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Wirtschaft: Clemens Kleine

Geb. 1942

Von David Ensikat

Er hatte so viel Glück im Leben, dass er freiwillig ins Gefängnis ging. Einem einzigen Menschen nur hat Jesus das Paradies sofort versprochen. Einem Verbrecher, einem der beiden, die neben Jesus am Kreuz hingen.

Im Knast gibt es wenig Trost, auch die Jesus-Geschichte hilft den wenigsten Gefangenen weiter. Für Gefangenenseelsorger ist sie dennoch wichtig. Sie haben es mit üblen Jungs zu tun, und sie müssen sich immer wieder sagen: Auch dies sind gute Menschen. Niemand hat es nötiger als diese hier, dass jemand ihnen sagt, Gott liebe sie auf jeden Fall.

„Hallo Pater! Ha’mse nichma bisschen Tabak da? Ick hab echt nüscht mehr.“ Pater Clemens auf dem Rundgang über die langen Flure der Justizvollzugsanstalt Tegel hatte Tabak da. Er wusste, was die Leute hier zuerst mal brauchen. Nein: was sie wollen. Oder auch: was sie sich einzufordern trauen. Das sind ja harte Männer. „Hallo Pater! Ha’mse nichma bisschen Beistand für mich?“ – das ruft da keiner. Der Pater verschenkte Tabak, immer halbe Päckchen, denn mit ganzen kann man im Knast Handel treiben. Und er hoffte auf mehr als nur ein „Danke, Pater, is’ echt nett“. Wer sich etwas schenken lässt, der wird auch mit sich reden lassen.

Clemens Kleine war katholischer Priester, ein Marist, Ordensbruder der „Gesellschaft Mariens“. Zu Beginn seiner Zeit als Priester hat er mal ein Jahr in einem Gefängnis Seelsorge betrieben, dann bis 2002 nicht mehr. Er hat eine Telefonseelsorge aufgebaut, hat ein Bildungshaus gegründet und geleitet, war Provinzial, also oberster deutscher Maristenpater. Als er 59 war, entschied er sich, dorthin zu gehen, wohin es die wenigsten Geistlichen treibt: wieder ins Gefängnis, zurück zu den Schwerstbeladenen. Das Berliner Erzbistum suchte gerade einen Mann für Deutschlands größten Knast, und so wurde Clemens Kleine ein Berliner.

Von der Stadt hat er in den zweieinhalb Jahren wenig mitbekommen. Anfangs machte er noch montags frei, er merkte aber bald, dass das nicht geht, wenn man für 1800 Seelen zuständig ist.

Sieben Tage in der Woche Knast, kaum mal Urlaub, alles freiwillig – warum tut einer das? Pater Clemens sagte nie, dass ihm die Arbeit leicht falle. Er sagte, dass er dankbar sei, selbst so viel Glück im Leben gehabt zu haben – ein Gedanke, der einem schnell kommen kann, wenn man es ständig mit Unglücklichen zu tun hat.

Jeder ist seines Glückes Schmied? Ein ernsthafter Christ kann das nicht gelten lassen. Pater Clemens empfand es als Pflicht, sich für sein Glück erkenntlich zu zeigen. Und was tut man da, wenn man sich allein gegenüber Gott verantwortlich fühlt? Man geht dorthin, wo Gott einen eher schweren Stand hat, wo die Leute ihm misstrauen.

Gott, der Glücksverantwortliche, und Pater Clemens, sein Agent im Knast, zuständig für Glücksverheißungen gegenüber Unglücksbringern und Unglücksraben. Ein guter Mensch unter Missetätern, einer, der Barmherzigkeit in einer Anstalt predigt, die für die Strafe eingerichtet wurde.

Pater Clemens hat mal gesagt, er sehe sein gesamtes Leben als Vorbereitung auf diese Arbeit hier. Sein Leben hat ihn gelehrt, nicht Nein zu sagen. Der Diakon im Tegeler Gefängnis, der Mann, mit dem der Pater zusammenarbeitete, fragte ihn: „Wie kannst du dem dort noch mal Tabak geben, du weißt doch, dass der nichts weiter von dir will!“ Pater Clemens zuckte die Schultern und sagte: „Du weißt doch, wie sie sind.“

Natürlich haben etliche in ihm nur den gutgläubigen Geschenkeonkel gesehen; für viele war er sehr viel mehr: Ihm musste keiner was beweisen, ihm konnte jeder alles anvertrauen, der Pater unterlag dem Beichtgeheimnis. In dieser Welt des Misstrauens und der Härte ist so einer sehr gefragt.

Gerade wenn es um die wirklich harten Dinge geht: Todesnachrichten überbrachten den Gefangenen nicht die abgebrühten Beamten vom Vollzug, sondern der Mann fürs Geistliche.

Nun ist er selbst gestorben, gerade 62 Jahre alt und gar nicht krank. Beim Trauergottesdienst war die Knastkapelle voller als zu Weihnachten, die harten Männer weinten.

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