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Wirtschaft: Das große Brüten

Dreißig Volkswirte rechnen zwei Tage lang nach, wie groß das Loch in der Staatskasse wohl wird

Von Antje Sirleschtov

Von A. Schrinner (HB),

A. Sirleschtov, R. Uhlmann (HB)

Die Steuerschätzung ist besser als ihr Ruf“, sagt einer, der es wissen muss. Heinz Gebhardt von Rheinisch Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen ist einer der ganz alten Hasen unter den 30 Steuerschätzern, die sich an diesem Dienstag wieder mit ihren Lap-tops und ihren Rechenformeln über die Zahlenkolonnen des Finanzministeriums hermachen werden: um auszurechnen, was der Staat an Einnahmen erwarten kann.

Der Arbeitskreis wurde 1955 gegründet – in einer Zeit, in der Deutschland ein ganz anderes Problem hatte: Es kamen am Jahresende immer mehr Steuern zusammen, als der ziemlich konservative Finanzminister Fritz Schäffer vermutet hatte. Schäffer legte das überschüssige Geld dann immer beiseite, was sich für Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zum Problem auswuchs, der sich Sorgen wegen einer drohenden starken Inflation machte. Um einigermaßen sicher zu gehen, wie viel überschüssiges Geld am Ende des Jahres in der Kasse sein würde, wurde der Arbeitskreis Steuerschätzung einberufen – auch, damit der Wirtschaftsminister möglichen Inflationsgefahren besser gegensteuern konnte.

Seit 1987 ist Gebhardt im Arbeitskreis Steuerschätzung. Er hat die Treffsicherheit der Prognosen von 1970 bis 2000 analysiert – nachdem immer wieder kritisiert wurde, dass die Steuerschätzer in den letzten Jahren regelmäßig zu optimistisch gewesen seien Sein Fazit: Die Treffsicherheit der Volkswirte aus den Wirtschaftsforschungsinstituten, der Bundesbank, dem statistischen Bundesamt, dem Sachverständigenrat und den Amtsstuben von Bund, Ländern und Gemeinden, hat in der Tat nachgelassen. Aber: Die Steuerschätzer sind nicht daran schuld.

Sagt Gebhardt. Denn die Schätzer können nur die Zahlen berechnen, die sie bekommen. Das sind nun einmal die des statistischen Bundesamtes und der Bundesregierung – und die lägen seit Mitte der neunziger Jahre eben oft deutlich über dem, was tatsächlich an Wirtschaftswachstum herauskomme. Genau darüber wird es diesmal Krach geben, wenn sich die Experten im malerischen Spreewaldort Lübbenau für zwei Tage versammeln: Die Regierungseckwerte seien immer noch unrealistisch hoch, meckern die Schätzer. Sowohl die angenommenen 0,75 Prozent Wachstum in diesem Jahr als auch die gut zwei Prozent in den folgenden vier Jahren seien kaum zu treffen. Doch der Protest wird wenig nützen. Nach den Statuten des Arbeitskreises haben sich die Zahlentüftler an den Berliner Ukas zu halten. „Da liegt die entscheidende Fehlerquelle", meint Gebhardt.

Doch ausgebuffte Schätzer haben ihre Tricks, um allzu unrealistische Regierungsdaten wenigstens ein bisschen zu korrigieren. Schließlich sind die komplizierten Rechenprogramme der Computer nicht geschrieben, um nur aus dem Wachstum das Steueraufkommen abzuleiten. Das Kränzchen taxiert nacheinander rund 30 Steuerarten, außerdem noch die Zölle. Die Einzelergebnisse werden erst zum Schluss zum Gesamtaufkommen zusammengerechnet.

Die Steuerschätzer werden die Entwicklung der Bruttolohn- und Gehaltssumme analysieren. Sie werden sich mit der „modifizierten inländischen Verwendung“ abplagen, um zu ergründen, wie viel Mehrwertsteuer wohl gezahlt wird. Sie werden Unternehmensgewinne und Vermögenseinnahmen bewerten, um eine Schätzung für die Körperschaftsteuer abzugeben. Und sie werden die Inflation, die Zahlungsmoral der Steuerzahler, und die Eintreibungsgeschwindigkeit der Finanzämter diskutieren.

Die Vertreter der 16 Länder steuern zudem Erkenntnisse aus der eigenen Finanzverwaltungspraxis bei. Sie sind es, die gelegentlich mal darauf hinweisen, dass ein großer Konzern mit einer riesigen Steuererstattung rechnen kann – was dann als Sondereffekt in das Orakel eingerechnet wird.

Bisher hat sich der noch immer auf gemeinsame Zahlen verständigen könne. Dabei wird keineswegs der Mittelwert aus den Rechnungen genommen. Das wäre unter der Würde der Volkswirte. Stattdessen wird lieber noch mal diskutiert und noch mal gerechnet: „Der Arbeitskreis erörtert jede Steuer so lange, bis ein Kompromiss gefunden worden ist", erklärt der bisherige Ausschusschef Dieter Schoof. Und wer am nächsten an der Empfehlung liegt, der kann sich schon etwas zugute halten. Deshalb reisen alle mit ein bisschen Lampenfieber an. Am meisten davon hat Daniela Gebauer, das Küken unter den Steuerschätzern. Für die 27jährige Volkswirtin des Münchner Ifo-Instituts ist es die erste Steuerschätzung. Mutig hat sie sich gegen ihren Abteilungsleiter durchgesetzt –und dessen Zahlen um ein paar Milliarden nach unten revidiert.

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