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Wirtschaft: "Das deutsche Modell wird nicht überleben"

Der Präsident des HWWA-Instituts über Fusionen, die Chancen der Globalisierung und den Streit der GenerationenThomas Straubhaar hat als Schweizer in Deutschland Karriere gemacht. Er ist der erste Ausländer, der einem wirtschaftswissenschaftlichen Institut in Deutschland vorsteht.

Der Präsident des HWWA-Instituts über Fusionen, die Chancen der Globalisierung und den Streit der Generationen

Thomas Straubhaar hat als Schweizer in Deutschland Karriere gemacht. Er ist der erste Ausländer, der einem wirtschaftswissenschaftlichen Institut in Deutschland vorsteht. Der Professor für Volkswirtschaft, 1957 geboren, hat in Berkeley und Basel studiert und wurde 1999 zum Präsidenten des Hamburger Instituts für Wirtschaftsforschung (HWWA) ernannt. Straubhaar ist zugleich Professor an der Universität Hamburg und Fellow des Center for Economic Policy Research in London.

Herr Straubhaar, seit einigen Monaten nehmen Geschwindigkeit und Ausmaß globaler Unternehmensfusionen zu. Bedrohen Vodafone-Mannesmann oder die Bankenfusion die deutsche Unternehmenstradition?

Wenn Sie damit die überwiegend national ausgerichtete Unternehmensstruktur Deutschlands meinen, dann ist das zweifelsohne so. Was jetzt durch die Zusammenschlüsse von Unternehmen über Ländergrenzen hinweg passiert, ist nichts anderes als eine natürliche Anpassung der Unternehmen an veränderte Strukturen der Märkte. Moderne Technologien - das Internet - haben aus territorialen Handelsräumen internationale - globale - Märkte gemacht. Auch der europäische Binnenmarkt nimmt jetzt auf einmal Gestalt an. Den Unternehmen bleibt gar nichts anderes übrig als ihre Betriebsgrößen darauf einzustellen. Die Bankenbranche macht erst den Anfang. Viele andere werden folgen. Die nächsten werden die Versicherungen und Transportunternehmen sein. Sie werden sehen, dass die Geschwindigkeit noch zunimmt.

Das deutsche Modell war über Jahrzehnte hinweg sehr erfolgreich. Müssen wir es nicht retten?

Nein. Kraft der ökonomischen Gesetze wird der Strukturwandel schneller und tiefer gehen als in der Vergangenheit. Wir sind erst am Anfang. Gerade bei den Banken kann man sehen, wie stark sich traditionelle Formen von Dienstleistungen verändern. Der klassische Bankschalter verliert seine Bedeutung für das Geschäft. Die Kunden bevorzugen es, rascher und viel übersichtlicher per Internet die Angebote der Konkurrenten weltweit vergleichen und auch nutzen zu können. Die Arbeitsplätze an den Bankschaltern sind dadurch auf einmal so wertschöpfungsarm wie vor einigen Jahren noch die Jobs in den Tante-Emma-Läden. Im Handel käme auch niemand auf die Idee, an den Unternehmensstrukturen der fünfziger Jahre festhalten zu wollen.

Dennoch bewerten viele die Entwicklung als negativ. Es wächst die Furcht vor steigender Arbeitslosigkeit durch Fusionen.

Es ist wohl ganz menschlich, den Status Quo der ungewissen Zukunft vorzuziehen. Und ich verstehe auch, dass die Menschen zuerst die negativen Seiten sehen. Schließlich kann es niemandem egal sein, wenn durch eine Fusion wie die von Deutscher und Dresdner Bank mehr als 10 000 Arbeitsplätze verloren gehen und die versprochenen Synergieeffekte erfahrungsgemäß erst in fünf Jahren eintreten werden. Aber es hilft überhaupt nicht, darüber zu klagen. An der Macht des Faktischen führt kein Weg vorbei. Die Märkte werden global, und wir müssen uns anpassen. Wir haben keine Chance zum Ausweichen und auch keine Zeit, über die klassischen nationalstaatlichen Strukturen zu klagen, die verloren gehen. Den Strukturwandel herauszuzögern heißt, ihn langfristig volkswirtschaftlich noch teurer zu machen. Denn wir laufen Gefahr, dass am Ende ganze Unternehmen in den veränderten Märkten nicht mehr bestehen können. Und dann verschwinden noch mehr Jobs als jetzt durch Fusionen.

Die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone hat die Angst der Deutschen vor Überfremdung gezeigt. Müssen wir uns darauf einstellen, eine Werkbank ausländischer Konzerne zu werden?

Auch diese Angst ist unbegründet. Die Europäisierung der Wirtschaft - etwa bei Vodafone-Mannesmann - ist für Deutschland ein positiver qualitativer Sprung. Ausländische Eigentümer von Unternehmen und Ausländer auf allen Ebenen der Betriebe bringen frische und neue Ideen nach Deutschland. Heute ist immer noch selbst in den Vorstandsetagen der deutschen Konzerne jeder Ausländer ein Exot. Das kann nicht gut sein. Wie wollen deutsche Unternehmen auf einem europäischen und gar internationalen Markt auf Dauer erfolgreich sein, wenn sie fern ab davon Entscheidungen treffen? Deutschland braucht nicht nur für Ingenieure in der IT-Branche Green Cards.

Heißt das, wir sollen uns auf allen Ebenen für Ausländer öffnen? Portugiesische Bauarbeiter und polnische Putzfrauen belasten schon jetzt den deutschen Arbeitsmarkt.

Deutschland ist doch jetzt schon eines der größten Einwanderungsländer der Welt. Die Deutschen wollen das nur nicht wahr haben; deshalb versuchen sie, hartnäckig ihren Arbeitsmarkt abzuschotten. Eine Internationalisierung des deutschen Arbeitsmarktes wird kommen. So oder so. Wenn das Land seine Gesetze nicht ändert, dann werden die Ausländer nur als Gastarbeiter auf Zeit kommen. Und wer sich hier nicht identifizieren kann, weil er nicht integriert wird, der wird hier auch keine Steuern zahlen. Dadurch, nicht durch die Ausländer, wird der Standort geschwächt.

Warum?

Wer, wenn nicht diese hochqualifizierten Ausländer, soll denn diejenigen Inländer finanziell unterstützen, die vom Strukturwandel negativ betroffen sind?

Die Deutschen sind darauf stolz, eine partnerschaftlich orientierte und auf gesellschaftlichen Konsens ausgerichtete soziale Ordnung entwickelt zu haben. Sollen wir dieses Modell der Globalisierung opfern?

Ich wiederhole: Das deutsche Modell wird ohnehin nicht überleben. Jede nationalstaatliche Klammer war in der Vergangenheit durch territoriale Wertschöpfung bestimmt. In dem Moment, wo Sie von einer Sekunde auf die andere Wertschöpfung quer über den Globus verschieben können, verlieren nationalstaatliche Modell an Bedeutung. Nicht nur in der Wirtschaft, auch im sozialen Miteinander, kann man das sehen. Die klassischen Formen des Zusammenlebens, etwa in der Ehe, sind doch auch hierzulande schon lange aufgebrochen. Auch sozial, nicht nur gesellschaftlich bricht Deutschland auseinander. Das heißt nicht, dass deutsche Tugenden, wie Rechtsstaatlichkeit, Ordnung, Solidarität und Qualität jetzt verloren gehen. Es ist eine Meisterleistung Deutschlands, 17 Millionen Menschen im Osten relativ klaglos in zehn Jahren so weitgehend integriert zu haben. Aber die Rahmenbedingungen, die in Deutschland immer noch gelten, taugen nicht mehr für die Zukunft.

Warum?

Strukturwandel gilt den Deutschen per se als etwas Negatives. In Deutschland sieht man immer nur die Kosten, kaum die Vorteile der Veränderung. Das Land braucht Rahmenbedingungen, die den Menschen die Botschaft vermittelt, dass Strukturwandel etwas Positives ist.

Welche sollen das sein?

Es geht um Anreize, die den Wandel schmackhaft machen. Die Sozialstaatlichkeit und der Gleicheitsgrundsatz in Deutschland belohnen das Verharren und bestrafen Mobilität.

Der Gleichheitsgrundsatz hat dazu geführt, dass die Differenz zwischen Arm und Reich nicht annähernd so groß ist wie etwa in Amerika. Und das hat uns sozialen Frieden und Wohlstand beschert. Sollen wir das aufgeben?

Die Deutschen haben gar keine Wahl. Das Modell kommt aus einem vergangenen Industriezeitalter. Damals war der Schutz des Individuums Staatsaufgabe Nummer Eins. In Zukunft geht es nicht mehr um Sesshaftigkeit und Gemeinschaft, sondern eher um die Offenheit der Gesellschaft für eine rasche Entwicklung der Menschen. Nicht mehr der Schutz, sondern die Förderung des Individuums muss oberstes Staatsziel sein.

Wo bleiben die Menschen, die Chancen aus physischen oder intellektuellen Gründen nicht so erfolgreich wahrnehmen können? Wo bleiben die Alten?

Um mit Luther zu sprechen: Die Alten müssen den Apfelbaum nicht für sich pflanzen sondern für die nächste Generation. Die Älteren sollten den Jüngeren den ohnehin schon schweren Weg nicht noch schwerer machen, in dem sie ihnen ihre traditionellen Gesellschaftsmodelle aufzwingen. Zum Beispiel bei der Rente. Für jeden jungen Deutschen ist jeder Tag, an dem das Umlageverfahren noch existiert, ein verlorener Tag. Denn die überbordenden Kosten stehen für ihn in keinem vertretbaren Verhältnis zum Ergebnis, das er damit erzielen kann. Deshalb denke ich, die Besitzstandswahrung ist aus Sicht der Älteren verständlich. Aber das darf den Jungen nicht zur Last werden.

Ist es nicht irrational, von denen, die ohnehin die Verlierer des Strukturwandels sind, auch noch zu verlangen, an dem Ast zu sägen, der ihren Wohlstand sichert?

Nur auf den ersten Blick sieht es so aus. Faktisch bleibt doch unseren Kinder nur noch weniger als die Hälfte vom Bruttolohn, wenn man alle Steuer-, Sozial- und Rentenbeiträge abzieht. Ihre Kraft und ihr Wohlstand wird damit beschnitten. In einer Gesellschaft stärken sich aber die Schwachen nicht, indem sie die Starken schwächen. Der Druck auf die junge Generation wird, durch äußere Einflüsse besonders, zunehmen. Und weil sie dieser Last irgend wann überdrüssig werden, suchen sie sich einen Ausweg. Anders als noch vor ein zwei Generationen ist es heute viel einfacher, sein Leben außerhalb Deutschlands aufzubauen. Deutschland muss den Starken in der Gesellschaft das Leben so auskömmlich machen, dass sie nicht fliehen. Denn das würde die Situation der Schwachen nur noch schwerer machen. Es liegt also im eigenen Interesse der Schwachen, den Strukturwandel nicht zu behindern. Nur so können sie ihre eigene Haut retten. Mit jedem Tag Verzögerung treibt Deutschland seine Zukunft aus dem Land. Das ist das Drama.

Kern des sozialstaatlichen deutschen Modells ist der Konsens, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Wenn man ihrer Prognose glaubt, dann ist das konsensuale Bündnis für Arbeit nicht mehr als pure Zeitverschwendung.

So ist es. Die Macht der Interessengruppen am deutschen Arbeitsmarkt ist längst nicht mehr zeitkonform. Sie kommt aus einer völlig anderer Zeit und passt in eine internationale Gesellschaft nicht mehr hinein. Wenn es nicht gelingt, diese Macht der Interessengruppen zu brechen und die Lohnfindung an der Produktivität der einzelnen Arbeitskräfte vor Ort in den Unternehmen zu orientieren und die Betriebsräte zu stärken, dann wird es auch weiterhin viel zu viele Arbeitslose im Land geben.

Setzt die rot-grüne Bundesregierung, die ja auch die Politik des Konsens verfolgt, überhaupt die richtigen Zeichen für einen Strukturwandel?

Prinzipiell ja. Die von Finanzminister Eichel vorgelegten Steuerkonzepte sind sehr positiv zu bewerten. Gerade die Portfoliobereinigung

die Steuerfreistellung von Gewinnen beim Verkauf von Anteilen an Unternehmensbeteiligungen...

ist sehr positiv, weil sie das Aufbrechen überkommener Industriestrukturen befördert und Anreize für neue Strukturen, und damit neue Jobs, unterstützt. Der nächste Schritt könnte sein, dass es zu einem innerdeutschen Wettbewerb der Steuerhöhen kommt.

Dafür müssen Sie als Schweizer doch kämpfen.

In der Tat. Ein solcher föderaler Steuerwettbewerb wird neue Anreize schaffen, in Deutschland zu investieren. Unternehmen wägen sehr genau ab, welches Verhältnis besteht zwischen den Angeboten, die eine Gesellschaft macht und den Steuern, die sie dafür verlangt. Deutschland hat da gute Voraussetzungen, denn es hat dem Ausland lukrative Angebote voraus: etwa bei der Infrastruktur, der Gestalt seines Rechtsstaates und der Bildung.

Wenn das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft ausläuft, was wird an seine Stelle treten? Bleibt uns nichts anderes, als auf amerikanische Reflexe zu reagieren?

Ich glaube nicht, dass wir amerikanische Verhältnisse in Deutschland bekommen. Die erste Dekade des angebrochenen Jahrtausends wird ganz eindeutig eine europäische Dekade werden. Gewiss, Deutschland steht nicht an der Spitze der europäischen Bewegung und wird die Spielregeln auch nicht bestimmen. Dafür sind die europäischen Nachbarn bei ihren Bemühungen, die Beschäftigung zu stabilisieren, schon zu weit gekommen. Dennoch wird diese europäische Dekade auch deutsche Formen tragen.

Wenn nicht Deutschland, wer bestimmt dann die Spielregeln?

Das kann man nicht mehr national sehen. Die Stärke Europas liegt in der Verschiedenheit der Kulturen. Damit haben wir die Chance, einen Gegenpol zu Amerika zu schaffen. Wie das europäische Modell praktisch aussieht, kann und muss ich gar nicht so genau wissen.

Noch immer bestimmt Amerika den Lauf der Dinge. Wo sehen sie den Treiber des europäischen Zeitalters?

Sowohl bei der Vereinheitlichung der Märkte, als auch der technologischen Entwicklung hat Europa viel größere noch nicht ausgeschöpfte Potenziale als Amerika. Addiert man dazu noch die Potenziale Osteuropas, dann sind unsere Chancen riesengroß. Dass Amerika weiterhin der Motor der technischen Innovation bleibt und wir nur nachholen, stört mich nicht.Mit Straubhaar sprachen Rainer Hank und Antje Sirleschtov

Herr Straubhaar[seit einigen Monaten nehmen Gesch]

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