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Datenaffäre: Bahn verdächtigte 1000 Mitarbeiter

Die Datenaffäre trifft viele im Konzern – am Mittwoch präsentieren die Ermittler ihre Recherchen.

Berlin - Marc Steger hat von der Datenaffäre die Nase voll. „Am besten wäre es, einen Schlussstrich zu ziehen“, riet der 32-jährige Lokführer aus Mannheim unlängst seinem neuen Chef, als er ihn im Stuttgarter Hauptbahnhof traf. „Damit Ruhe einkehrt.“ Der neue Vorgesetzte heißt Rüdiger Grube, seit Mai leitet er die Deutsche Bahn. Er hat sich vorgenommen, die Ratschläge seiner Leute ernst zu nehmen. „Zuhören, zuhören, zuhören“, nennt er als eine seiner wichtigsten Maximen. Bis Juni will er die Datenaffäre aufklären, „gnadenlos“, wie er sagt. Nicht alle freuen sich so darauf wie Lokführer Steger. „Viele im Bahn-Tower zittern“, sagt eine, die den Konzern gut kennt.

Bald hat das Zittern ein Ende. Am Mittwoch wollen Sonderermittler dem Bahn- Aufsichtsrat einen Bericht über die Datenaffäre präsentieren, die den Konzern seit Monaten erschüttert. Nach wochenlangen Recherchen haben die Ex- Minister Gerhart Baum, Herta Däubler-Gmelin sowie die Wirtschaftsprüfer von KPMG in einem Hunderte Seiten umfassenden Gutachten ein Bild der Schnüffel- und Spitzelaktivitäten des Staatskonzerns gezeichnet. Und dabei eine Reihe von Gesetzesverstößen aufgedeckt.

Die Fahnder haben erfahren, wie intensiv eine Clique von Managern der Belegschaft misstraut hat – und wie rabiat die Methoden waren, mit denen sie Abweichler auszuschalten versuchte. Der Fall sticht im Vergleich zu Skandalen bei Lidl oder der Telekom heraus – handelt es sich doch um einen reinen Bundeskonzern, der Gesetze verletzte.

Durch die Spähaktionen gerieten mehr als 1000 Beschäftigte in Verdacht, wie es in Unternehmenskreisen heißt, die mit den Ermittlungen vertraut sind. Rund 400 seien allein durch die Datenscreenings aufgefallen. Die tatsächlichen Ermittlungserfolge hielten sich dagegen in Grenzen, wie die Bahn zugibt.

Ende der neunziger Jahre, als die Überwachungsaktionen begannen, steckte die Bahn tief im Schlamassel. Die Geschäftszahlen waren dürftig und immer wieder leiteten korrupte Mitarbeiter bei Bau- und Beschaffungsprojekten Geld in die eigene Tasche. Die Führung ließ fortan systematisch nach Kriminellen im eigenen Haus suchen. Zwischen 1998 und 2006 wurden fünfmal die Daten Zehntausender Mitarbeiter mit denen von Lieferanten abgeglichen. Zwar ist diese Art von Rasterfahndung nicht verboten, wer sie anwendet, muss aber genaue Regeln einhalten. Die Bahn tat dies nicht, wie der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix in einem Bericht urteilt, der dieser Zeitung vorliegt. Offensichtlich habe die Abteilung Revision, die größtenteils für die Ermittlungen zuständig war, ihren Arbeitsbereich als „rechtsfreien Raum“ verstanden, mutmaßt er.

In konkreten Verdachtsfällen gingen die Schnüffler noch weiter. Sie beobachteten, welche Internetseiten Verdächtige besuchten, überprüften E-Mails, durchkämmten persönliche oder gemeinsam genutzte Festplatten, bauten sie aus. Zudem beauftragte die Bahn Detekteien mit der Beschaffung zusätzlicher Beweise. Am forschesten ging das Kölner Unternehmen Argen vor, gegründet von einem britischen Ex-Spion. Es sei seine „Spezialität, Kontobewegungsdaten – teilweise sogar Originalkontoauszüge – zu beschaffen“, heißt es zu Argen im Dix-Bericht. Und Argen beschaffte. Als „kaum vorstellbar“ bezeichnet Dix es, dass die Detektive auf legalem Weg in den Besitz solcher Daten gekommen sein können.

Ebenso eifrig wie bei der Suche nach Straftätern waren die Bahn-Leute beim Aufspüren von Kritikern. „Wir kreisen unsere Lecks schrittweise ein“, hatte Hartmut Mehdorn 2005 seiner Belegschaft geschrieben, nachdem wiederholt vertrauliche Papiere nach außen gelangt waren. Entsprechend filterte die Bahn über Jahre alle E-Mails, die Beschäftigte schrieben. Das Projekt „Leakage“ sorgte dafür, dass bei Verwendung bestimmter Begriffe oder Adressen die internen Ermittler aufmerksam wurden. Die Bahn- Führung ließ eine umfangreiche Liste unliebsamer Leute führen – darunter Mehdorn-Kritiker, Abgeordnete und Redaktionen, auch der Tagesspiegel.

Wer hat was wann gewusst? Das ist die Frage, die die Sonderermittler beantworten müssen. Vorstandschef Mehdorn hat die Affäre bereits das Amt gekostet, Personalchefin Margret Suckale hat hingeworfen, weitere Abgänge sind wahrscheinlich. Allerdings halten sich viele Chefs für unschuldig. „Die Überwachungen und die Datenabgleiche waren nie Thema im Vorstand“, sagt ein Spitzenmann aus dem Gremium. Niemand habe angeordnet, zu unsanften Ermittlungsmethoden zu greifen, betont der Konzern offiziell, alles habe im Rahmen der Korruptionsbekämpfung stattgefunden.

Der Groll der Führungskräfte richtet sich gegen die Abteilungen Revision und Konzernsicherheit. Sie hätten „alles andere als professionell“ gehandelt, sagt ein Manager. „Trotzdem waren die sehr mächtig und haben immer bekommen, was sie wollten.“ Mehdorn habe eine Struktur aufgebaut, bei der jede wichtige Entscheidung von rund 20 Managern habe abgesegnet werden müssen, erzählt ein langjähriger Mitarbeiter. „Die Folge ist, dass sich jeder absichert und man deshalb nur das verwirklicht, was von oben vorgegeben wurde.“

Ein juristisches Nachspiel wird die Affäre haben: Die Staatsanwaltschaft ermittelt in mehreren Fällen, und Datenschützer Dix will die Bahn zu einem Bußgeld verdonnern. Mit der Ruhe, die sich viele Beschäftigte vom neuen Chef Rüdiger Grube wünschen, dürfte es also vorerst nichts werden.

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