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Mehr Geld. Die Arbeiter auf Kaffeeplantagen profitieren vom System.

© Reuters

Das Geschäft mit der Gerechtigkeit: Der faire Handel boomt

Immer mehr Deutsche interessieren sich für die Herkunft ihrer Einkäufe. Sie greifen verstärkt zu Produkten aus fairem Handel – auch als Geschenk zu Weihnachten.

Von Katrin Schulze

Die Weihnachtskugeln sind mundgeblasen und aus Ägypten, die Krippen kommen aus Peru und die Adventskerzen, die Claudia Strauß verkauft, hat sie aus Südafrika. Los wird die Inhaberin des Weltladens in Prenzlauer Berg so wenige Wochen vor dem Fest jede Menge ihrer weihnachtlichen Waren. Überhaupt läuft es prächtig im „kleinen Fair-Trade-Kaufhaus“, wie Strauß ihren Laden nennt. Dreieinhalb Jahre leitet sie das Geschäft nun schon und seither, sagt sie, sei das Interesse an den Produkten immer größer geworden; der Umsatz auch.

Was Claudia Strauß im Berliner Osten erlebt, lässt sich auf ganz Deutschland übertragen. Kaum eine Branche wächst so rasant wie das Geschäft mit den Produkten für eine bessere Welt. 340 Millionen Euro gaben die Deutschen im Jahr 2010 für Fair-Trade-zertifizierte Artikel aus, im laufenden Jahr erwartet der gemeinnützige Verein TransFair nach durchweg positiven Quartalszahlen noch einmal ein Plus von etwa 20 Prozent. Es sind Zahlen wie diese, die Kai Falk, Geschäftsführer beim Handelsverband Deutschland HDE, zu der Einschätzung bringen, dass „immer mehr Verbraucher Wert auf einen sozialen und ökologisch verantwortlichen Konsum legen“. Wer es denn möchte, kann seinen Haushalt, seine Liebsten und sich selbst komplett mit Fair-Trade-Produkten ausstatten und so die Kleinbauern in Afrika, Lateinamerika und Asien unterstützen.

Dabei geht es schon lange nicht mehr nur um Kaffee, Tee und Bananen. Mittlerweile werden fair gehandelte Kerzen verkauft und Pullover, Teppiche und Fußbälle, Bonbons und Wein, Blumen, Schmuck und vieles mehr. Insgesamt bieten 33 000 Geschäfte und 800 Weltläden deutschlandweit circa 10 000 Produkte aus fairem Handel an. Das klingt zunächst beeindruckend, dennoch „handelt es sich immer noch um einen Nischenmarkt“, sagt Falk. Er glaubt, dass dies noch eine Zeitlang so bleiben werde. Der Marktanteil fair gehandelter Produkte liegt hierzulande in der Tat nicht einmal bei zwei Prozent. Verglichen mit der Schweiz, wo etwa jede zweite verkaufte Banane aus fairem Handel stammt, oder Großbritannien, wo einzelne Fair-Trade-Produktsparten Marktanteile von bis zu 30 Prozent erreichen, ist das wenig.

Doch das Handelsvolumen allein entscheidet nicht über die Bedeutung von Fair Trade. Findet jedenfalls Dieter Overath. In Sachen Präsenz und Aufmerksamkeit zum Beispiel sieht der Geschäftsführer von Fair Trade Deutschland seinen Bereich schon seit einer ganzen Weile „in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bis auf Aldi Nord verkaufen inzwischen alle größeren Handelsketten Fair-Trade-Produkte“. Einige Unternehmen wie Lidl oder Rewe haben den Trend zum System gemacht und bieten nun sogar Eigenmarken an. Das unter dem Namen „Fairglobe“ firmierende Sortiment von Lidl etwa beinhaltet Orangensaft, verschiedene Kaffeevarianten, Reis und Cookies – und hat nach Angaben des Discounters „in den vergangenen Jahre eine zufriedenstellende Entwicklung genommen“.

Es hat viel mit der Verbreitung in den Supermärkten dieses Landes tun, dass das Geschäft mit der Gerechtigkeit in Deutschland immer besser funktioniert und dass es, glaubt man den Experten, ein enormes Wachstumspotenzial besitzt: Je mehr fair gehandelte Artikel sich in den Regalen tummeln, desto mehr werden verkauft. Irgendwie logisch. Allerdings ist der Boom der Fair-Trade-Branche auch auf eine „Sensibilisierung der Verbraucher“ zurückzuführen, wie Dieter Overath von Fair-Trade-Deutschland es ausdrückt. Die Konsumenten berücksichtigen beim Einkauf eben zunehmend Faktoren wie Herkunft, Qualität und Plausibilität.

Ein T-Shirt für 1,99 Euro? Kaum vorzustellen, wie das unter seriösen Arbeitsbedingungen gefertigt werden soll. Dass viele Bürger trotzdem noch zur konventionell produzierten und damit zur Billigware greifen, erklärt Overath mit dem Preisbewusstsein: In anderen Ländern seien die Lebenshaltungskosten viel höher als hier, da zahle man ohnehin mehr für Lebensmittel. Die Deutschen aber, „die geben mehr Geld für Motorenöl aus als für Olivenöl“.

Das Konzept von Fair Trade bringt es mit sich, dass der Kunde im Vergleich zu konventionell produzierten Waren meist mehr zahlen muss. Dafür bekommt er gute Qualität und ein gutes Gewissen obendrauf. Fair-Trade-Siegel auf Produkten versprechen, dass ökologische, ökonomische und soziale Standards bei der Herstellung eingehalten werden. Dass den Herstellern Mindestpreise dafür gezahlt werden und dass keine Kinderarbeit dahintersteckt. Neben den existenzsichernden Preisen gibt es Zuschüsse für soziale Projekte oder den Aufbau der Infrastruktur. In einigen Regionen errichten sie Schulen, Kindergärten oder Sozialstationen, woanders investieren sie in klimafreundlichere Anlagen. „Bei der Verwendung der Mehreinnahmen haben die Produzenten freien Spielraum“, sagt Antje Edler, die Geschäftsführerin des Forums Fairer Handel – ein Netzwerk, das den fairen Handel in Deutschland organisiert.

Rund 1,2 Millionen Kleinbauern und Arbeiter in rund 60 Ländern können ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen so nachhaltig verbessern. Allein über den deutschen Markt erhielten sie im vergangenen Jahr über 50 Millionen Euro Direkteinnahmen. „Hunger und Armut werden damit langfristig bekämpft“, sagt Edler und fordert deshalb bei Politik und Gesellschaft ein generelles Umdenken: „Wir brauchen einen grundlegenden Wandel der globalen Agrarpolitik hin zu einer stärkeren Förderung kleinbäuerlicher Nahrungsmittelproduktion.“

Um eine faire Teilnahme am Geschäft und eine gerechte Verteilung des Gewinns geht es bei Fair Trade – aber auch um Verantwortung. Früher, da hätten sich die Unternehmen davor gedrückt, heute sei dies dank der aufgeklärten Bürger kaum mehr möglich, findet der Geschäftsführer von Fair-Trade-Deutschland. Vielmehr gehört ein fairer Handel inzwischen zum guten Ruf eines Einzelhändlers, Fair Trade ist wichtig fürs Image und angesichts des so drastisch wachsenden Interesses ebenfalls ein bedeutendes Wettbewerbskriterium. Mit Ausstrahlungseffekt. „Der Druck auf die Akteure wächst“, sagt auch Dieter Overath. „In drei bis fünf Jahren kann sich kein großer Handelskonzern mehr erlauben, die Hütte nicht sauber zu haben.“

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