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Wirtschaft: Das Modell Deutschland AG verschwindet für immer

Es war einmal vor langer, langer Zeit ein gutes System, das wirtschaftlichen Erfolg mit allgemeiner sozialer Harmonie verband.Es nannte sich die Deutschland AG.

Es war einmal vor langer, langer Zeit ein gutes System, das wirtschaftlichen Erfolg mit allgemeiner sozialer Harmonie verband.Es nannte sich die Deutschland AG.Doch heute wird das Märchen-Modell vom Drachen der Globalisierung belagert.

Die mächtigen Banken des Landes, deren Schlagkraft durch ein Netz von Aktienpaketen und Verflechtungen mit anderen Firmen gestützt wurde, verlieren ihren Einfluß.Ihr Platz wird von einem hervorsprießenden Kapitalmarkt eingenommen.Die einst engen Beziehungen zwischen Regierung, Industrie und Gewerkschaften lösen sich jetzt in ein öffentliches Gezeter mit gegenseitigen Drohungen und Beschuldigungen auf.

Auch die deutschen Unternehmen sind wie nie zuvor gezwungen, den Wünschen der Aktionäre Beachtung zu schenken.Eine Serie grenzüberschreitender Fusionen gibt den Firmen einen weltweiten Aktionsradius und beschleunigt die tiefgreifenden Umstrukturierungen, die in Deutschland bereits im Gang sind."Zwar reden die Leute immer noch von der Deutschland AG", sagt Theodor Baums, Juraprofessor an der Universität Osnabrück, "aber die Zeiten haben sich längst geändert."

Zum Beispiel Adidas.Vor zehn Jahren noch wurde das Unternehmen von einem achtköpfigen Vorstand geführt, von dem sieben Mitglieder entweder aus Deutschland oder der Schweiz kamen.Das mittlere Management bestand ausschließlich aus den bratwurstliebenden Einheimischen.Wenn Geld gebraucht wurde, gingen die Nachfahren des Unternehmensgründers Adi Dassler zur Hausbank.

Heute hat sich das Unternehmen unter dem französischen Marketing-Genie Robert Louis-Dreyfus in eine Firma verwandelt, deren Bindungen zu Deutschland nur noch sehr beschränkt sind.Louis-Dreyfus übernahm 1993 das Ruder, brachte das Unternehmen 1995 an die Börse.Inzwischen wird weniger als ein Viertel der Firmenanteile von deutschen Investoren gehalten.Die Mehrheit der Anteile liegt im Vereinigten Königreich und in den USA.Heute sind nur noch drei der neun Topmanager Deutsche.Die Mehrheit der Angestellten in einigen Abteilungen, besonders in der Finanzverwaltung, sind Ausländer.Die täglichen Geschäfte werden nicht mehr in deutsch, sondern in englisch abgewickelt.

Das Tempo des Wandels in Deutschland ist deshalb verblüffend, weil er so lange verzögert war.Dank ihrer Lage in Europas größter Wirtschaft waren viele deutsche Firmen in einer Weise von dem Druck der Globalisierung abgeschirmt, wie es ihre Konkurrenten in den Niederlanden und der Schweiz niemals waren.Darüber hinaus brachte die Wiedervereinigung 1990 einen Boom der Wirtschaft, der die Manager in Deutschland erst einmal von dem sich in der Welt ausbreitenden Wettbewerb ablenkte.

So begannen sie erst Mitte der neunziger Jahre, der wirtschaftlichen Realität ins Auge zu sehen.Und mit der Einführung des Euro haben sie festgestellt, daß sich die Landkarte des Wettbewerbs für immer verändert hat.Jetzt sind die Zeichen des Wandels überall zu erkennen.Die deutschen Unternehmen waren in den vergangenen Jahren auf Einkaufstour in der Welt.Aus deutschen wurden internationale Unternehmen, deren Heimatbindungen sich längst gelöst haben.Das Investmenthaus Goldman Sachs hat festgestellt, daß deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr an grenzüberschreitenden Verflechtungen mit einem Volumen von über 90 Milliarden Mark beteiligt waren.

Zum Beispiel die Allianz AG.Der Versicherungsgigant aus München ist nach dem Erwerb der französischen Gruppe Assurances Generales de France weltweit zur Nummer Eins geworden, was die Prämieneinnahmen angeht.Heute spielt er in neun europäischen Ländern, einschließlich Deutschland, Frankreich und Italien, ganz vorne mit.Dazu ist er im amerikanischen Markt präsent.Weniger als 40 Prozent der Beitragseingänge in Höhe von 90,6 Mrd.DM stammen inzwischen aus dem Heimatmarkt.Vor drei Jahren war es noch mehr als die Hälfte."Wir sind keine deutsche Versicherungsgesellschaft mehr", sagt der geschäftsführende Direktor Diethart Breipohl, "wir sind ein europäischer Finanzkonzern".

Für die früher öffentlichkeitsscheue Allianz ein krasser Richtungswechsel.Die Zentrale der Allianz, in einer Ecke des Englischen Gartens in München gelegen, trägt nur ein kleines Schild mit dem Namen des Unternehmens, das in der Steinfassade kaum gelesen werden kann.Das ändert sich nun tiefgreifend - wie sich auch die Vorstände der Unternehmen gewaltig verändert haben.Die Deutschland AG hat die Fusionswelle genutzt, um sich neue Leute und frisches Blut von außen zuzuführen.DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp kann es kaum erwarten, daß ein paar Chrysler-Teams aus New York die beschauliche Firmenzentrale in Stuttgart-Möhringen aufmischen.

Dazu kommt, daß die Fusionen eine tiefgreifende Machtverschiebung weg von den Banken und hin zum Aktienmarkt gebracht haben.Zunächst begann das Konzept des gegenseitigen Aktienbesitzes, das das Herz der Deutschland AG war, sich aufzulösen.Deutsche Banken und Versicherungsgesellschaften haben sich in aller Stille von großen Anteilen ihres Firmeneigentums getrennt.

Während die Macht der Banken schwindet, steigt der Einfluß der Aktienmärkte und Anteilseigner.Die Anzahl der Firmen, die an der Frankfurter Börse gehandelt werden, hat sich seit 1995 mehr als verdreifacht.64 von den Neuen auf dem Parkett sind junge, schnell wachsende Unternehmen, die am Neuen Markt notiert sind, der vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde.Er verschafft den jungen, riskanten Unternehmen, die in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, einen Kredit zu bekommen, Zugang zum Kapital.

Neun deutsche Firmen lassen sich an der New Yorker Wertpapierbörse notieren.Andere Unternehmen, wie zum Beispiel die Dresdner Bank, werden in diesem Jahr folgen.Das hat dazu beigetragen, die Finanzen der deutschen Firmen transparenter zu machen.Bis vor kurzem hielten sich die Firmen an die deutschen Buchführungsregeln, die es ihnen ermöglichten, Einkünfte beiseite zu schaffen und diese versteckten Reserven in schwierigen Zeiten anzuzapfen.Deshalb war es für Aktionäre fast unmöglich, ein klares Bild von der wirtschaftlichen Situation der Firma zu erlangen.Neuerdings orientieren sich immer mehr Firmen an internationalen Buchführungsstandards.Dadurch werden ihre Finanzen durchsichtiger.

Auch Deutschlands Tradition der engen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Regierung und Gewerkschaften zerbricht.Das zeigen die wenig erfolgreichen Anstrengungen um das Bündnis für Arbeit.Der Kriegsrat aus Politik, Industrie und Gewerkschaften soll einen gemeinsamen Plan schmieden, um das Arbeitslosen-Problem zu lösen.Die erste Versammlung, die 1996 unter dem Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl stattfand, endete in erbitterter Schärfe.Die jetzige Gesprächsrunde von Bundeskanzler Schröder ist kaum vielversprechender."Das Bündnis für Arbeit ist nichts als ein großer Bluff", sagt Hermann Simon, Industrieberater bei Simon Kucher & Partner in Bonn.

DAVID WOODRUFF

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