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Wirtschaft: China-Schock und Indien-Infektion

Wie West-Unternehmen verzweifelt versuchen, Rezepte gegen die Konkurrenz aus Asien zu finden

Wenn wir nicht schnell genug sind, werden wir von den Chinesen überrannt“, fürchtet Raymundo Hache, Verkaufschef bei Interamericana Products International. Die gigantischen Textilfabriken Chinas liegen zwar 13 000 Kilometer westlich vom Hauptquartier des Kleidungsfabrikanten aus der Dominikanischen Republik. Doch die Konkurrenz aus Fernost macht es Hache jeden Tag schwerer, seine Hosenproduktion an große US-Labels wie Tommy Hilfiger zu verkaufen.

Im texanischen Plano fühlt Electronic Data Systems, das zweitgrößte Computer-Service-Unternehmen der Welt, den heißen Atem der indischen Verfolger im Nacken. Um der explosionsartig wachsenden Konkurrenz zu begegnen, wird das Unternehmen dort bis zum nächsten Jahr eigene 5000 Stellen schaffen.

Es gibt kaum ein Unternehmen auf der Welt, das nicht vor den Wettbewerbern aus China und Indien auf der Hut sein muss. Die beiden wirtschaftlichen Überflieger-Nationen machen den Firmen das Leben auf unterschiedliche Weise schwer. Während Chinas Exportboom die Hersteller trifft, rollt Indien die weltweite Service-Industrie auf. Die chinesischen Exportsteigerungen von 125 Prozent in den letzten vier Jahren gehen vor allem auf ausländische Investitionen zurück: Gelockt durch geringe Lohnkosten, drängten Produzenten in das Land, um ihre Kapazitäten zu erweitern und die Herstellung preiswerter zu machen. Auch Indien zieht immer mehr amerikanische und europäische Serviceanbieter an. Doch hier hat die Flucht nach Osten erst eingesetzt, als die immer effektiver arbeitenden indischen Unternehmen plötzlich auf die Heimatmärkte der Europäer und Amerikaner drängten.

So konnte die im indischen Bangalore ansässige Software- und Beratungsfirma Infosys Technologies ihren Umsatz zwischen 2000 und 2002 verdreifachen, weil man vor allem die Verkäufe in Nordamerika massiv steigerte. Trotz solcher Umwälzungen hat Indien die Märkte bei weitem nicht so erschüttert wie China. Die chinesischen Warenexporte summierten sich im letzten Jahr auf umgerechnet 356 Milliarden Euro. Allein von 2000 bis 2003 eröffneten ausländische Investoren 60 000 neue Fabriken in dem Land. Bei den Autoherstellern führt Volkswagen die Liste der Investoren an. Rund 14 Prozent der weltweiten VW-Produktion kommt inzwischen aus China. Dicht gefolgt wird der Konzern von General Motors, die noch einmal drei Millionen Dollar in die Verdoppelung der Produktionskapazitäten pumpen wollen. Auch BMW wird noch in diesem Jahr mit dem Bau eines Werkes beginnen, das jährlich 30 000 Autos produzieren soll. Während die US-Importe aus Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong seit dem Jahr 2000 stetig gefallen sind, haben die Einfuhren aus China die Ausfälle mehr als kompensiert.

Wer sich neben chinesischen Firmen behaupten will, muss neue Wege gehen. Der Hosenfabrikant Interamericana von der dominikanischen Insel setzt auf kurze Produktionszeiten und seine Nähe zu den amerikanischen Handelshäusern. Doch wie die anderen großen Kleidungsproduzenten fürchtet das Unternehmen vor allem, dass sich China bei Wegfall der Importquoten auf einen Schlag einen riesigen Marktanteil sichern wird. Bislang hatten die großen Einfuhrländer vorgeschrieben, wie viele Paar Hosen oder Hemden aus einem bestimmten Land höchstens eingeführt werden dürfen. Das System läuft aber zum Ende des Jahres aus.

Der amerikanische Hersteller Trasmatic Manufacturing hat seinen China-Schock schon hinter sich. Im Jahr 2001 wurde er von Motorola mit der Herstellung eines Klappsystems für ein Mobiltelefon beauftragt. Motorola versuchte zeitgleich, das Bauteil in China konzipieren zu lassen. „Wir dachten, es würde Jahre dauern, bis die Chinesen den komplexen Mechanismus nachbauen können“, sagt Transmatic-Chef P. J. Thomson. Tatsächlich brauchten sie keine sechs Monate. Was wie ein wertvoller Fünf-Jahres-Auftrag für das Unternehmen aussah, war nach zwölf Monaten vorbei. Mit dem Preis hatte dies nichts zu tun. „Motorola hatte die Telefone in China produziert und wollte auch chinesische Komponenten verwenden“, sagt Thomson. Von anderen Kunden hörte er Ähnliches. „Unsere Auftraggeber sind multinational und das erwarten sie inzwischen auch von uns“, sagt Thomson, der das Problem mit dem Bau einer kleinen Fabrik westlich von Shanghai lösen will.

Als der südkoreanische Gussformenproduzent Solinc im letzten Jahr erstmals von der chinesischen Konkurrenz unterboten wurde, hat man selbst zum Outsourcing gegriffen: Das Unternehmen eröffnete ein Ausbildungszentrum im vietnamesischen Hanoi, flog die neueste 3-D-Computertechnik ein und wird die Designarbeit bald wesentlich günstiger als in Südkorea erledigen können. „Bislang hat uns China nur stärker gemacht“, sagt Steven Koons, ein Verkaufsleiter bei Solinc.

Auch die niedrigen Preise werde China auf Dauer nicht halten können: „Je besser die Chinesen werden, desto teurer werden sie auch“, sagt Verkaufsleiter Koons.

Auf den großen Anbietern der Informationstechnologie lastet dagegen der Preisdruck aus Indien. Das Land zieht alles an, was mit Datenverarbeitung zu tun hat, vom Software-Schreiben über die Wartung von Computersystemen, bis hin zu komplexen Prozessen der Personalverwaltung, Buchhaltung und steuerlichen Betreuung. Indiens Service-Exporte sind seit 1999 um 77 Prozent auf 24 Milliarden Dollar gestiegen. Die Ausgliederung solcher Verwaltungsaufgaben durch große Unternehmen wird bis zum Jahr 2006 mehr als 500 000 Inder beschäftigen, sagen die Wirtschaftswissenschaftler Rafiq Dossani und Martin Kenny.

Inzwischen fordern die Serviceunternehmen aus dem Westen ihre indischen Konkurrenten vor Ort heraus: Intel und Microsoft eröffnen große Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in Indien. Der IT-Experte Ronil Hira vom Rochester Institute of Technology in New York sieht den eigentlichen Kampf zwischen den indischen und den amerikanischen Beschäftigten: „Am Ende mögen die US-Firmen triumphieren, aber die Arbeit werden sie in Indien und anderen Ländern ausführen lassen.“

Neil King Jr.[Washington]

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