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Wilfried Porth. „Wir haben das Thema Frauenquote vor 2006 nicht so vorangetrieben, wie es aus heutiger Sicht möglich gewesen wäre.“ Foto: dpa

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Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth: „Die Kunden müssen das Auto bezahlen können“

Seit 2009 ist Wilfried Porth bei Daimler Personalvorstand und Arbeitsdirektor. Mit dem Tagesspiegel sprach der 53-jährige Manager über Kaufprämien für Elektrofahrzeuge, Frauenquoten in der Industrie und das Sparprogramm bei Mercedes.

Herr Porth, hatten Sie in Ihrer Karriere schon mal eine Frau als Vorgesetzte?

Ich muss überlegen, aber es gab bisher keine Frau – nein.

Sie sind damit nicht allein in der Branche.

Stimmt, da gehöre ich sicher noch zur Mehrheit in unserer Branche.

Dabei haben Frauen beim Autokauf doch angeblich das Sagen…

Sie haben erwiesenermaßen einen großen Einfluss. Das deckt sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen. Meine Frau und ich treffen solche Entscheidungen auch gemeinsam. Während ich mich vor allem mit dem Motor beschäftige, schaut meine Frau, was das neue Auto sonst noch können oder welche Farbe es haben sollte. Aber im Ernst: Frauen interessieren sich sehr für Mobilität.

Wie groß ist denn aktuell der Frauenanteil in den Führungsetagen von Daimler?

Derzeit liegen wir bei rund elf Prozent.

Der Bundesrat hat sich mit Unterstützung unionsgeführter Länder auf eine Frauenquote von 40 Prozent für Aufsichtsräte bis 2020 verständigt. Da bleibt bei Daimler noch einiges zu tun…

Das sehe ich anders – vor allem, wenn ich auf die Arbeitgeberseite blicke. Dort sitzen bereits zwei Frauen und damit ein Anteil von 20 Prozent. Wenn auf der Arbeitnehmerbank zwei weibliche Mitglieder hinzu kämen, wären wir schon bei 20 Prozent für das gesamte Gremium. Sie sehen, auch Gewerkschaften sind noch sehr von Männern dominierte Organisationen.

Nun geht das Thema in den Bundestag, 2013 könnte die Frauenquote ein Thema im Wahlkampf werden. Müssen Sie mit größerem politischen Druck rechnen?

Die Diskussion wird sicher noch an Dynamik gewinnen, auch abhängig von den künftigen politischen Kräfteverhältnissen in Berlin. Ich glaube allerdings, dass dieses Thema ab und an auch gerne deshalb platziert wird, um andere politische Herausforderungen zu überlagern. Das ändert sich auch je nach Stimmungslage in der Bevölkerung. Ich bedaure das. Bei Daimler jedenfalls nehmen wir die Förderung von Frauen aus Überzeugung schon länger sehr ernst.

Befürworter der Quote sagen, die Wirtschaft kommt freiwillig nicht voran, deshalb muss der Gesetzgeber nachhelfen.

Ich halte den Ansatz der 30 Dax-Unternehmen für besser, sich individuelle Ziele für die Anteile von Frauen in Führungspositionen zu setzen und dann an den Rahmenbedingungen zu arbeiten, um diese auch zu erreichen. Daimler hat sich schon 2006 verpflichtet, bis 2020 im Konzern 20 Prozent aller Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir zum Beispiel mit unseren Führungskräften entsprechende Zielvereinbarungen getroffen, von denen auch ihr jährlicher Bonus abhängt. Das muss Schritt für Schritt in der Organisation aufgebaut werden – und darüber hinaus.

Sie spielen den Ball zurück zur Politik?

Wenn wir Frauen voll ins Berufsleben integrieren wollen, dann brauchen wir sicherlich auch mehr Kindertagesstätten, Ganztagsschulen oder Pflegeeinrichtungen. Als Unternehmen haben wir Verantwortung übernommen, etwa indem wir rund 500 Kita-Plätze eingerichtet haben - Tendenz weiter steigend. Aber Ganztagsschulen zum Beispiel können wir sicherlich nicht bauen und betreiben. Ganz ohne die Unterstützung der Gesellschaft und der Politik geht es nicht.

Und dann schaffen Sie die Quote, die sich die Politik wünscht?

Hier geht es um zwei verschiedene Fragestellungen. Die von der Politik gewollte Quotenregelung soll nur für den Aufsichtsrat gelten. Wir bei Daimler wollen mehr: 20 Prozent Frauen auf allen Führungsebenen, bis hoch zum Vorstand.

Warum nicht 30 Prozent oder mehr?

Weil wir ehrgeizig, aber auch realistisch sind. Eine höhere Frauenquote ist auf dem Wege der Fluktuation für ein Automobilunternehmen wie unseres nicht zu erreichen. 20 Prozent sind sehr anspruchsvoll, da 70 Prozent aller Stellen bei uns technisch ausgerichtet sind. Die Zahl der weiblichen Absolventen in den relevanten Studienfächern ist dagegen sehr limitiert. In unserem Trainee-Programm stellen wir dennoch 35 Prozent Frauen ein, doppelt so viele, wie von den Unis kommen. Und wir haben 2011 vereinbart, dass jedes Jahr 35 Prozent aller Beförderungen auf Frauen entfallen. Unter dem Strich macht das pro Jahr 1,2 Prozentpunkte mehr Frauen in Leitungsfunktionen.

Das klingt, als hätte Daimler großen Nachholbedarf.

Wir haben das Thema vor 2006 nicht so vorangetrieben, wie es aus heutiger Sicht möglich gewesen wäre. Aber das gilt für fast alle Unternehmen in Deutschland. Und letztlich auch für die Gesellschaft insgesamt: Bis zum Ende der Grundschule haben unsere Kinder in der Regel fast ausschließlich mit Frauen zu tun, die eine wenig techniknahe Erziehung genossen haben. Wir müssen diesen Müttern, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen noch mehr Technikbegeisterung vermitteln, damit sie diese an die Kinder weitergeben und sich noch mehr junge Frauen für eine entsprechende Ausbildung entscheiden.

Oder den Vätern Gelegenheit geben, eine Karrierepause zu machen, um in Elternzeit zu gehen…

Das bieten wir ebenfalls an.

Auch auf den oberen Führungsebenen?

Auch. Aber dort werden, ehrlich gesagt, nicht mehr ganz so viele Männer noch einmal Vater. Sie können trotzdem Vorbild sein und Kollegen ermutigen, in bestimmten Situationen zu sagen: erst die Familie, dann die Firma.

"Keine Pläne für Kurzarbeit in unseren Werken"

Bei Daimler scheint es genug zu tun zu geben. Mercedes wird im zweiten Halbjahr weniger verdienen als im ersten. Es wird ein neues Sparprogramm aufgelegt. Wird auch beim Personal gekürzt?

Die Details des Maßnahmenbündels stehen noch nicht fest. Es geht bei diesem Programm im Schwerpunkt darum, fit für die schwierigeren Rahmenbedienungen zu sein. Gleichzeitig wachsen wir ja beim Absatz weiter, und eine wesentliche Voraussetzung dabei ist es natürlich, entsprechend die Mannschaft dafür an Bord zu haben. Betriebsbedingte Kündigungen sind im Zuge unserer 2011 verlängerten Zukunftssicherung ohnehin ausgeschlossen. Programme zur Effizienzsteigerung haben uns übrigens immer begleitet, da es sich niemand mehr leisten kann, hier nicht am Ball zu bleiben. Deshalb muss niemand in Panik ausbrechen. Wir reden nach dem zurückliegenden Rekordjahr auch 2012 weiterhin über ein sehr erfolgreiches Jahr für Mercedes.

Wird Daimler Ende des Jahres wie vorausgesagt mehr Beschäftigte haben?

Davon gehen wir derzeit aus. Wir bauen außerhalb Deutschlands Beschäftigung auf – in Ungarn, in Indien, in den USA. Das heißt nicht, dass wir die deutschen Standorte herunterfahren. Im Gegenteil, wir investieren auch kräftig im Inland. In Rastatt haben wir zuletzt die Kapazität ausgebaut. Insgesamt wird die Beschäftigung im Inland stabil bleiben.

Es gibt auch keine Pläne für einen Einstellungsstopp in Deutschland oder gar einen Stellenabbau?

Es gibt bei Daimler keinen generellen Einstellungsstopp und auch kein Personalabbau-Programm.

Schließen Sie aus, dass Daimler im laufenden Jahr Kurzarbeit in deutschen Montage- und Komponentenwerken einführen muss?

Es gibt keine Pläne für Kurzarbeit in unseren Werken.

Bei der Profitabilität liegt Mercedes hinter BMW und Audi. Haben Sie zu viele Leute an Bord?

Nein, haben wir nicht. Unsere eigene Vertriebsorganisation ist zum Beispiel im Vergleich zu den Wettbewerbern größer und unsere Fertigungstiefe höher, deshalb ist ein direkter Vergleich schwierig.

Wie alt sind die Daimler-Beschäftigten eigentlich im Durchschnitt?

Aktuell: 43 Jahre.

Und womit rechnen Sie in zehn Jahren?

Für 2020 schätzen wir das Durchschnittsalter auf rund 47 Jahre.

Der Anteil der über 60-Jährigen in der deutschen Automobilproduktion ist verschwindend gering. Kann man überhaupt bis 67 am Band arbeiten?

Das geht sicherlich nicht an allen, aber an ausgewählten Arbeitsplätzen. Wir haben sehr stark in technische Hilfsmittel investiert, um viele Arbeitsschritte körperlich weniger belastend zu machen. Und nicht jeder muss sein Leben lang am Band arbeiten. Es gibt viele Möglichkeiten zu wechseln - in den Werkzeugbau, in die Entwicklungs- und Versuchswerkstätten, in die Instandhaltung und andere Bereiche. Der Grund für den geringeren Anteil der Älteren am Band liegt nicht an den schlechten Arbeitsbedingungen, sondern vor allem daran, dass viele von der Chance auf Altersteilzeit oder Frührente Gebrauch gemacht haben.

Die IG Metall wird mit der Kampagne "Gute Arbeit - gut in Rente" ins Wahljahr ziehen. Die Gewerkschaft wirft Daimler vor, weniger als die Wettbewerber für ältere Arbeitnehmer zu tun.

Wir widmen uns dem Thema Generationenmanagement schon seit vielen Jahren - auch in vielen guten, aber nicht immer einfachen Gesprächen mit dem Betriebsrat. Wenn es um die Bewertung altersgerechter Arbeitsplätze geht, legen wir strengere Maßstäbe an als die Konkurrenz. Aber: Am Ende muss es auch für das Unternehmen wirtschaftlich machbar bleiben. Mancher Wettbewerber ist bei diesem Thema plakativer, aber nicht unbedingt fortschrittlicher.

Beim Thema Elektromobilität sind die deutschen Hersteller ähnlich schnell unterwegs, nämlich im Schneckentempo. Das öffentliche Interesse an dem Thema hat nachgelassen – beruhigt Sie das?

Nein, wir haben bereits Tausende Mitarbeiter qualifiziert und unsere Produktion für die Fertigung hoher Stückzahlen von E-Autos fit gemacht. Diese Investitionen sind notwendig, egal ob man aktuell zehn oder 10 000 Elektroautos verkauft. Viel mehr Gedanken muss man sich allerdings machen, ob die Rahmenbedingungen für diesen gewollten gesellschaftlichen Wandel schon stimmen. Es ist keine gute Idee, sich ganz zurückzuziehen und zu sagen: Das hat alles die Industrie zu leisten. Wenn nur die Wirtschaft die Investitionen für neue Technologien aufbringen soll, dann hätten wir zum Beispiel auch keine Solartechnik. Niemand hätte diese Kosten alleine schultern können.

Das heißt, der deutsche Staat muss die Elektromobilität noch stärker fördern?

Wenn man eine Million Elektrofahrzeuge auf deutsche Straßen bringen will, dann muss man das mit den geeigneten Rahmenbedingungen unterstützen. Zum Beispiel mit der notwendigen Infrastruktur. Und wenn der Kunde nicht bereit ist, die signifikanten Mehrkosten für einen Elektro-Antrieb zu bezahlen, dann kann es nicht sein, dies einzig auf die Unternehmen abzuwälzen. Das wird nicht funktionieren. Auch Toyota wäre mit seinen Hybridfahrzeugen weniger weit, wenn der japanische Staat am Anfang diese Technologie nicht mit Anreizen gefördert hätte.

Sie fordern direkte Prämien für den Käufer eines Elektroautos?

Am Ende müssen die Kunden das Auto bezahlen können. Ich glaube, dass wir mit einem direkten Kaufanreiz eine deutlich schnellere Entwicklung anstoßen würden.

Sonst wird es nichts mit der Million E-Autos, die die Bundesregierung 2020 auf deutschen Straßen haben will?

Das wird aus meiner Sicht sonst eher schwierig. Nehmen Sie die Kosten für einen aktuellen Elektro-Smart: Mit diesem Auto können wir zunächst kein Geld verdienen. Nicht, weil wir die Kosten nach oben treiben, sondern weil die Komponenten von der Batterie bis zum alltagstauglichen Elektromotor komplett neu entwickelt werden müssen und derzeit entsprechend teuer sind.

Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Wir sind gut gerüstet, mit voller Kraft einzusteigen. Aber ich glaube, dass Kunden mit ökologischem Gewissen auch wirtschaftlich in die Lage versetzt werden müssen, sich schon heute Elektroautos leisten zu können.

Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt Sie auch bei der Ausbildung des Führungsnachwuchses. Daimler rekrutiert zunehmend Fach- und Führungskräfte von europäischen Business-Schools, auch von der Berliner ESMT. Was stört Sie an den US-Absolventen?

Ich bin ein Ingenieur, der sich am Ende immer für die Fakten interessiert. Wenn ich mir die Probleme in der Finanzwirtschaft anschaue, dann muss ich leider sagen: Diese haben vor allem auch mit der einseitigen und eindimensionalen Denkweise der anglo-sächsisch geprägten Business-Schools zu tun. Sie orientiert sich vornehmlich an Fallstudien aus der Vergangenheit. Wer die Zukunft gestalten will, wer nachhaltig sein will, wichtige gesellschaftliche Fragen beantworten und wirtschaftliche Entscheidungen hinterfragen will, der darf sich aber nicht nur an der Vergangenheit orientieren.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

DER MANAGER

Wilfried Porth (53) ist seit 2009 Personalvorstand und Arbeitsdirektor bei Daimler. Der Diplom-Ingenieur kam 1985 zum Stuttgarter Autokonzern. Porth leitete die Busfertigung und -entwicklung in Brasilien und war Produktionschef bei Mercedes-Benz in Südafrika. In Japan führte der gebürtige Baden- Badener die Lkw-Tochter Mitsubishi Fuso.

DER KONZERN

Daimler ist einer der größten Hersteller von Luxusautos und Weltmarktführer im Lkw-Geschäft. Der Dax-Konzern beschäftigt rund 274 000 Mitarbeiter – gut 166 000 davon in Deutschland. 2011 setzte Daimler mehr als 106 Milliarden Euro um und verdiente sechs Milliarden Euro.

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