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Wirtschaft: China wird den Deutschen zu teuer

Die Löhne steigen massiv / Firmen erwägen Umzug

Schanghai / Peking - Der Standort Schanghai des Nürnberger Autozulieferers Leoni ist auf den ersten Blick ein typisch chinesischer Industriebetrieb: Wenige Maschinen sind zu sehen, dafür arbeiten Hunderte von Menschen. Leoni produziert in China Kabel für Daimler, VW und General Motors. Der chinesische Markt wächst schnell, das Geschäft brummt – und dennoch gibt es Sorgen. „China ist kein Billigstandort mehr“, sagt Leoni-Vorstand Uwe Lamann. „Unser Automatisierungsgrad ist sehr gering, und die Löhne legen kräftig zu.“ Um rund 14 Prozent werden die Lohnkosten in diesem Jahr steigen, im kommenden Jahr voraussichtlich um weitere 13 Prozent. Laut denkt der Manager bereits darüber nach, mehr Produktion aus Schanghai nach Vietnam zu verlagern.

Der Hamburger Modehersteller Tom Tailor ist bereits so weit: Noch lässt er ein knappes Drittel seiner Produkte in China fertigen. Wegen der hohen Lohnkosten hat er aber bereits beschlossen, einen Teil der Produktion nach Indonesien und Bangladesch zu verlagern.

Der jüngsten Umfrage der deutschen Handelskammer in China zufolge sind die drängendsten Probleme der deutschen Unternehmen die Kosten und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. „Wir sehen den Abschied vom Wirtschaftsmodell, das sich allein auf niedrige Löhne stützt“, sagt Yuan Gangming von der Qinghua-Universität in Peking. Der Lohnanstieg ist politisch durchaus gewollt, da steigende Binnennachfrage die Exportabhängigkeit der Wirtschaft verringern soll. China hat seine Zeit als globaler Billigheimer zudem immer nur als Übergangsphase zu echtem Wohlstand verstanden. Jetzt ist es so weit: Die Nachbarländer Südkorea und Japan haben es vorgemacht – dort verlangten die Arbeiter mit zunehmendem Wohlstand auch deutlich höhere Löhne. Nun ist China dran.

Die Lohnsteigerungen im Reich der Mitte haben jedoch auch für die Firmen eine positive Seite: Steigende Kaufkraft bringt auch deutschen Produkten mehr Kunden vor Ort. Das hilft auch Leoni. Denn trotz der steigenden Löhne bleibt das Unternehmen in China auf Wachstumskurs. Die Leoni-Kunden Daimler und VW profitieren vom Konsumhunger der Mittel- und Oberschicht. Elf Werke betreibt der Autozulieferer inzwischen in China, 6000 Beschäftigte arbeiten dort für den Konzern. Im laufenden Jahr soll der Umsatz um 100 Millionen auf 350 Millionen Euro zulegen. Für 2012 ist ein Zuwachs um dreißig Prozent geplant.

Leonis Kabel sind auch ein Gradmesser für den wachsenden Wohlstand. Rund drei Kilometer Kabel winden sich mittlerweile durch ein Mittelklasseauto, um Motorsteuerungen, Airbags oder Navigationssysteme zu verbinden. Die Autobauer verlangen von Leoni schnelle und preiswerte Lieferungen in hoher Qualität.

In Schanghai geht das nur mit Wanderarbeitern, die früher fast unbegrenzt zur Verfügung standen. Doch kalkulieren lässt sich damit immer weniger: „Nach dem chinesischen Neujahrsfest im Februar sehen wir einen Teil unserer Beschäftigten nicht wieder“, sagt Lamann. Vor allem viele Arbeiterinnen bleiben nach einem Jahr Arbeit bei ihren Familien auf dem Land – und das Unternehmen muss neue Kräfte anlernen. Daimler hat das in seinen Planungen schon berücksichtigt und bestellt im Vorfeld des Frühlingsfestes schon einmal auf Vorrat Kabel.

Die Firmen können sich immerhin damit trösten, dass sie alle vor dem gleichen Problem stehen. „Das neue Arbeitsrecht führt auch bei uns zu Kostensteigerungen“, sagt Liang Haishan, Vizechef des Elektrogeräteanbieters Haier aus Qingdao. Doch wie viele chinesische Firmen hat auch er eine Lösung gefunden: „Wir können noch sehr viel auf der Produktivitätsseite machen. Durch Automatisierung werden wir am Ende die Marge sogar erhöhen.“

Auch deshalb erwarten Experten keine massenhafte Abwanderung aus China. Konzerne wie Volkswagen argumentieren, dass sie ihre Arbeiter schon jetzt deutlich über dem Marktpreis bezahlen. „Das Land hat zudem noch andere Vorteile wie gut ausgebildeten Nachwuchs, eine ausgereifte Infrastruktur und eingespielte Lieferketten“, sagt der Ökonom Peng Wensheng von Barclays Capital.M. Fasse/F. Mayer-Kuckuck (HB)

M. Fasse, F. Mayer-Kuckuck (HB)

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