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Wirtschaft: „Den Arbeitgebern geht es um unbezahlte Arbeit“ IG-Metall-Vize Huber über die 40-Stunden-Woche

Herr Huber, Sie waren maßgeblich beteiligt an den Verhandlungen um die SiemensStandorte Kamp-Lintfort und Bocholt. Bereuen Sie inzwischen die Arbeitszeitverlängerung?

Herr Huber, Sie waren maßgeblich beteiligt an den Verhandlungen um die SiemensStandorte Kamp-Lintfort und Bocholt. Bereuen Sie inzwischen die Arbeitszeitverlängerung?

Siemens hat mit äußerster Rücksichtslosigkeit verhandelt und das Ergebnis macht uns überhaupt nicht glücklich. Der Konzern wollte 2000 Arbeitsplätze der Handy-Fertigung nach Ungarn verlagern. Seit Monaten sind die Menschen in Kamp-Lintfort und Bocholt in einem Zustand der Angst. Vor diesem Hintergrund haben wir uns darauf eingelassen, einer Verlängerung der Arbeitszeit und einer Reduzierung der Entgelte zuzustimmen. Das sind massivste Zumutungen für die Menschen. Dafür bekommen die Standorte aber eine mittelfristige Perspektive, weil es Investitionszusagen gibt und Bocholt/Kamp-Lintfort neben dem brasilianischen Manaus und Shanghai zum europäischen Zentrum der Siemens-Handys aufgebaut wird.

Und weil das bei Siemens so schön geklappt hat, reden jetzt alle über eine Arbeitszeitverlängerung. Kann die IG Metall diesen Trend stoppen?

Wir haben in der diesjährigen Tarifrunde die 35-Stunden als Regelarbeitszeit festgeschrieben, aber Ausnahmen definiert. Zum Beispiel können die Angestellten in Forschung und Entwicklung unter bestimmten Umständen länger arbeiten. Aktuell melden sich die Ungefragten zu Wort, die eine Extremsituation in Bocholt/Kamp-Lintfort nutzen, um ihr ideologisches Süppchen zu kochen. Das ist unverschämt und empört mich zutiefst.

Die Politiker haben die Interessen des Landes im Blick.

Dann sollten sie auch entsprechend handeln. Wenn es in der Slowakei einen Unternehmensteuersatz von 19 Prozent gibt, Unternehmen in Ungarn Grundstücke geschenkt bekommen oder in Tschechien für einige Jahre überhaupt keine Steuern zahlen müssen, dann können wir das nicht mit der Tarifpolitik, mit Lohnverzicht und längerer Arbeit ausgleichen. Anstatt sich in die Tarifpolitik einzumischen, sollte der bayerische Ministerpräsident Stoiber sich dafür einsetzen, dass wir in der EU Mindeststeuersätze bekommen und soziale Mindeststandards eingehalten werden.

Mindeststeuern oder nicht – in Deutschland steigen die Arbeitszeiten seit Jahren, 35 Stunden arbeitet doch kaum jemand.

Bei der Debatte um die Arbeitszeit geht es den Arbeitgebern im Kern um unbezahlte Arbeit. Das wir uns dagegen wehren, sollte niemanden wundern. Wir haben mit der 35-Stunden-Woche das flexibelste Arbeitszeitsystem in ganz Europa geschaffen und der Produktivitätsentwicklung einen Schub verpasst. Oder wollen wir die Menschen 50 Stunden in der Woche arbeiten lassen und sie dann mit 50 Jahren in die Erwerbsunfähigkeit schicken?

Wie viele Unternehmen haben Anträge auf längere Arbeitszeit bei der IG Metall gestellt?

Es gibt einen Haufen Trittbrettfahrer, aber mit denen werden wir nicht ins Gespräch kommen. Siemens war auch deshalb nur möglich, weil es sonst in Deutschland keine Handyfertigung gibt. Andernfalls hätten wir schnell einen Wettlauf der Handy-Firmen hier zu Lande zu Lasten der Beschäftigten.

Beim Autohersteller Daimler-Chrysler sind angeblich 10000 Arbeitsplätze in Gefahr. Kommt da auch die 40-Stunden-Woche auf die Beschäftigten zu?

Mit Sicherheit nicht. Wie bei jedem Pkw- Modellwechsel wird auch jetzt wieder über eine Erhöhung der Produktivität verhandelt. Das geht aber mit einer Kernarbeitszeit von 35 Stunden, weil wir einen großen Instrumentenkasten haben. Das wissen aber diejenigen nicht, die zum wiederholten Mal längere Arbeitzeit ohne Lohnausgleich fordern und damit den Menschen in die Tasche fassen wollen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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