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Wirtschaft: Das Geheimnis der Petrischale

Ein US-Forscher will mit menschlichen embryonalen Stammzellen seine kranken Kinder retten

Cambridge - In einem Labor der Harvard-Universität vermehren sich permanent große Mengen menschlicher embryonaler Stammzellen in gläsernen Inkubatoren und Petrischalen mit pink-roter Flüssigkeit. Seit fast fünf Jahren forschen dort Wissenschaftler mit Stammzellen, um neue Therapien für bisher unheilbare Krankheiten zu finden. Geleitet wird die Arbeit von Harvard-Professor und Molekularbiologe Douglas Melton, der früher auf Frösche spezialisiert war. Seit seine beiden Kinder aber an Diabetes-Typ-I erkrankt sind, sucht der 50-Jährige nach einem Heilmittel. Diabetes-Typ-1 kann das Augenlicht kosten oder die Nieren zerstören.

Der selbstbewusste Harvard-Professor ist zu einem der einflussreichsten Wissenschaftler in der US-Debatte um Stammzellenforschung geworden, die sogar im Wahlkampf um die Präsidentschaft eine Rolle spielt. Melton hat außerdem ein Institut für Stammzellenforschung in Harvard gegründet und dafür fünf Millionen Dollar an privaten Spendengeldern eingesammelt. Und er hat gleichermaßen Gegner wie Anhänger unter den Wissenschaftskollegen gegen sich aufgebracht.

Meltons Institut und eine Reihe anderer Labore weltweit suchen mit Hilfe der Stammzellenforschung nach Therapien für unheilbare Krankheiten. Embryonale Stammzellen können sich praktisch zu jeder Art von menschlichem Gewebe entwickeln. Das Kunststück ist, aus ihnen ganz bestimmte Zellen zu züchten – etwa insulinproduzierende Zellen zur Behandlung von Diabetes, Gehirnneuronen für die Therapie von Parkinson und motorische Nerven für die Heilung von Querschnittslähmung.

Noch hat Melton sein Ziel, insulinproduzierende Zellen zu entwickeln, nicht erreicht. Aber: „Wir sind überzeugt, dass wir es tun können“, sagt er. „Wir wissen bloß nicht, wie.“

Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist umstritten, weil die Embryos vernichtet werden. Daher hat die US-Regierung die Stammzellenforschung mit Auflagen versehen. So legte Präsident George W. Bush fest, dass die Stammzellenforschung zwar staatlich gefördert wird, die Forscher dürfen aber nur mit bereits bestehenden Zelllinien arbeiten. Kein Embryo sollte extra für die staatlich finanzierten Forschungsprojekte geopfert werden. Viele Wissenschaftler beklagen die staatlichen Restriktionen. Sie verhinderten Fortschritte in der Stammzellenforschung, sagen sie.

Doch wie man an Melton sieht, stoßen die Forscher auf die eigentlichen Probleme im Labor. Es ist schwerer als gedacht, aussichtsreiche Behandlungsmethoden für schwere Krankheiten zu finden. „Jeder, der behauptet, neue Behandlungsmöglichkeiten warteten um die Ecke oder seien nur eine Frage weniger Jahre, liegt einfach falsch“, sagt Ronald McKay, Forscher am National Institute of Neurological Disorders and Stroke, einem Institut für Hirnerkrankungen und Schlaganfall, in Bethesda.

Ein Patient, der von der Stammzellenforschung profitieren könnte, ist der 51-jährige Gary Kleiman. Seit er sieben ist, leidet er an Diabetes-Typ-I. 1982 zerstörte die Krankheit seine Nieren. Er bekam erst die Niere seiner Mutter – und später, als auch diese kaputt war – die seines Bruders eingepflanzt. Die Diabetes ließ ihn auf einem Auge erblinden.

Im November 2002 erhielt Kleiman als einer der ersten Amerikaner eine so genannte Inseltransplantation. Inselzellen sind insulinproduzierende Zellen der Bauchspeicheldrüse, die durch Diabetes zerstört werden. Seit der Transplantation kommt Kleiman ohne tägliche Insulinspritze aus. Außerdem greift die Krankheit nicht länger seine Organe an. So lange die Inselzellen funktionieren, ist Kleiman geheilt. Inseltransplantationen werden nur selten durchgeführt, weil es zu wenig Organspender gibt. „Durch Organspender wird man niemals genügend Inselzellen erhalten“, sagt Robert Goldstein, Forschungsdirektor der Juvenile Diabetes Research Foundation.

Zurück zu Melton: Bis Ende der 90er Jahre war der Harvard-Professor nur in akademischen Kreisen bekannt. Der Embryologe interessierte sich für die Frage, wie sich Organismen entwickeln. Er arbeitete mit Frosch-Embryonen. Im November 1998 veränderte sich alles. An der Wisconsin-Universität wurden zum ersten Mal Stammzellen aus menschlichen Embryos gewonnen. Melton beschloss, mit Techniken der Frosch-Embryo-Forschung herauszufinden, wie die menschliche Bauchspeicheldrüse entsteht. Er wollte Aufschluss darüber erhalten, wie man die Inselzellen regenerieren kann. Dabei ging es ihm in erster Linie darum, ein Heilmittel für die Krankheit seines Sohnes zu finden.

Der Wissenschaftler sprach 1999 vor einem Senatsausschuss. In der Anhörung sollte geklärt werden, ob der Staat die Stammzellenforschung mit Steuergeldern fördern soll. Der Wissenschaftler sagte, es sei „eine große Bürde für die Familie“, ständig den Blutzuckerspiegel seines siebenjährigen Sohnes Sam kontrollieren zu müssen – aus Angst, das Kind könne ins Koma fallen, wenn der Zuckerspiegel zu tief sinke. „Ich kann mich an keine Nacht erinnern, in der wir ruhig geschlafen haben, seit die Krankheit bei Sam festgestellt wurde“, sagte Melton.

Die Hoffnung des Wissenschaftlers auf schnelle Erfolge schwand allerdings im Laufe der Zeit. Anfangs hatte es so ausgesehen, als ließen sich relativ leicht Inselzellen aus embryonalen Stammzellen gewinnen. Aber Melton und seine Mitarbeiter erkannten bald, dass sie nur sehr bedingt die Richtung der Zell-Entwicklung beeinflussen konnten. Andere Forscher berichteten dagegen von Erfolgen. So veröffentlichte 2001 der Wissenschaftler McKay eine Aufsehen erregende Studie. Danach ließen sich aus Mäuse-Stammzellen Insulin produzierende Zellen entwickeln. Später behaupteten andere Wissenschaftler, es sei ihnen gelungen, aus menschlichen Stammzellen Insulin produzierende Zellen zu züchten.

Doch Melton glaubt nicht daran. Bei der Züchtung der Inselzellen hätten die Wissenschaftler chemische Wachstumsfaktoren wie Insulin verwendet. Und das habe die Forschungsergebnisse verfälscht, sagt er.

M. Waldholz, A. Regalado

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