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Sören Hartmann leitet seit Mai die DER, die Reisesparte der Rewe-Gruppe.

© dpa

Chef von DER Touristik im Interview: „Die Streiks sind die beste Werbung für uns“

Wenn Lokführer und Piloten streiken, freut sich die Tourismusbranche. Denn "die Kunden sehen dann, was ein Reiseveranstalter alles für sie tut." Sören Hartmann, Chef von DER Touristik, über die Folgen der Ausfälle bei Bahn und Lufthansa, die Reiselust in Krisenzeiten und das schlechte Image von Reisebüros.

Herr Hartmann, für die Tourismusbranche endet gerade das Geschäftsjahr. Wie stark machen sich die vielen weltweiten Krisenherde in den Bilanzen der Unternehmen bemerkbar?
Das Geschäftsjahr ist für unser Unternehmen genauso wie für die gesamte deutsche Tourismusbranche sehr gut verlaufen. Dabei muss man sich klarmachen, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg kaum ein Jahr gab mit mehr internationalen Krisen. Gleichzeitig haben viele europäische Länder noch immer ihre wirtschaftlichen Probleme. Dass unsere Branche in einem solchen Umfeld wächst, funktioniert nur, weil sich der deutsche Kunde unbeirrt immer wieder für das Reisen entscheidet.

Haben die Deutschen keine Angst?
Die Menschen sind offenbar hartgesottener als früher. Durch Krisen wie den 11. September oder die Aschewolke des isländischen Vulkans haben viele gelernt, Gefahren besser einzuordnen und sich genauer zu informieren. Ein Unglück an einem bestimmten Ort haut die Leute nicht mehr automatisch um, weil sie dafür ein genaueres Bewusstsein entwickelt haben. Außerdem haben wir eine extrem niedrige Arbeitslosenquote und einen extrem niedrigen Sparzins. Damit ist der Boden für die Touristik bestellt. Die Menschen fragen sich, was sie mit ihrem Geld machen sollen. Und Reisen ist die beste Investition in Lebensqualität. Das ist offenbar nicht nur meine Meinung.

Wo ist das Geschäft am stärksten gewachsen?
Dieses Jahr war für deutsche Urlauber wieder ein Spanien-Jahr. Die Reisen in die Türkei, nach Tunesien und Griechenland haben sich auch sehr gut entwickelt. Insgesamt geben die Deutschen für Auslandsreisen jedes Jahr knapp 65 Milliarden Euro aus. Rückgänge erleben wir fast nur in Afrika.

Wie sieht es mit den Regionen Afrikas aus, die von Ebola betroffen sind?
Da gibt es einen klaren Einbruch der Reisezahlen, auch wenn das für uns als DER Touristik nur einen sehr kleinen Umsatzanteil ausmacht. Abgesehen von Südafrika und den nordafrikanischen Ländern betrachtet der Kunde Afrika als eins. Länder in Westafrika, die touristisch kaum erschlossen sind, trifft die Zurückhaltung der Reisenden folglich weniger. Kenia dagegen ist stark vom Tourismus abhängig und bekommt die Folgen von Ebola zu spüren, obwohl es dort derzeit kein erhöhtes Ebola-Risiko gibt.

Fallen Ihnen Länder ein, die nach Ihrer Beobachtung in den vergangenen Jahren zu Unrecht als unsicher eingestuft wurden?
Ja, das gilt ganz besonders für Griechenland. Die wirtschaftliche Situation des Landes hatte nie einen Einfluss auf das Kundenerlebnis. Gleichzeitig stellten manche Medien infrage, dass der Urlauber dort überhaupt noch eine Scheibe Wurst aufs Brot bekommt. Betroffen waren durch den Arabischen Frühling auch Tunesien und Ägypten. Der Kunde lernt aber sehr schnell, eine Krise ad acta zu legen. Ägypten ist in diesem Sommer wieder sehr gut gelaufen und die Buchungen für den Winter sind fantastisch.

Der Sinai gilt aber weiterhin als gefährliches Gebiet.
Für den Norden der Sinai-Halbinsel gilt derzeit eine Reisewarnung. Das heißt für uns: Wir schicken dort aktuell keine Gäste hin und hoffen, dass sich die Lage dort bald wieder normalisiert.

Was unternehmen Sie, wenn Gäste schon da sind, wenn das Auswärtige Amt Reisewarnungen und Sicherheitshinweise herausgibt?
Wir beachten sie genau. Für solche Fälle haben wir unser Krisenmanagement, das unsere Kunden, wenn nötig, täglich per SMS, E-Mail oder telefonisch informiert. Im schlimmsten Fall organisieren wir eine Evakuierung, wie das auch im Arabischen Frühling stattgefunden hat. Bei Reisewarnungen sind wir als Veranstalter verpflichtet, die Menschen da rauszuholen. Im September 2013 haben wir 14 000 Menschen aus Ägypten zurückgeholt. In solchen Situationen tun mir die Leute leid, die unorganisiert reisen, und dann versuchen, die Sicherheitslage auf eigene Faust einzuschätzen oder auf die Schnelle in einen Flieger reinzukommen.

"Es gibt zwei klare Trends: Fernreisen und mehr Individualität"

Sören Hartmann leitet seit Mai die DER, die Reisesparte der Rewe-Gruppe.
Sören Hartmann leitet seit Mai die DER, die Reisesparte der Rewe-Gruppe.

© Bensiek

Auch vor der eigenen Tür gibt es immer wieder Unwägbarkeiten. Was passiert bei Ihnen, wenn Lokführer und Piloten streiken?
Bei den jüngsten Streiks von Lufthansa und Germanwings haben wir 3300 Kunden auf andere Airlines umgebucht. Von den Bahnstreiks waren zuletzt etwa 10 000 Kunden betroffen, für die wir Fernbusse und andere Lösungen gefunden haben, damit sie ihren Flug erreichen. Das ist ein Riesenakt, aber darin sind wir mittlerweile erfahren. Es klingt vielleicht komisch, aber letztlich sind solche Krisen die beste Werbung, die uns passieren kann. Die Kunden sehen dann, was ein Reiseveranstalter alles für sie tut.

Wo beobachten Sie derzeit die meisten Veränderungen?
Es gibt zwei klare Trends: Fernreisen und mehr Individualität. Wer schon viel gereist ist und Erfahrung hat, den zieht es in die Ferne: Malediven, Mauritius oder Dominikanische Republik. Außerdem ist es den Kunden zunehmend wichtiger, ihren Urlaub auf ihre speziellen Vorlieben hin auszugestalten. Das können Sportarten sein wie Golf und Surfen, Behandlungen im Spa-Bereich oder Ausflüge. Je mehr Individualität sie in der Reise haben, desto mehr Angriffspunkte entstehen allerdings. Sobald etwas schiefgeht, ist eine organisierte Reise ein großer Vorteil.

Sie haben im vergangenen Jahr eine Imagekampagne für Reisebüros gemacht. Warum?
Wir sind mit 2100 Reisebüros der Marktführer in Deutschland. Die Büros gelten aber leider als altbacken, zu teuer, und es heißt, der Kunde bekomme dort nur Reisen von der Stange. Dabei stimmt nichts davon. Was stimmt, ist, dass die Zahl der Reisebüros in den vergangenen zehn Jahren von 15 000 auf 10 000 zurückgegangen ist. Verschwunden sind vor allem kleinere Agenturen in schlechter Lage, die an ihrem Erscheinungsbild nichts verändert haben. Der Umsatz durch die verbleibenden Reisebüros ist in dieser Zeit aber gewachsen.

Warum werden die Reisebüros ihr Image dann nicht los?
Leider wissen viele Kunden nicht, dass Reisen vom Veranstalter im Internet nicht günstiger sind als im Reisebüro. Es gilt Preisparität. Jeder im Internet angebotene Preis muss auch im Reisebüro verfügbar sein. Das Internet hat den Vorteil, 365 Tage im Jahr geöffnet zu haben. Aber im Reisebüro gibt es jemanden, der bei der Angebotsvielfalt Orientierung und ein neutrales, fachmännisches Urteil bietet. 80 Prozent der Reisen vom Veranstalter werden im Reisebüro gebucht.

Warum vertreiben Sie Ihre Reisen dann noch bei Rewe und Penny?
Weil wir dort Kunden finden, die wir mit dem Internet oder Reisebüro vielleicht nicht erreichen. Als Teil der Rewe Group haben wir da einen großen Vorteil. Die Menschen vertrauen ihrem Händler. Wer bei Penny kauft, schätzt das Preis-Leistungs-Verhältnis und bekommt von uns dort Reisen zu Superpreisen.

Umso schmerzhafter für Sie, wenn ein Journalistenteam dann aufdeckt, dass es die Penny-Reise an anderer Stelle noch günstiger gibt.
Das ist nicht komplett ausgeschlossen. Im konkreten Fall dieses ARD-Beitrags wurde jedoch einfach unterschlagen, dass die Preise je nach Buchungszeitpunkt und Reisedatum variieren.

Die Reiseveranstalter sollen zukünftig auf gehaltene Hotelkontingente Gewerbesteuer zahlen. Immerhin stellen diese Kapazitäten ein Kapital dar. Was würde das für die Reiseveranstalter bedeuten?
Das wäre ein riesiger Betriebsunfall. Bei der entsprechenden Verordnung stand die Tourismusbranche gar nicht im Fokus. Es ging um Unternehmen der Baubranche, die große Bagger und Bulldozer plötzlich nicht mehr gekauft, sondern geleast haben, um Steuervorteile zu erreichen. Wenn wir nun so bewertet würden, wie es die Finanzbehörden mit ihrer Interpretation des Gesetzes für die Reisebranche vorschlagen, stiege unsere Steuerquote auf bis zu 80 Prozent.

Wie viel Geld entspricht das?
Da die Steuer rückwirkend bis zum Jahr 2008 erhoben werden soll, müssten die Reiseveranstalter 1,4 Milliarden Euro zahlen und zukünftig weitere 200 Millionen Euro pro Jahr. Das wäre nicht tragbar. Deshalb sind wir in Gesprächen mit dem Bund und den Ländern und versuchen, dass es zu diesem Betriebsunfall gar nicht erst kommt.

Und wenn doch?
Das würde viele Reiseveranstalter dazu bewegen, ihre Aktivitäten ins Ausland zu verlagern. Das wäre ein Kollateralschaden für die Kunden, die Flug, Hotel, Ausflüge und Mietwagen einzeln buchen und damit komplett den Schutz deutscher Veranstalterkunden verlieren würden. Alternativ würden die Preise extrem steigen. Ich bin mir sicher, dass diese Wirkungen von der Politik nicht beabsichtigt waren.

Tui könnte durch die Milliardenfusion mit der britischen Tochter Tui Travel bald Weltmarktführer unter den Veranstaltern werden. Neckermann versucht gerade, sich ein jugendliches Image zu verpassen. Was unternehmen Sie?
Wir haben mit DER Touristik im vergangenen Jahr erst eine Dachmarke für alle Reiseunternehmen der Rewe Group gegründet. Vorletztes Jahr haben wir den tschechischen Marktführer Exim erworben, über den wir auch in Polen, Ungarn und der Slowakei sehr aktiv sind. Diese Märkte werden angesichts der steigenden Einkommen garantiert noch wachsen. Derzeit arbeiten wir vor allem an unserer Technik.

Das Interview führte Arne Bensiek

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