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Wirtschaft: Das Geheimnis der Kreml-Schulden

MOSKAU .Angenommen, Rußland bekäme seine Finanzkrise nicht in den Griff, erklärte den Staat für zahlungsunfähig, spendierte Unternehmen wie Banken ein Schuldenmoratorium und stellte alle Zahlungen ein.

MOSKAU .Angenommen, Rußland bekäme seine Finanzkrise nicht in den Griff, erklärte den Staat für zahlungsunfähig, spendierte Unternehmen wie Banken ein Schuldenmoratorium und stellte alle Zahlungen ein.Was würde dieses Katastrophenszenario für Moskaus bekanntlich größten Schuldner, für Deutschland, bedeuten? Die Antwort darauf ist nicht einfach.Selbst in der Bundesregierung werden auf die Frage, wie hoch Rußland bei Deutschland in der Kreide steht, unterschiedliche Summen genannt.

Das Bundesfinanzministerium hatte noch im Mai in einer langen Liste stolze 133 Mrd.DM an "Deutschen Unterstützungsleistungen für den Reformprozeß in der ehemaligen UdSSR" zusammengerechnet, kommt heute bei einer Aufstellung der bilateralen Verschuldung aber plötzlich nur noch auf 45 Mrd.DM.Das Bundeswirtschaftsministerium spricht dagegen von einem Zahlungsrisiko für den Bund von rund 75 Mrd.DM.

Formal begründen lassen sich diese Diskrepanzen mit unterschiedlichen Abgrenzungen dessen, was deutsche Forderungen gegenüber Moskau sind.Zu erklären sind sie aber wohl eher mit politischen Motiven: Wollte Finanzminister Theo Waigel in der Diskussion über Deutschlands EU-Beiträge mit gewaltigen Zahlen auftrumpfen, so will er nun im Wahlkampf nicht den Eindruck erwecken, Bonn habe zig Milliarden Steuergelder in Rußland versickern lassen.

Um die deutsche Schuldnerposition klarer zu definieren, muß man tiefer in die Zahlen einsteigen.Zunächst gilt es, die 133 Mrd.DM ad acta zu legen: In dieser Aufstellung hatte Waigels Haus zusammengerührt, was nicht zusammengehört.Neben den Krediten finden sich Lebensmittellieferungen und selbst die Verluste aus der Abrechnung der DDR-Transferrubel.

Schon mehr anzufangen ist mit den Zahlen des Wirtschaftsministeriums.Günter Rexrodt beziffert die gesamten Forderungen auf gut 77,4 Mrd.DM.Davon entfallen 55 Mrd.auf Altschulden der UdSSR, die Moskau komplett übernommen, aber im Rahmen des Pariser Clubs umgeschuldet hat und erst ab 2002 tilgen muß.Rußland selbst steht für 22,4 Mrd.DM gerade: für Hermesbürgschaften (15), Finanzkredite (5) und Kapitalanlagegarantien (2,3).

Diese Angaben sind nun wiederum Waigel zu hoch.Er moniert, daß Rexrodt die Zinsen bis 2002 bereits mitberechnet, die Moskau aber bisher pünktlich überwiesen hat.Die eigentlichen Altschulden belaufen sich daher nur auf 25 Mrd.DM.Abgesehen davon findet sich darin aber auch ein politisch brisantes Detail: Bei den ungebundenen Finanzkrediten fehlt in Waigels Aufstellung eine Mrd.DM.Unstrittig sind die vier Mrd., mit denen Bundeskanzler Helmut Kohl im März 1996 dem russischen Präsidenten Boris Jelzin vor dessen Wiederwahl aushalf.Offenbar überwies Bonn aber im November vergangenen Jahres, als Rußland erstmals von der Asienkrise geschüttelt wurde, eine weitere Milliarde an Moskau.Zwar taucht sie als "kurzfristiger Überbrückungskredit" in einem vertraulichen Regierungspapier auf, doch offiziell ist dieser Kredit im Finanzministerium "nicht bekannt".

Rechnet man die ausstehenden Forderungen der Bundesregierung an Rußland zusammen, darf man wohl nur die sowjetischen Altschulden und die Finanzkredite berücksichtigen - und kommt damit auf 30 Mrd.DM.Wenn neben dem Kreml auch die russischen Banken und Firmen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkämen und sowohl Hermes gedeckte Geschäfte wie Investitionsverträge deutscher Unternehmen platzten, müßte der Bund zudem für Schäden in Höhe von bis zu 17 Mrd.DM einspringen.Damit stehen für den deutschen Steuerzahler bei einem totalen Bankrott Rußlands theoretisch 47 Mrd.DM auf dem Spiel.

GEORG WATZLAWEK (HB)

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