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Wirtschaft: Da waren es nur noch 16

Im neuen Bundestag sitzen zwei Drittel weniger Unternehmer als zuvor / Verbände vermissen wirtschaftliches Denken in der Politik

Berlin - Im neuen Bundestag sind Unternehmer und Selbstständige um zwei Drittel weniger vertreten als vor der Wahl. Ihre Zahl ist nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) von 48 auf 16 gesunken. Lege man ihren Bevölkerungsanteil von 4,4 Prozent zu Grunde, müssten es 27 sein. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Otto Kentzler, kritisiert die Entwicklung. „Entsprechend fallen viele Entscheidungen aus. Jeder Unternehmer hätte längst die Notbremse gezogen und ein Bündnis für Arbeit verabredet, um die Firma Deutschland vor dem Konkurs zu retten“, sagte er dem Tagesspiegel.

Der BDI, der vor der Wahl für eine stärkere Präsenz von Unternehmern im Bundestag geworben hatte, zeigt sich wenig alarmiert. Zwar wünsche man sich mehr politisches Engagement, aber eher in den Parteien. „In dieser Beziehung können wir übrigens viel von den Gewerkschaften lernen. Da könnten mehr Unternehmer das Wort ergreifen, egal in welcher Partei“, sagte BDI-Präsident Jürgen Thumann dem Tagesspiegel. „Jedenfalls können nahezu alle Parteien etwas mehr wirtschaftlichen Sachverstand vertragen.“

Immerhin soll mit Michael Glos (CSU), der seine Getreidemühle in Unterfranken inzwischen an seinen Sohn übergeben hat, der bekannteste Unternehmer im Bundestag die Führung des Wirtschaftsministeriums übernehmen. Der noch amtierende Wolfgang Clement (SPD) war vor seiner politischen Karriere Journalist und ist von Haus aus Jurist. Anwälte geben neben Beamten und Gewerkschaftern ohnehin den Ton an im Bundestag.

Das gilt auch für die Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen. So besteht die AG Wirtschaft zu zwei Dritteln aus Juristen. Unter den übrigen sind ein Lehrer, ein Sozialwissenschaftler, ein Volkswirt und ein gelernter Lebensversicherungskaufmann. Unternehmer ist der allerdings nicht: Jörg Tauss von der SPD wurde mit 20 Jahren hauptamtlicher Gewerkschafter und macht seitdem Politik.

Der FDP-Abgeordnete Heinrich Kolb beklagt die Mehrheit der Gewerkschafter in vielen Gremien. „Als Unternehmer ist man da ein Exot. Das schafft aber auch Glaubwürdigkeit“, sagt der 49-Jährige. Mit 23 hat er seine Metall verarbeitende Firma vom Vater übernommen. Bis heute sieht er sich als Unternehmer, obwohl er seit 15 Jahren im Bundestag sitzt. „Ich brauche niemanden zu fragen, wie es in der Wirtschaft aussieht. Ich schaue in die Auftragskartei und spreche mit Kunden und Auftraggebern.“

Der Alltag ist für Unternehmer mit Bundestagsmandat häufig eine Herausforderung. „Sein Unternehmen kann man nicht wie die Aktentasche an der Garderobe abgeben“, meint Kolb. Michael Fuchs, der für die CDU in die zweite Legislaturperiode geht und zuvor in der Kommunalpolitik und in Verbänden aktiv war, sieht Mandat und Firma als unvereinbar an. „Ich sage es ganz simpel: Es geht nicht.“ Vor 25 Jahren hat er eine Elektronikfirma gegründet, die rasant wuchs, bis sie mit einer niederländischen Firma fusionierte und er sich zurückzog. „Richtige Unternehmer, die so etwas gemacht haben wie ich, gibt es vielleicht eine Hand voll im Bundestag“, so Fuchs. „Wenn man einmal Unternehmer war, bleibt man das auch. Ich denke immer noch unternehmerisch und bringe das im Bundestag ein.“

Thumann und Kentzler nennen beide die „Ochsentour durch die Parteien“ als ein Hindernis für solche Karrieren. Unternehmer fühlten sich sehr wohl dem Gemeinwohl verpflichtet, sagt Kentzler. „Aber ihre Kraft muss erst einmal der eigenen Firma, den dort Beschäftigten und ihren Familien gelten. Löhne, Beiträge für die Sozialsysteme und Steuern müssen erwirtschaftet werden.“

Die CSU-Abgeordnete Marlene Mortler hat sich daher aus ihrem landwirtschaftlichen Betrieb zurückgezogen. „Früher habe ich gearbeitet, bis ich eben fertig war. Heute mache ich noch die Buchführung, aber auch das wird immer schwieriger“, sagt die 50-Jährige. Firma und Mandat ließen sich in den ersten Jahren noch vereinbaren. „Aber wenn man sich dann im Bundestag auf ein Thema konzentrieren will, geht das nicht mehr.“

Der erstmals in den Bundestag gewählte CDU-Abgeordnete Jens Koeppen meint, dass es zumindest ohne Rückhalt in der Familie oder bei Geschäftspartnern nicht funktioniert. Direkt nach der Wende hat er in Schwedt einen Betrieb für Elektroinstallationen gegründet, der heute 20 Mitarbeiter hat. „Anfangs war es schwierig sich als Unternehmer in einer großen Fraktion unterzuordnen, als kleines Zahnrad zu funktionieren. Da ist man nicht mehr der Chef. Bei der ersten Fraktionssitzung fühlte ich mich wie zu Besuch.“ Eine Einsicht hat der 43-Jährige den neuen Kollegen aber voraus: „Als Unternehmer gebe ich nur das aus, was ich auch einnehme – das sollte in der Politik auch endlich einmal ankommen.“

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