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Cebit: Tauschen statt kaufen

Die Shareconomy erobert die Wirtschaft. Produkte, Wissen, Dienstleistungen werden über das Internet getauscht. Begonnen hat alles in sozialen Netzen.

„Das Loch ist entscheidend, nicht die Bohrmaschine.“ So wie der Blogger Daniel Bartel kann man es auch sagen. Die Bohrmaschine – die wir zum Löcherbohren nicht mehr kaufen, sondern uns gegenseitig leihen – ist zur Ikone einer neuen sozio-ökonomischen Bewegung geworden. Wer sich mit dieser Spielart der Wirtschaft beschäftigt, stößt in Blogs und auf Websites immer wieder auf das Werkzeug. Tauschen statt kaufen, teilen statt besitzen. Es sind viele Begriffe im Umlauf, die die neue Art des Wirtschaftens und Konsumierens beschreiben: Ko-Konsum, Collaborative Consumption, Peer-to-Peer, Sharing Economy, Shareconomy. Leihen, teilen, tauschen kann man (fast) alles: Bohrmaschinen, Software, Autos, Lebensmittel, Versicherungen oder Wohnungen. Auch Wissen lässt sich gemeinsam ebenso gut nutzen wie Kontakte oder Infrastruktur.

Was in den Nischen der sozialen Internet-Netzwerke begann, breitet sich allmählich im analogen Wirtschaftsleben aus. Die Cebit, die weltgrößte Messe der Informations- und Telekommunikationsindustrie, die am Dienstag beginnt, trifft den Nerv der Zeit und hat die „Shareconomy“ zum Leitthema gemacht. Messechef Frank Pöschmann spricht von einem „gesamtwirtschaftlichen und -gesellschaftlichen Phänomen“ und „branchenübergreifender Relevanz“.

Tatsächlich sind viele Konsumenten schon – bewusst oder unbewusst – Teil dieser Ökonomie des Teilens. Zum Beispiel wenn sie am Carsharing teilnehmen, wenn sie Musik hören, die in der Daten- Cloud zur Verfügung gestellt wird, oder wenn sie auf Bewertungsportalen und Wikis Erfahrungen austauschen und bei Konsumentscheidungen berücksichtigen.

Mehr als jeder zweite Deutsche sei bereits ein Ko-Konsument, ergab eine TNS- Emnid-Studie im Auftrag von Airbnb, Marktführer bei der Vermittlung von Privatunterkünften im Internet. Jeder Vierte sei, quer durch alle Alters- und Einkommensschichten, aktiver Peer-to-Peer-Verbraucher, für den Besitz und Eigentum weniger wichtig seien als Werte wie Gemeinschaft, Kreativität und Abwechslung. Insbesondere die jüngere Generation habe die Vorteile einer Ökonomie des Teilens entdeckt und belebe sie dank des Internets neu, wird Harald Heinrichs, Professor an der Lüneburger Leuphana Universität, zitiert. „Hier liegt großes Potenzial für eine neue Nachhaltigkeit, die auch politisch und gesellschaftlich unterstützt werden sollte.“ Der IT- Branchenverband Bitkom bestätigt: Für 97 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sei es selbstverständlich, das Internet zum Teilen von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen zu nutzen.

Doch ist der klingende Begriff der Shareconomy für manchen nur ein neues Etikett für das, was man als Arbeitsteilung, Tauschwirtschaft oder Nachbarschaftshilfe schon lange kennt. Erst das Internet, erwidern Experten, potenziere die Möglichkeiten, Menschen bequem zu verbinden und bei der gemeinsamen Nutzung von Waren und Dienstleistungen zu unterstützen. Erst das schnelle Netz und die Cloud, die den Austausch großer Datenmengen erlaubten, machten vor allem digitale Produkte – Musik, Software, Fotos – zu teilbaren Gemeinschaftsgütern.

Vorausgesetzt, alle zahlen mit der gleichen Währung: Vertrauen. So berichten etwa die Macher der Stuttgarter Plattform Leihdirwas.de von „Berührungsängsten“ der Nutzer, die Alltagsgegenstände über die Website anderen Usern gegen eine Gebühr zur Verfügung stellen. Kommt ein Deal zustande, bleiben 15 Prozent Provision bei Leihdirwas.de hängen. Die größte Hürde beim Start des Dienstes sei der Aufbau von Vertrauen gewesen, sagen die Gründer Mark und Michael Aechtler.

Weil Nutzer mit (meist fremden) Nutzern in Kontakt und ins Geschäft kommen müssen und selten etablierte Internetmarken hinter den jungen Peer-to-Peer-Plattformen stehen, erzielt die Shareconomy noch keine riesigen Umsätze. Der Erfolg von Facebook, Twitter und Co. macht den Gründern jedoch Hoffnung, dass sich das Prinzip des Teilens in Netzwerken aus dem Privat- ins Geschäftsleben überführen lässt. Mit Blick auf den Social-Media- Siegeszug sagt Karl-Heinz Streibich, Chef der Software AG: „Unser Anspruch ist es, diese Wirklichkeit im Unternehmensumfeld mithilfe der Informationstechnolgie abzubilden.“

In der Berliner Gründer- und Internetszene finden sich viele Firmen, die sich als Teil der Sharing Economy definieren. Darunter auch etablierte Unternehmen wie Strato. Der Anbieter von Onlinespeichern und Website-Baukästen nutzt die Gunst der Cebit-Stunde und bezeichnet sich gar als „Motor der Shareconomy“. Eher passt das Label allerdings zum „Facebook der Wissenschaften“ Researchgate, dem privaten Carsharinganbieter Carzapp, dem Cloud-Printing-Spezialist Ezeep oder Friendsurance, einem Vermittler von Versicherungen, bei dem Freunde in Schadensfällen füreinander einstehen und so bestenfalls Geld sparen können.

Wie attraktiv das Geschäft mit dem Teilen sein kann, sieht man beim Carsharing. Autohersteller wie BMW, Daimler, VW und seit dieser Woche auch Ford engagieren sich hier mit großen Investitionen. Anfang des Jahres kam es in den USA zu einer ersten spektakulären Übernahme. Der Autovermieter Avis kaufte den erfolgreichen Carsharing-Anbieter Zipcar – für 500 Millionen Dollar.

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