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Lauter und langsamer als Düsenjets sind Propellermaschinen, hier eine ATR 72-600, noch heute. Doch sie sind sparsamer und werden wieder öfter auf Kurzstrecken eingesetzt.Foto: ATR

© picture-alliance/ dpa

Wirtschaft: Das Comeback der Propeller

Vor acht Jahren stand der Turboprop-Hersteller ATR vor dem Aus – Nun aber sind seine Flieger weltweit gefragt wie nie zuvor.

Eigentlich galten Propellerflugzeuge schon lange als Auslaufmodell. Regionaljets sind schicker und schneller, lautete jahrelang die Devise. Doch angesichts der explodieren Treibstoffpreise und der wirtschaftlichen Probleme vieler Luftverkehrsgesellschaften erweist sich die ältere Technik auf der Kurzstrecke als die kostengünstigere Alternative. Davon profitiert insbesondere der Hersteller ATR, eine Tochter von EADS und Finnmeccanica, der den Umsatz verdoppelte und jetzt sogar ein größeres Modell plant.

Um die Jahrtausendwende herum hatten die Regionaljets von Bombardier (Kanada) und Embraer (Brasilien) die Propellerflugzeuge fast vom Markt verdrängt. Die Produktion der meisten Turboprops, bei denen die Turbinen Propeller antreiben, wurde eingestellt. Im Gegensatz zu den Düsenmaschinen galten sie als langsam, laut und unbequem, die Airlines warben bei ihren Passagieren mit den eleganteren Jets.

„Auch mir ging es damals auf die Nerven, wenn ich mit einem solchen Turboprop fliegen musste“, räumt Filippo Bagnato ein. Der Italiener tauschte 2004 den Chefsessel bei der Eurofighter GmbH gegen die Führungsposition bei Avions de Transport Regional in Toulouse ein. Dort baut man seit drei Jahrzehnten fast unbemerkt im Schatten der großen Airbus-Fabriken die Propellermaschinen ATR 42 (bis zu 52 Passagiere) und ATR 72 (maximal 74 Fluggäste). Ähnlich wie bei Airbus werden die Komponenten an verschiedenen europäischen Standorten gefertigt. Rümpfe und Leitwerke kommen aus Italien, Tragflächen und Triebwerke aus Frankreich per Schiff und Lkw zur Endmontage.

Bei Bagnatos Dienstantritt lagen nur noch Bestellungen für fünf Flugzeuge vor und es wurde erwogen, die Firma abzuwickeln. Stattdessen setzte man auf die Modernisierung des Produktes. So entstand die Baureihe 600, deren vom Designhaus Giugiaro entworfene Kabine sich mit moderner LED-Beleuchtung, bequemeren Leichtsitzen und größeren Gepäckfächern nicht mehr von den Jets unterscheidet. Dank verbesserter Isolierung gelang es, den Geräuschpegel an Bord um neun Dezibel zu senken. An den Tragflächen hängen stärkere Triebwerke, das Cockpit entspricht dem Airbus-Standard und die Bordelektronik erlaubt wie bei den Jets Landungen fast bis zur Nullsicht.

Ein Konzept, das angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung im Luftverkehr und der steigenden Ölpreise aufging. Seit 2005 hat man 510 Neubestellungen eingefahren. Und konnten Bombardier und Embraer zusammen in diesem Jahr bisher nur vier ihrer kleinsten Regionaljets in der Kategorie der 70-Sitzer verkaufen, wurden bei ATR 103 entsprechende Turboprops bestellt.

Einziger Wettbewerber von ATR ist Bombardier, wo man sich allerdings verstärkt auf die Jets konzentriert und die Produktion der kleineren Turboprops vor einigen Jahren eingestellt hat. Gebaut wird hier nur noch der ATR 72-Konkurrent Q400, seit 2008 in ebenfalls modernisierter Version. Das Modell hat stärkere Triebwerke und ist deshalb rund 150 Stundenkilometer schneller als der europäische Wettbewerber. Dafür wiegt die Maschine aber einige Tonnen mehr und hat demzufolge höhere Betriebskosten. Auch beim Kaufpreis gibt es deutliche Unterschiede: Eine ATR 72-600 kostet nach Listenpreisen rund 23 Millionen Dollar, eine Q400 etwa 34 Millionen.

Liefert man sich in diesem Jahr bei den Neuaufträgen ein Kopf-an-Kopf-Rennen (ATR 53, Bombardier 49 Turboprops), sind die Europäer mit zwei Dritteln der weltweiten Flotte Marktführer. Auch beim Auftragsbestand (ATR 220, Bombardier 54) hat man die Nase vorn. Die erste ATR 72-600 wurde vor gut einem Jahr an Royal Air Maroc ausgeliefert, die erste ATR 42-600 ging dieser Tage an einen nicht genannten Kunden. Die Produktion wird von 54 Flugzeugen im vergangenen Jahr bis 2014 auf 85 gesteigert. Dafür wurde in Toulouse eine weitere Halle von Airbus übernommen, die Belegschaft von 700 auf 1100 Mitarbeiter vergrößert. Der Jahresumsatz, der sich seit 2006 auf 1,3 Milliarden US-Dollar verdoppelt hat, soll mit dem Hochlaufen der Fertigung auf zwei Milliarden steigen. Der Gewinn wird nicht veröffentlicht, lag aber inoffiziellen Angaben zufolge 2011 im zweistelligen Millionenbereich.

Auch zukünftig dürfte der Turboprop-Markt ein Milliardengeschäft bleiben. So erwägt auch die schwedische Saab eine Rückkehr in dieses vor 13 Jahren aufgegebene Segment. Denn auf den Kurzstrecken um eine Stunde Flugdauer macht sich die höhere Geschwindigkeit der Regionaljets kaum bemerkbar. Und von den 2,7 Milliarden Passagieren, die 2011 im weltweiten Luftverkehr transportiert wurden, flogen 30 Prozent auf Routen mit einer Länge von unter 300 nautischen Meilen (555 Kilometern). Das waren rund 800 Millionen Fluggäste.

So sieht Bombardier in den kommenden 20 Jahren einen Markt für 2850 Turboprops, ATR geht sogar von 3300 Maschinen aus – und plant dabei einen Vorstoß auch in den bisher noch von den Jets der Konkurrenz beherrschten Markt der 90-Sitzer. Auf dieses Segment könnten allein 1100 Flugzeuge entfallen, schätzt Bagnato. Man arbeitet bereits an der Entwicklung einer größeren Propellermaschine. Sie könnte um 2020 abheben.

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