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Wirtschaft: Chancen für die deutschen Siemens-Standorte sinken

Gutachten im Auftrag der Gewerkschaft belegt: Handy-Fertigung im Inland trotz längerer Arbeitszeiten unwirtschaftlich

München - Im Streit des Elektronikkonzerns Siemens mit der IG Metall um die Verlängerung der Arbeitszeiten hat die Unternehmensleitung einen Punktsieg errungen. Ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young habe ergeben, dass die Kostenvorteile einer Produktion in Ungarn nicht durch betriebsinterne Rationalisierung und flexiblere Arbeitszeiten in Deutschland ausgeglichen werden können. Das räumte die IG Metall in Nordrhein-Westfalen am Mittwoch ein, die das Gutachten selbst in Auftrag gegeben hatte.

Die Gewerkschafter befürchten nun, dass die Untersuchung für die Standorte Bocholt und Kamp-Lintfort die Siemens-Pläne zur Verlagerung tausender Jobs in Niedriglohnländer beschleunigen wird. Am Freitag will die IG Metall bundesweit gegen die Konzernpläne protestieren.

Siemens hatte Anfang April angekündigt, bis zu 5000 der 167 000 deutschen Arbeitsplätze in Niedriglohnländer zu verlagern, sofern die Beschäftigten nicht einer 40-Stunden-Woche und Kürzungen von Sonderleistungen zustimmen. Am stärksten betroffen von den Plänen sind die nordrhein-westfälischen Standorte Kamp-Lintfort und Bocholt, wo Mobiltelefone und schnurlose Festnetz-Telefone gefertigt werden. Dort sollen laut Gewerkschaft rund 2000 der 4500 Stellen gefährdet sein. Siemens-Chef Heinrich von Pierer hatte gesagt, gegenüber einem Alternativstandort in Ungarn müsse bei den Arbeitskosten eine Lücke von bis zu 30 Prozent geschlossen werden.

Das Ergebnis des Gutachtens bringt Arbeitnehmer-Vertreter und Gewerkschaft unter Zugzwang. „Natürlich hätten wir uns ein anderes Prüfungsergebnis gewünscht“, sagte der Pressesprecher der IG Metall Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Nettelstroth, dem Tagesspiegel. Das heiße aber „noch lange nicht, dass es keine Perspektive für die gefährdeten Arbeitsplätze mehr gibt“. Nettelstroth wies darauf hin, dass das Gutachten für Bocholt und Kamp-Lintfort einen „sehr begrenzten Prüfauftrag“ gehabt habe und dass es daher nicht allein ausschlaggebend im Kampf um die Verlagerung der Arbeitsplätze sein könne. „Die IG Metall will nun schnell mit Siemens über tarifpolitische Maßnahmen verhandeln, um die Arbeitsplätze zu retten“, sagte der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Bocholt, Heinz Cholewa. Konkrete Maßnahmen nannte er aber nicht. Cholewa zeigte sich zuversichtlich, zu einer Lösung zu gelangen. 200 Arbeitsplätze auf dem Gebiet Service und Reparatur von Telefonen in Bocholt konnte die Gewerkschaft durch einen Ergänzungstarifvertrag vor der Verlagerung nach Ungarn bewahren.

Siemens wollte sich am Mittwoch nicht zum Ergebnis des Gutachtens von Ernst & Young äußern. Es bleibe dabei, „dass Siemens um jeden einzelnen Arbeitsplatz in Deutschland kämpft“, sagte ein Sprecher. Wann eine endgültige Entscheidung über den genauen Umfang des Arbeitsplatzabbaus fallen werde, sei derzeit noch nicht absehbar. „Die Gespräche laufen auf Arbeitsebene, aber wir haben da keinen Zeitdruck“, sagte der Sprecher. Nach Angaben aus Betriebsrats-Kreisen will der Siemens-Vorstand für die Standorte Bocholt und Kamp-Lintfort im Juli über den Umfang der Verlagerung entscheiden.

Nach Angaben der Gewerkschaft plant Siemens, in Ungarn nahe der rumänischen Grenze einen eigenen Standort zu errichten und nur noch so genannte Innovationscenter mit jeweils rund 900 Mitarbeitern in Nordrhein-Westfalen zu belassen. Das US-Unternehmen Flextronics soll in der Verlagerungsphase vorübergehend Teile der Siemens-Telefonproduktion übernehmen, bis ein eigener Standort aufgebaut ist.

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Nicole Adolph

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