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Wirtschaft: "Das blende ich einfach aus"

Ulrich Lemkes Blick wandert über die Luftkissenfahrzeuge, mit denen die Adtranz-Arbeiter tonnenschwere U-Bahn-Wagen millimetergenau hin- und hermanövrieren können."Was für ein Wahnsinn", sagt der Rentner leise, während er sich in der großen, modernen Produktionshalle umschaut.

Ulrich Lemkes Blick wandert über die Luftkissenfahrzeuge, mit denen die Adtranz-Arbeiter tonnenschwere U-Bahn-Wagen millimetergenau hin- und hermanövrieren können."Was für ein Wahnsinn", sagt der Rentner leise, während er sich in der großen, modernen Produktionshalle umschaut.Sein Blick bleibt hängen an drei Monteuren, die ein frischlackiertes Gehäuse mit dem Stahlgerüst eines U-Bahn-Wagens verkleben."Das alles soll dicht gemacht werden?" Lemke schüttelt den Kopf."Das ist doch noch wie neu." Der Neuköllner und weitere 19 Bahnfreunde auf Besichtigungstour im Adtranz-Werk Pankow, Teil des Sightseeing-Programms "Schaustelle Berlin".

Eigentlich war Lemke lediglich gekommen, um zu sehen, wie in der Montagehalle aus vorgefertigten Einzelteilen die U-Bahnzüge der Baureihe "H97" zusammengesetzt werden.Und er ist begeistert: "Ich habe noch nie ein so hochentwickeltes Werk gesehen", sagt der Fan.Im Prospekt der "Schaustelle" war das vor einem Jahr eröffnete Werk als eine der modernsten Bahnfabriken gepriesen worden.Doch nun soll es geschlossen werden: Vor einem Monat verkündete Adtranz, ein Gemeinschaftsunternehmen von ABB und Daimler Benz, das Werk mitsamt seinen 350 Beschäftigten im kommenden Jahr dichtzumachen.Die Arbeiter bangen seitdem um ihre Zukunft, die Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung dauern an.

Ein dem Untergang geweihtes Werk als sommerliche Touristenattraktion? Für den Betriebsrat ist das "einfach makaber", wie die stellvertretende Vorsitzende Iris Trompa sagt."Einerseits wird unser Betrieb als eine tolle Firma angepriesen, andererseits will Adtranz den Laden zumachen.Das paßt doch nicht zusammen." Dennoch freut sich die Betriebsrätin über die kleine Besuchergruppe.Das bringt zusätzliche Publizität für ihren Kampf gegen die Schließung.Zu Beginn der Führung drückt sie den Gästen Flugblätter in die Hand und wirbt um Unterstützung.Mit unterschiedlicher Resonanz: "Sagen Sie uns, wie wir Sie unterstützen können", bittet ein älterer Herr.Andere wehren ab: "Die Schließung und der technische Prozeß der Montage sind für mich zwei völlig verschiedene Sachen, die nichts miteinander zu tun haben", stellt Hans-Martin Groß klar.Der junge Mann aus dem Wedding will erfahren, mit welcher Technik in Pankow die U-Bahn-Züge zusammengebaut werden."Das andere blende ich einfach aus."

Das Ausblenden fällt in der 15 000 Quadratmeter großen Montagehalle allerdings nicht leicht, denn die Arbeiter haben sich auf den Besuch vorbereitet.An den leuchtend gelben U-Bahn-Wagen, die auf den Montagegerüsten stehen, hängen Protest-Plakate.Sie zeigen ein untergehendes Schiff mit der Aufschrift "Adtranz".Andere sagen offen, wer nach Meinung der Arbeiter Schuld an der Misere trägt: "Trotz Werkschließung haben wir in Pankow ganz kräftig Subventionen abkassiert.Der Vorstand." Während Adtranz-Projektleiter Michael Paschen den Gästen Details der Kunststoffbeschichtung erklärt, studieren einige der Besucher die Poster oder reden mit den Arbeitern.

Der Unternehmensleitung ist die Sache sichtlich unangenehm."Zu der besonderen Problematik geben wir keine Auskünfte", teilt Personalleiter Kai Varnai seinen Gästen gleich zur Begrüßung mit.Und Projektleiter Paschen erklärt: "Als wir die Veranstaltung im Mai vereinbart haben, war ja noch nichts abzusehen.Jetzt ziehen wir das eben so durch wie damals geplant." Fragen zur aktuellen Lage mag er nicht beantworten.Den Technik-Freaks tut die Schließung weh.Auch aus Eigeninteresse."Wo kann man denn", erkundigt sich ein Besucher bei Paschen nach der Führung, "die Fertigung von Zügen besichtigen, wenn das Werk hier dicht ist?"

LARS VON TÖRNE

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