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Wirtschaft: Das "Modell Asien" bleibt ein Mythos

Folgen der Krise reichen bis weit ins nächste Jahrtausend / Dennoch kein Grund zur SchadenfreudeVON PETER BOLM BERLIN.Wer von den Ökonomen noch vor weniger als zwölf Monaten die Prognose gewagt hätte, das über drei Jahrzehnte zum Vorbild hochgelobte "Modell Asien" würde praktisch über Nacht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, hätte den Spott seiner Kollegen geerntet.

Folgen der Krise reichen bis weit ins nächste Jahrtausend / Dennoch kein Grund zur SchadenfreudeVON PETER BOLM BERLIN.Wer von den Ökonomen noch vor weniger als zwölf Monaten die Prognose gewagt hätte, das über drei Jahrzehnte zum Vorbild hochgelobte "Modell Asien" würde praktisch über Nacht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, hätte den Spott seiner Kollegen geerntet.In Demutshaltung waren Europas Politiker und später die europäischen Investoren in Scharen in die Boomregion gereist, um ihre Visitenkarten abzuliefern.Das Wachstumswunder Asien hatte den von Massenarbeitslosigkeit und Konjunktureinbrüchen gebeutelten Europäern wieder Mut gemacht und die Hoffnung genährt, die dem Kapital verpflichtete Marktwirtschaft habe kurz vor der Jahrtausendwende ihre Bewährungsprobe bestanden. Dabei war Bundespräsident Roman Herzog nur einer unter vielen, der in seiner "Adlon-Rede" im Frühjahr 1997 die Bundesbürger aufgefordert hatte, den Asiaten nachzueifern.Doch es kam anders.Das Wunder zerplatzte wie eine Seifenblase: Spekulationen, wirtschafts-politischer Filz und der leichtfertige Umgang mit den Grundelementen marktwirtschaftlich orientierter Systeme forderten ihren Preis.Die Auswirkungen des Bebens waren bis Amerika und Europa spürbar.Mühsam versuchen Weltbank und internationaler Währungsfonds nun, den Schaden zu begrenzen.Der Erfolg ihrer milliardenschweren Bemühungen wird davon abhängen, wie sich Reformbedarf und materieller Verzicht in ein Weltbild einfügen lassen, daß dreißig Jahre lang von überschäumender Euphorie getragen wurde. Inzwischen hat sich die Meinung erhärtet, daß die asiatische Grippe bis zu ihrem vollständigen Abklingen noch mindestens zehn Jahre benötigt.Die meisten der bisher am Asienwunder beteiligten Länder - einschließlich Japan - werden in ihren Wachstumsraten zunächst auf osteuropäische oder sogar afrikanische Maßstäbe zurückfallen.Zu groß sind die Fehler, die in Taiwan, Indonesien, Malaysia, Thailand, den Philippinen, aber auch in Hongkong, Singapur oder Südkorea gemacht wurden.Für Wolfram Wallraf, Japanologe und Wirtschaftswissenschaftler am Ostasienbüro in Berlin/Potsdam steht außer Frage, daß der hochspekulative Aspekt am Ende der Boomphase dazu beigetragen hat, das Gebäude zum Einstürzen zu bringen. Währungen, Aktienwerte und Gewinnerwartungen hatten sich schon weit vor dem traurigen Ende in eine Scheinwelt geflüchtet, die mit ökonomischer Realität nicht mehr viel zu tun hatte.Allen voran wollten die großen europäischen Banken in der Region nicht die letzten sein.Wallraf zitiert US-Notenbankpräsident Greenspan, der im nachhinein konstatiert, daß mehr billiges Geld nach Asien floß, als zu vernünftigen Bedingungen profitabel investiert werden konnte.Hinzu kommt die, für die heimischen Währungen gegebene Zusage, mehr oder weniger fester Wechselkurse.Das setzte eine Kreditwelle in Gang, die auf Stabilität programmiert war.Der Export kletterte, die heimischen Märkte explodierten und die Investoren gingen davon aus, die mit attraktiven Zinsen investierte lokale Währung halte dem zinsgünstig geliehenen Dollar stand. Dieser Irrtum hatte verheerende Folgen.Wer die Lawine ins Rollen brachte, weiß heute niemand mehr genau.Wallraf geht davon aus, daß möglicherweise der erste Härtetest der heimischen Währungen durch internationale Spekulanten den Ausschlag gab.Damit wurde eine Kette verhängnisvoller Entscheidungen in Gang gesetzt: Die Nachfrage sank, die Staaten kauften eigenes Geld, um den Kurs aufzufangen, die Reserven schmolzen.Jetzt werden die Leitzinsen hochgefahren, um die Währung neu zu beleben.Doch die Rechnung geht nicht auf.Kredite werden teurer, die Aktienkurse sinken.Die Währungsanker halten nicht mehr.Inzwischen haben die Landeswährungen teilweise bis zu 60 Prozent gegenüber dem Dollar verloren. Damit gerät auch das von Singapur bis Hongkong aufgetürmte Kreditgebäude ins Wanken.Boden- und Immobilienpreise stürzen ab, Wertpapierbestände müssen abgeschrieben werden.Viele Unternehmen können ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen.Bankrott macht die Runde.Die volle Höhe der Kredite von Seoul bis Djakarta wird heute auf bis zu eine Billion Dollar geschätzt.Um nicht selbst von der Pleitewelle erfaßt zu werden, müssen die Banken reagieren.Kredite werden, wenn überhaupt, nur noch bei hohen Zinsen vergeben, das Kapital für Investitionen fehlt.Auch die von den Europäern gefürchtete asiatische Offensive auf den Exportmärkten als Ausgleich für das verlorene Terrain kommt nur schleppend in Gang. Die Welt zieht Bilanz.Asien wird, mit ganz unterschiedlichen Entwicklungen, noch für lange Zeit auf den Weltmärkten eine nachrangige Rolle spielen.Der Politikwissenschaftler Christoph Müller-Hofstede unterstellte auf einer Veranstaltung der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam zu Recht, daß die über viele Jahre erwartete Verlagerung weltpolitischer Gewichte in den ostasiatischen Raum nicht stattfinden wird.Das erhoffte "Modell Asien" bleibt ein Mythos.Die nun einsetzenden wirtschaftlichen wie politischen Probleme sind bis auf wenige Ausnahmen von harter Anpassung, Marktbereinigung, Jobverlust und neuer Armut gekennzeichnet.Dennoch warnen die Wissenschaftler davor, aus dem Scheitern Asiens den Beweis für die Unfehlbarkeit des amerikanischen wie europäischen Modells abzuleiten.Schadenfreude und Überheblichkeit sind die falschen Antworten.Wolfram Wallraf ist nicht allein mit seinem Rat, aus der Katastrophe zu lernen.Die Massenarbeitslosigkeit in Europa hat längst bedrohliche Formen angenommen und dem Euro steht die Bewährungsprobe auf dem internationalen Finanzmärkten noch bevor.

PETER BOLM

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