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„Italien ist eigentlich kein krankes Land“, sagt Manfred Gentz. Wenn Berlusconi nicht wäre.

©  Mike Wolff

Daimler-Vorstand Manfred Gentz: „Investoren fühlen sich in Berlin nicht willkommen“

Für Berlin als Wirtschaftsstandort muss viel mehr geworben werden, mein Manfred Gentz. Im Interview spricht der ehemalige Daimler-Vorstand außerdem über Berlusconi und smarte Investmentbanker.

Herr Gentz, sorgen Sie sich um den Euro?

Ich bin überzeugt, dass der Euro trotz aller Mängel ein gutes Instrument ist, um Europa enger zusammenzuführen. Dabei ist es dringend erforderlich, den Euro zu erhalten und zu stabilisieren – auch mit stärker sanktionierten Spielregeln als heute. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro überlebt, ist größer als die Wahrscheinlichkeit seines Untergangs, da die Regierungen den Euro wollen.

Aber können die sich den Euro auch leisten – die Griechen zum Beispiel?
Hoffentlich bekennen sich die Griechen zu den notwendigen Strukturmaßnahmen. Wenn die sich darauf nicht verständigen, werden sie wohl austreten. Das ist dann aber eine Entscheidung der Griechen selber. Alles in allem werden wir noch durch weitere Turbulenzen gehen.

So wie in den Krisenjahren 2009/10?
Ich sehe zwar die Gefahr von möglicherweise auch starken Auswirkungen auf andere Länder und auf das europäische Bankensystem. Doch ich vermute, dass die Wirkungen von Griechenland kontrollierbar geworden sind. Dafür haben die Finanzinstitutionen ihre mit Griechenland verbundenen Risiken abgebaut. Ein plötzlicher Schock wie nach der Lehman- Pleite scheint mir deshalb wenig wahrscheinlich.

Und wenn Italien kollabiert?
Wenn Herr Berlusconi zurücktritt, dann beruhigt das die Märkte und stärkt das Vertrauen in Italien. Jede neue Regierung wird besser sein als die von Berlusconi. Italien ist ja eigentlich kein krankes Land. Der Staat ist überschuldet und leider korrupt – das macht ja einen großen Teil der Berlusconi-Herrschaft aus. Ebenso die unregelmäßige Zahlung von Steuern. Doch die privaten Haushalte und die Firmen sind nicht überschuldet.

Für zehnjährige Anleihen muss Italien inzwischen um die sieben Prozent zahlen – das ist kaum zu verkraften.

Das sagen viele. Sieben Prozent gilt als Grenze, ab der die Totenglocken läuten. Ich bleibe dagegen Optimist: Mit einer neuen Regierung wird sich das Problem dieser hohen Risikoaufschläge relativ schnell erledigen.

Sie waren zehn Jahre Finanzvorstand eines der größten Industrieunternehmen hierzulande. Was käme auf Daimler zu, wenn der Euro scheiterte?
Das Zurückdrehen wäre hoch komplex – und sehr teurer. Die kostengünstige und schnelle Abwicklung von Finanztransaktionen wäre vorbei. Und für den europäischen Zusammenhalt wäre das ein unglaublicher Rückschritt.

Hat die deutsche Industrie genug für den Euro und die Rettung des Euros geworben?
In der Wirtschaft ist die Bedeutung des Euros unstrittig und wird entsprechend unterstützt. Das Bauchgefühl vieler Bürger mag ein anderes sein.

Die Bürger haben Angst ums Geld und sind sauer auf die Banken. Würde eine Finanztransaktionssteuer die Leute besänftigen?
Ich halte so eine Steuer für einen Irrweg – es sei denn, man führte sie global ein. Das wird aber nicht passieren, weil Amerika und England nicht mitmachen. Wir bekommen eine Verlagerung der Geschäfte in die USA oder nach London, vor allem im Derivatemarkt. Viele Transaktionen sind heute nicht mehr lokal gebunden. Die Finanzmarkttransaktionssteuer, die am Ende der Verbraucher zahlt, würde den Finanzplatz Kontinentaleuropa schwächen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: "Berlin war nicht aktiv genug."

Es geht dabei auch um Entschleunigung im weltweiten Casino. Die Zocker, die jeden Tag mit Milliarden handeln, sollen mit der Steuer für jedes Geschäft zahlen.
Das ist intendiert. Doch letztlich müsste die Transaktionssteuer die Marktteilnehmer so belasten, dass sich die Geschäfte nicht mehr lohnen. Das glaube ich aber nicht. Wir sollten auch eines nicht aus dem Auge verlieren: Die Kreativität unserer smarten Investmentbanker ist viel, viel größer als die eines Steuerexperten, Aufsehers oder politischen Regulators. Diese Investmentbanker werden Auswege finden.

Also gibt es keine Chance, etwas gegen sie zu unternehmen?
Man muss in das System mehr Transparenz bringen. Wenn zum Beispiel alle standardisierbaren Derivate über kontrollierte Märkte abgewickelt würden, dann gäbe es mehr Transparenz. EU-Kommissar Barnier hat das kürzlich wieder angeregt. Aber ich bin nicht sicher, ob er das auch durchsetzt, denn die Investmentbanken lieben das überhaupt nicht. Sie verdienen mit diesen Transaktionen, die nicht an den Börsen gehandelt werden, viel Geld.

Also haben wir aus der Lehman-Pleite keine Konsequenzen gezogen?
Was mich sehr beunruhigt: Alle Regierungen haben gesagt, so ein Schneeballeffekt dürfe nicht wieder passieren und wir bräuchten mehr Transparenz. Wenn ich mir heute ansehe, wie viel mehr Transparenz es gegeben hat, dann ist das fast null.

Herr Gentz, Sie sind in Berlin aufgewachsen, haben hier studiert und sich in diversen Institutionen engagiert. Wie geht es der Stadt 22 Jahre nach dem Mauerfall?

Die Stadt hat Stärken zurückgewonnen, aber in den vergangenen Jahrzehnten die ökonomische Seite vernachlässigt. Der Haushalt ist durch hartes Sparen teilweise auf einen guten Weg gebracht worden. Auf der Einnahmeseite ist aber zu wenig passiert, Berlin war nicht aktiv genug. Investoren haben häufig den Eindruck, hier nicht willkommen zu sein.

Wie kommt das?
Das hängt auch damit zusammen, dass die obersten Repräsentanten des Berliner Senats bis hin zum Regierenden Bürgermeister sich nicht wirklich darum bemüht haben, Wirtschaft hierherzubekommen. Die haben an einen Selbstläufer geglaubt: Investoren kommen von selbst, weil sie ja nach Berlin kommen müssen. Aber niemand muss nach Berlin kommen. Und wenn große Investoren Interesse hatten, dann sind die nicht eben freundlich begrüßt worden.

Zum Beispiel?
Herr Lauder aus den USA hatte Pläne für Tempelhof – und ist nicht einmal zu einem Gespräch mit einem Senator empfangen worden. Das geht nicht. Die Leute müssen sich willkommen fühlen – und das ist heute, fürchte ich, noch immer nicht der Fall.

Klaus Wowereit hat inzwischen immerhin die Bedeutung der Industrie erkannt.
Die hat er für den Wahlkampf entdeckt. Sein Verhalten in den vergangenen zehn Jahren war nicht so. Herr Ackermann hat kürzlich hier in Berlin von einem internationalen Beirat einer großen chinesischen Stadt und von Singapur berichtet, denen er angehört und die sich Gedanken machen über eine verstärkte, auch wirtschaftliche Attraktivität dieser Städte. Von Berlin dagegen sei er noch nie gefragt worden. Im Grunde genommen war das eine Steilvorlage für den Regierenden Bürgermeister. Keine Reaktion. Warum haben wir nicht so einen Beirat?

Weil wir Politiker wählen und keine Berater oder Beiräte.
Sicher. Aber nehmen wir die Vermarktung der großen Flächen im Ostteil der Stadt sowie Tegel und Tempelhof. Die dafür erforderlichen Konzepte kann man auch in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsleuten entwickeln. Doch es fehlt an Bereitschaft in der Politik. In der Gesundheitswirtschaft ist Berlin stark profiliert – aber das liegt nicht an der Politik, sondern an Leuten wie Stock, Ganten oder Einhäupl.

Also hat Berlin gute Wissenschaftler, wenig Unternehmer und schlechte Politiker?
Die Senatsverwaltung hat – auch durch die Mauerzeit – sehr lange in festgefahrenen Gleisen operiert. Die stark verflochtene und etwas selbstreferentielle Berlin Community ist heute offener als vor 20 Jahren. In der Wirtschaft ist es ganz gut, in der Wissenschaft, Kunst und Kultur noch besser. In der Politik sind wir noch nicht so weit. Wir haben wenig Nachwuchs im politischen Bereich, der nicht aus diesen alten Strukturen kommt. Das erklärt zum Teil die Trägheit und Selbstgenügsamkeit.

Manfred Gentz wurde 1942 in Riga geboren. Er wuchs in Berlin auf, wo er auch Jura studierte und promovierte. 1970 begann Gentz bei Daimler-Benz. 15 Jahre später saß er im Vorstand, zuständig für das Personal. Später wurde er Chef der Dienstleistungstochter Debis, deren grüner Würfel noch immer auf dem Hochhaus am Potsdamer Platz, der früheren Debis-Zentrale, steht. Von 1995 bis 2004 war Gentz schließlich für die Finanzen von Daimler-Benz respektive Daimler-Chrysler zuständig. Gentz hatte und hat zahlreiche Ehrenämter und Mandate. Er ist Präsident der Internationalen Handelskammer, war Vorsitzender des Kuratoriums der TU Berlin und ist Aufsichtratschef der Deutschen Börse.

Alfons Freese

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