zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Das Unbehagen am verkrusteten deutschen Arbeitsrecht wächst

BONN (jj/HB).Morgenluft wittern all jene, die das unübersichtliche und angestaubte Normengestrüpp des Arbeitsrechts modernisieren wollen.

BONN (jj/HB).Morgenluft wittern all jene, die das unübersichtliche und angestaubte Normengestrüpp des Arbeitsrechts modernisieren wollen.So klagte selbst Bundesarbeitsgerichts-Präsident Thomas Dieterich in der vergangenen Woche auf der Tagung "New Deal im Arbeitsrecht?" der Friedrich-Ebert-Stiftung über das "Leiden unter dem Reformstau im Arbeitsrecht".Er hoffe nach dem Regierungswechsel auf "offene Ohren für unser Anliegen - die rasante Veränderung der Arbeitsbedingungen" werde sonst zum Kollaps des deutschen Arbeitsrechts führen.

Ein langer Wunschzettel an das rot-grüne Bündnis kam zusammen.Der Bremer Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler verlangte, Kündigungen dürften "angesichts ihrer enormen Bedeutung nicht weiter formlos möglich sein".Erforderlich seien eine schriftliche Erklärung des Arbeitgebers mitsamt Rechtsmittelbelehrung und eine vorherige Anhörung des Entlassenen, ferner - auf Verlangen des Arbeitnehmers - auch bei ordentlicher Kündigung die Angabe der Gründe.Auch müßten aus einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts, das den weitgehenden Ausschluß des Kündigungsschutzes für Kleinbetriebe bestätigte, die Konsequenzen gezogen werden.Statt einzelner Betriebe müsse das ganze Unternehmen für die Bedingungen des Kündigungsschutzes betrachtet werden: "Eine 4 Personen-Tochtergesellschaft von Siemens aus dem Kündigungsschutz auszunehmen, entbehrt der inneren Rechtfertigung."

Däubler bemängelte außerdem, daß die Gerichte bei betriebsbedingten Kündigungen die zugrundeliegenden Rechnungen nicht ausreichend berücksichtigten."Dies bedeutet, daß der Arbeitgeber sich seinen Kündigungsgrund selbst schaffen kann." Dagegen halte er die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen für wegweisend, das die Rechtmäßigkeit betriebsbedingter Kündigungen bei einem florierenden Unternehmen verneint hatte: "Wenn es nur darum geht, ein dickes Gewinnpolster durch Kündigungen noch zu vergrößern, liegt eine Verabsolutierung des Arbeitgeberinteresses vor." Falls auch nur bei einem Zulieferer, auf den der Arbeitgeber Einfluß habe, ein Arbeitsplatz frei sei, könne schon deshalb eine Kündigung rechtswidrig sein.Zudem forderte Däubler, den Abschluß befristeter Verträge wieder einzuschränken.

Auf Widerspruch stieß dieser Forderungskatalog bei Karl Molitor, einst Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie.Molitor warnte vor einem Konflikt zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitssuchenden.Die "Outsourcing-Welle" stehe erst am Anfang, und Deutschland befinde sich im globalen Standortwettbewerb um Investoren."Würde der Kündigungsschutz ausgedehnt, könnte dies zu weiteren Arbeitsplatzverlusten führen." Eine "Neubelebung des Sozialstaats" dürfe einer "Neubelebung der Wirtschaft" nicht im Wege stehen.

Auch auf eine Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes richten sich die Vorschläge der Experten.Für eine "größere Gestaltungsfreiheit bei der Organisation der Betriebsverfassung" sprach sich der Kölner Juraprofessor Peter Hanau aus.Zur Beschäftigungsförderung sollten Betriebsräte ein erweitertes Recht erhalten, Vereinbarungen über tariflich geregelte Arbeitsbedingungen zu treffen und Überstunden zu verweigern, forderte Hanau.Schließlich müßten - über die bereits miterfaßten "Heimarbeiter" hinaus - auch Telearbeiter sowie "arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter" in den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes einbezogen werden.

Unterstützung fanden diese Anregungen bei Wolfgang Streeck vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.Der Sozialwissenschaftler, der der Mitbestimmungs-Kommission von Bertelsmann- und Hans-Böckler-Stiftung angehört hatte, bedauerte, daß es "mitbestimmungsfreie Zonen" nicht mehr nur in Schnellrestaurants, sondern auch bei "Unternehmen vom Typ Jost Stollmann" gebe.Der Sozialwissenschaftler plädierte für einen "Betriebsrat light" nach holländischem Vorbild, um auch in kleinen und mittleren Firmen Organe der Arbeitnehmervertretung zu installieren.Schließlich seien auch Arbeitgeber auf deren Existenz angewiesen, um die Differenzierungsmöglichkeiten der Tarifverträge im Betrieb überhaupt umsetzen zu können.

Laut wurden auf dem Kongreß überdies wieder Forderungen nach einem Kombilohn.Der Freiburger Arbeitsrechtler Manfred Löwisch sprach sich für solche Zuschüsse aus den Etats von Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe an die Arbeitgeber aus - Ökosteuer und Tariffonds taugten dafür nicht.Um Mitnahmeeffekten zu begegnen, dürften lediglich Langzeitarbeitslose hiervon profitieren, und das auch nur befristet.Ein Gegenmodell präsentierte Robert Reichling von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).Demnach müßten die untersten Lohngruppen durch entsprechende Subventionen unterboten werden, um durch eine Ausweitung des Niedriglohnsektors neue Stellen zu schaffen.Höhere Freigrenzen für den Dazuverdienst bei Sozialhilfeempfängern sollten Anreize schaffen, neben der "Stütze" einen Job anzunehmen.Wilhelm Adamy vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) allerdings warnte vor weiterem Lohndumping: So liege in der westdeutschen Schuhindustrie die unterste Lohngruppe für ungelernte Angestellte schon jetzt bei 8,84DM.

Für die Schaffung eines Arbeitsvertragsgesetzes - immerhin ein Auftrag des Einigungsvertrags - plädierte schließlich der Forscher Ulrich Preis, der an einer entsprechenden Bundesratsinitiative des Landes Brandenburg mitgefeilt hat.Er mußte sich allerdings aus dem Gewerkschaftslager vorwerfen lassen, seine Kommission habe ihre Vorschläge zu stark an einer Fortdauer der alten Koalition in Bonn ausgerichtet, indem sie über den Weg der Deregulierung den Tarif- und Betriebspartnern viel Freiraum zur Selbstorganisation zugestehen wolle.Helga Nielebock, Abteilungsleiterin beim DGB, zeigte sich zurückhaltend.Sie favorisierte eine Zusammenfassung der verstreuten Bestimmungen zu einer Reihe nach dem Vorbild des auf zehn Bände angelegten Sozialgesetzbuchs.

Die von Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) bestellte Abteilungsleiterin für Arbeitsrecht, Cornelia Fischer, machte den auf Neuerungen eingestimmten Kongreßteilnehmern allerdings deutlich: Nach der prompten Rücknahme der schwarz-gelben Reformen stehe jetzt erst einmal eine Umverteilung der Arbeitszeit bei den Gesprächen des Bündnisses für Arbeit an.Ansonsten machte sie einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers vorerst nur noch beim Betriebsverfassungsgesetz aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false