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Wirtschaft: Das soziale Pflichtjahr ist Unsinn

Der Zivildienst eignet sich nicht als Sparschwein des Staates Von Gerd Wagner

Es mehren sich die Stimmen, statt Wehr und Zivildienst ein „Soziales Pflichtjahr“ einzuführen. Abgesehen davon, dass ein derartiger Dienst internationalem Recht widerspricht, würde ein Pflicht-Sozialjahr auch schlechtere Ergebnisse bringen als ein gut ausgebautes freiwilliges soziales Jahr – wirtschaftlich wie gesellschaftspolitisch.

Da Zwangsrekrutierte die sie einsetzenden Organisationen nur wenig kosten, andere Inputs jedoch zu Marktpreisen gekauft werden müssen, besteht ein Anreiz, relativ viele Dienstpflichtige einzusetzen, am komplementär nötigen Material aber zu sparen. Es ist schon beinahe eine Binsenweisheit, dass Freiwilligkeit einen positiven Einfluss auf Einsatzbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein hat. Dieser Effekt kann sehr groß sein: Die Sklaverei wurde nicht zuletzt deswegen abgeschafft, weil sie ökonomisch dem Marktmechanismus unterlegen war. Vertraglich angestellte Arbeiter machen aufgrund ihrer höheren Produktivität den durch die Lohnzahlung entstehenden Kostennachteil mehr als wett.

Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ist auch unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten fragwürdig. Ökonomisch betrachtet ist sie nichts anderes als eine Steuererhöhung. Denn bei einem Pflichtjahr wird der betreffenden Person eine Naturalsteuer auferlegt, da er oder sie dem Staat ohne marktgerechte Gegenleistung Zeiteinheiten zur Verfügung stellen muss. Auch schränkt eine Dienstpflicht individuelle Freiheiten (zum Beispiel das Recht auf freie Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes) ein. Sie widerspricht somit grundlegenden Werten und Normen der sozialen Marktwirtschaft.

Wer auch immer sich für einen Pflichtdienst ausspricht, sollte der Öffentlichkeit erklären, warum er oder sie das ökonomisch ineffiziente und ordnungspolitisch fragwürdige Instrument einer Naturalsteuer einsetzen möchte, anstatt auf ein attraktives freiwilliges soziales Jahr zu setzen. Denn auch die gesellschaftspolitischen Ziele, die mit dem Wehr- und Zivildienst erreicht werden sollen, werden verfehlt. Das Argument, dass durch Wehr- und Zivildienst Jugendliche aus unterschiedlichen Schichten zusammengeführt werden und gemeinsame Erfahrungen machen, die der gesellschaftlichen Kohäsion dienen, steht auf schwachen Füßen. Abgesehen davon, dass gegenwärtig Frauen und Ausländer nicht dienen, sortieren sich junge Leute ganz unterschiedlich in die Dienste hinein. Das vom DIW Berlin erhobene Sozio-ökonomische Panel (SOEP) zeigt, dass Haupt- und Realschüler viel seltener Zivildienst leisten als Gymnasiasten. Es überrascht auch nicht, dass Wehrdienstleistende eher die konservativen Parteien und Zivildienstleistende Rot-Grün präferieren.

Auch das beliebte Gerede von der Generation der Hedonisten, die nur an sich und nicht an ihre Mitmenschen denken, stimmt nicht. Abgesehen davon, dass man Mitgefühl nicht erzwingen kann, ist bei jungen Leuten daran auch gar kein Mangel zu konstatieren. Das SOEP zeigt, dass Jugendliche ehrenamtlich ungefähr genauso aktiv sind wie Erwachsene. Etwa 15 Prozent der Bevölkerung engagiert sich mindestens einmal im Monat ehrenamtlich. Zwar bei weitem nicht alle, aber ein Rückgang ist nicht erkennbar. Und bei guten Bedingungen sind – wie das freiwillige soziale bzw. ökologische Jahr zeigt – gerade junge Leuten zu begeistern. Immerhin haben im vergangenen Jahr 15 000 junge Menschen einen solchen Dienst geleistet.

Zwar kann ein freiwilliges soziales Jahr keinesfalls einen großen professionellen Stab bei Pflege-Anbietern ersetzen. Freiwilligkeit hätte jedoch den Vorteil, dass die Sozialorganisationen sich noch mehr Gedanken machen müssten über die Ausgestaltung der Tätigkeiten, die sie anbieten, um für junge Freiwillige attraktiv zu sein. Wo Ehrenamtliche direkt mit Menschen zu tun haben, gibt es eine Vielzahl von Bewerbern. Auch wenn gilt, dass durch eine Berufsarmee und mehr professionelle Mitarbeiter bei Sozial- und Pflegediensten die Produktivität gehoben wird und für das gleiche Geld mehr Leistung zu erzielen ist, sollte im Bereich der Sozial- und Pflegedienste das Geld, das der Bund durch die Abschaffung des Zivildienstes sparen kann (zur Zeit knapp 900 Millionen Euro pro Jahr), für eine Verbesserung der Pflegequalität benutzt werden.

Gert G. Wagner (Foto: promo) ist Forschungsdirektor beim DIW in Berlin und Mitglied der Sachverständigenkommission für den Kinder- und Jugendbericht. Der Text entstand in Zusammenarbeit mit Thorsten Schneider und Harald Trabold.

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