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Wirtschaft: Das Ende der billigen Werkbank

In Polen, Tschechien und Ungarn steigen die Löhne rapide – der Abstand zu Deutschland schrumpft

Berlin - Die IG Metall wird vermutlich Ende der Woche eine Tariferhöhung um vier Prozent durchsetzen. Das ist eine Menge – und bleibt doch hinter dem zurück, was sich hier und da in den osteuropäischen Nachbarländern tut. Vor zwei Wochen erstreikten sich die Beschäftigten bei der tschechischen VW-Tochter Skoda eine Tariferhöhung um zehn Prozent. Zuzüglich Bonuszahlungen gibt es sogar 12,7 Prozent für die Autobauer.

Das Beispiel bestätigt einen Angleichungsprozess, der seit einiger Zeit in den Staaten zu beobachten ist, die zum 1. Mai 2004 EU-Mitglied wurden. So stiegen im vergangenen Jahr die Löhne und Gehälter in Tschechien um durchschnittlich 6,2 Prozent, in der Slowakei waren es 8,2 Prozent, in Polen 5,5 und in Litauen 18 Prozent. Im Hochlohnland Deutschland dagegen betrug das Plus für die Arbeitnehmer nur 1,3 Prozent. Allerdings auf relativ hohem Niveau.

„In den wirtschaftlich attraktiven Regionen Polens haben die Personalkosten mittlerweile 70 bis 80 Prozent des deutschen Niveaus erreicht“, sagt Marko Walde, stellvertretender Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer in Warschau. Dazu gehören nicht nur die Hauptstadt Warschau, sondern vor allem auch die grenznahen Regionen um Breslau und Posen. Hier liegt die Arbeitslosenquote teilweise unter fünf Prozent. „Wer nur billig möchte, der ist längst woanders“, sagt Walde. Schon seit 2005 gebe es in Polen mehr Direktinvestitionen in Dienstleistungen als in Produktion. Heute kämen Softwareentwickler und Call-Center ins Land. Die Löhne spielten für solche Investitionen nur eine geringe Rolle, wichtiger sei qualifiziertes Personal.

Peter Kurth, ehemaliger Berliner Finanzsenator und heute im Vorstand des Entsorgers Alba für das Osteuropa-Geschäft zuständig, hat die Lohnentwicklung in Polen miterlebt. „In Breslau oder Posen kommen sie schon an das ostdeutsche Gehaltsniveau heran“, sagt er. Er betont die kurze Studiendauer, die fächerübergreifende Ausbildung und die Fremdsprachenkenntnisse der Polen. „Die sprechen nicht selten vier Sprachen.“ Doch die Stundenlöhne im wichtigsten Industriebereich, der Metallwirtschaft, sind mit 5,20 Euro noch immer niedrig. In Deutschland kostet eine Metallerstunde inklusive Sozialabgaben gut 32 Euro, in Tschechien 6,40 und in Ungarn fünf Euro.

Für die Ungarn war die Angleichung der Löhne an westeuropäisches Niveau eine der wichtigsten Erwartungen beim EU-Beitritt. Nun wird 2007 das erste Jahr seit 1996 sein, in dem die Realeinkommen zurückgehen. Nominal liegen derzeit die Löhne zwar um 6,5 Prozent über dem Vorjahresniveau, die Belastung durch Inflation und Steuern ist aber noch stärker gestiegen. Die Regierung erklärt die höchste Neuverschuldungsrate in Europa auch mit dem zu hohen Lohnniveau.

Tatsächlich sind die Löhne seit 2000 viel schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung. Die Wirtschaftszeitung „Vilaggazdasag“ hat berechnet, dass die Reallöhne 2006 um 43,8 Prozent höher waren als 2000. 2002 zum Beispiel sind sie um 13,6 Prozent gestiegen und damit mehr als dreimal so stark wie das Bruttoinlandsprodukt. In anderen Staaten haben sich die Löhne weniger dynamisch entwickelt. Zwischen 2000 und 2006 stiegen die Reallöhne in Polen und in der Slowakei nur um 13 bis 15 Prozent.

Die Kostensteigerung hat mit dazu beigetragen, dass ausländische Investoren das einstige Billiglohnland Ungarn verlassen und weiter nach Osten ziehen. IBM hat seine Festplatten-Fabrik nach Asien verlagert genauso wie Microsoft die Herstellung der Spielkonsole X-Box. Salamander hat die Schuhproduktion geschlossen.

Ein gutes Zeichen ist jedoch, dass immer mehr Forschungs- und Entwicklungszentren (Ericsson, Audi), Serviceabteilungen (GE, Exxon Mobil, General Motors) und andere hochentwickelte Dienstleistungen nach Ungarn gebracht werden. Da spielt das Lohnniveau eine kleinere Rolle als bei einfacher Serienproduktion. Im westeuropäischen Vergleich sind die Löhne in Ungarn aber immer noch niedrig, ebenso in Polen und Tschechien. Die OECD, in der sich die wichtigen Industrieländer zusammengeschlossen haben, geht davon aus, dass das Lohnniveau in Mittelosteuropa erst in 30 bis 35 Jahren das westeuropäische Niveau erreicht.

Gábor Takács[Alfons Frese], Stefan Ka

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