiß, macht die japanische Konjunkturkurve im Sommer keinen Knick nach unten.

In meinem Unternehmen gibt es keine Schlipspflicht. Wie man sich anzieht, hängt davon ab, wen man interviewt. Und was man schön findet. Da gibt es große Unterschiede. Ich habe schon rückenfreie Kleider gesehen, auch Hawaiihemden sind leider kein Tabu, so wenig wie Tops mit Tigermuster, unter denen auch schon mal eine Speckrolle hervorquillt. Halt, denke ich, vielleicht hat so ein Dresscode auch im Sommer etwas Gutes. Eine Uniform kann man vorschreiben, Geschmack leider nicht.

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