zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Das Armenhaus Europas ist in Sachen Euro ein Musterknabe

LISSABON . In Italien, vielleicht auch in Deutschland und Frankreich, wird das Loch im Haushalt 1999 womöglich höher ausfallen, als der europäische Stabilitätspakt erlaubt.

LISSABON . In Italien, vielleicht auch in Deutschland und Frankreich, wird das Loch im Haushalt 1999 womöglich höher ausfallen, als der europäische Stabilitätspakt erlaubt. António José Fernandes de Sousa, Chef der portugiesischen Notenbank und damit Mitglied des Rates der Europäischen Zentralbank, hält das für kein gutes Zeichen und bleibt doch gelassen. Das hat viel mit der Situation seines Landes zu tun. Portugal gilt als Billiglohnland der EU, wenn nicht sogar als Armenhaus, und hat dennoch nicht die Probleme der großen EU-Länder. Sousa kann seine Genugtuung darüber nicht verbergen, daß Portugal 1999 alle Vorgaben des Stabilitätspaktes erfüllen wird.

Im Gebäude der Zentralbank mitten in Lissabon gibt sich Sousa bemerkenswert auskunftsfreudig. Kein Wunder: Portugal schreibt seit Jahren eine Erfolgsgeschichte, an der die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik wichtigen Anteil trägt. Das Land hat sich seit Ende der achtziger Jahre zum europäischen Musterschüler gewandelt. Politische Stabilität, eine konsequente Finanz- und Haushaltspolitik, eine gradlinige Privatisierung fast aller Staatsbetriebe, die Liberalisierung der Märkte und zurückhaltende Gewerkschaften waren die Erfolgsgaranten, wie Sousa betont. Die Inflationsrate, 1990 noch bei 13 Prozent, liegt derzeit bei 2,5 Prozent, das Haushaltsdefizit, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), wurde von 6,1 Prozent 1993 auf 2,3 Prozent im vergangenen Jahr heruntergefahren. "Trotz der höchsten öffentlichen Investitionsrate in Europa", wie Sousa anfügt. Und die Schuldenquote, ebenfalls gemessen am BIP, wird 1999 auf 54 Prozent sinken. 1995 lag sie noch bei 65,9 Prozent.

Portugal ist so erfolgreich, daß es es als erster Staat überhaupt im April in den Augen der Finanzmärkte geschafft hat, von einem Schwellenland ("emerging market") zu einem normalen Industrieland aufzusteigen. Michael Seyda, Fonds-Manager beim Deutschen Investment-Trust (DIT), dem Fonds-Ableger der Dresdner Bank, ist denn auch voll des Lobes und wirbt nachdrücklich für Aktien der privatisierten portugiesischen Banken und der privatisierten Portugal Telecom. Bei aller Euphorie des Notenbank-Präsidenten und des Fonds-Managers mahnen kritische Beobachter allerdings zur Vorsicht. Aus mehreren Gründen: Portugal profitiert immer noch von milliardenschweren Überweisungen aus Brüssel - netto etwa fünf bis sechs Mrd. DM pro Jahr, und auch in Portugal sind dringend Strukturreformen erforderlich. Fraglich bleibt auch, ob die Gewerkschaften immer so zurückhaltend agieren wie in der Vergangenheit. Bislang stehen sie für einen erheblichen Teil des Erfolgs: Sie schauen, wie auch Zentralbank-Präsident Sousa anerkennend bemerkt, weniger auf steigende Einkommen, sondern auf die Sicherung der bestehenden und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Dies hat allerdings Konsequenzen für die Bevölkerung. Das durchschnittliche verfügbare Einkommen eines Arbeitnehmers liegt bei umgerechnet rund 1000 DM im Monat. Ein Vier-Personen-Haushalt braucht aber mindestens 1800 DM. Also muß auch die Ehefrau arbeiten. Generell kämpft Portugal immer noch mit beträchtlichen Einkommensunterschieden. Fast überall in Lissabon gibt es slumähnliche Siedlungen. Selbst unweit des edlen Glaskastens der neuen Lissabonner Börse sieht man armselige Hütten aus Wellblech und Holz.

Zur Startseite