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An der frischen Luft.

© dpa-tmn

Wirtschaft: Der aufmerksame Hüter

Wer Schäfer werden will, muss nicht nur naturverbunden sein und mit Tieren umgehen können. Auch handwerkliches Geschick, körperlicher Einsatz und Bürokompetenz sind gefragt.

Was Sascha Wagner am Telefon erzählt, kann man sich bildlich vorstellen: Er steht am Rande einer großen Koppel, vor ihm rund 500 Schafe. Aufmerksam beobachtet er die Tiere, guckt, ob eines von ihnen erkrankt ist. Sascha Wagner ist Schäfer, einer von nur noch geschätzt knapp 2000 in Deutschland. Im Jahr 2010 bestand er seine Meisterprüfung, jetzt arbeitet er im Betrieb seines Onkels im ostwestfälischen Schieder-Schwalenberg. „Es war schon immer mein Traum“, erzählt der 27-Jährige.

Doch wie viele in der Branche muss auch Sascha Wagner eine Einschränkung machen: „Schäfer sein ist nicht immer leicht. Wegen der körperlichen Arbeit, aber auch wegen des Papierkrams.“ Viele hätten eine falsche Vorstellung davon.

„25 Prozent der Arbeitszeit gehen für Bürokratie drauf“, schätzt Bernd Marx. Der Inhaber der Schäferei Marx, selbst Schäfermeister und Onkel von Sascha Wagner, klingt angestrengt, wenn er über die Arbeit redet. „Früher war das nicht so“, erinnert er sich. Damals hätten ein Hund, ein Stock und wasserdichte Kleidung als Arbeitsmaterialien ausgereicht. Heute müssten Einsteiger sich im Klaren sein, dass das reine Hüten die Ausnahme ist. „Wenn sie in der Landschaftspflege tätig sind und mit ihren Herden dafür sorgen, dass bestimmte Grünflächen abgegrast werden, dann müssen sie alles dokumentieren.“ Hinzu komme das Bestandsbuch, in dem jedes Schaf einzeln erfasst sein müsse. Sei eine Schlachterei integriert, so wie auch bei der Schäferei Marx, dann müsse zusätzlich der Fleischverkauf organisiert werden.

Und nicht nur das: Auch außerhalb des Büros müsse ein Schäfer vielfältig talentiert sein. „Man muss die Tierschutzgesetze kennen, gut mit Tieren umgehen und sie füttern können, flexibel in den Arbeitszeiten sein und natürlich naturverbunden“, weiß Marx.

Handwerkliches Geschick sei ebenfalls wichtig, um Futtermaschinen, Ställe oder Gatter reparieren zu können.

„Es ist wirklich viel Arbeit“, betont Marx. Er selbst bildet derzeit einen Lehrling aus. Leicht war die Suche nach dem geeigneten Auszubildenden nicht.

„Diejenigen, die es machen wollen, stellen es sich meist anders vor.“ Deshalb sei es für Interessenten sinnvoll, zunächst in Betriebe hineinzuschnuppern. So wie Marx Neffe Sascha Wagner. Schon mit neun Jahren lief er regelmäßig mit seinem Onkel mit und lernte, auf die Schafe zu achten.

Damit ist Wagner einer von wenigen. „In der gesamten Branche herrscht Nachwuchsmangel“, berichtet Martin Lambers, Referent für Berufsbildung im Deutschen Bauernverband. Vor allem Frauen seien rar.

Insgesamt 105 junge Menschen machten im Jahr 2010 ihre dreijährige duale Ausbildung in Schule und Betrieb, laut Statistischem Bundesamt waren nur 36 von ihnen weiblich. Das könne daran liegen, dass die Arbeit auch körperlich anstrengend ist, vermutet Lambers.

Das Einkommen eines ausgebildeten Schäfers - oder, um genau zu sein: eines Tierwirts in der Fachrichtung Schäferei - sei abhängig von den jeweiligen Anforderungen im Einzelfall. Berücksichtigt werde zudem Berufserfahrung und Verantwortlichkeit. Lambers schätzt das Bruttoeinkommen auf 1500 bis 2000 Euro monatlich, ähnliche Zahlen gibt auch die Bundesagentur für Arbeit an. „Als Meister bekommt man etwa 500 Euro im Monat mehr“, sagt Lambers.

Seiner Meinung nach werde die Bedeutung des Berufs oft unterschätzt. „Man nimmt die Schäfer kaum wahr, aber ohne sie könnten große Teile der Landschaftspflege und des Küstenschutzes gar nicht bewältigt werden.“ Laut Lambers fordern die meisten Betriebe von ihren Auszubildenden, dass sie mindestens einen Hauptschulabschluss vorweisen können. In Einzelfällen reiche jedoch auch großes persönliches Interesse in Verbindung mit praktischen Vorerfahrungen.

Nicht zu vergessen die Freude an der Arbeit sowie das Talent, mit Tieren umgehen zu können. „Eine gezielte Entscheidung für den Beruf und der Wille dazu ist sehr wichtig. Schließlich lebt und arbeitet man mit der und für die Natur.“ Sascha Wagner hat diesen Willen. „Im Kindergarten habe ich schon gesagt, dass ich Schäfermann werden möchte“, erinnert sich Wagner.

Dass das auch heißen kann, die Schafe selbst schlachten zu müssen, war ihm damals wohl noch nicht bewusst. Nach der morgendlichen Kontrolle der Mutterschafe auf den Wiesen muss Wagner täglich die Mastlämmer in den Ställen erst füttern und anschließend einige von ihnen zur angrenzenden Schlachtbank bringen. 20 bis 30 der insgesamt rund 450 Lämmer sterben pro Woche unter den Augen von Sascha Wagner und Bernd Marx. „Das ist teilweise richtig hart, weil man die Lämmer hat aufwachsen sehen“, gibt Wagner zu. Doch so sei das Geschäft.

„Meine Lieblingslämmer, die ich mit der Flasche aufgezogen habe, die lasse ich aber nicht sterben, dafür habe ich mich entschieden.“ Nicht jeder Schäfer muss solche Entscheidungen treffen, das weiß Wagner. Während seiner Ausbildung arbeitete er unter anderem in einer Deichschäferei, bei der er die Schafe fest eingezäunt betreute und dafür sorgen musste, dass die Deiche in Emden gleichmäßig abgegrast werden. In einer anderen Station trieb er als klassischer Hüteschäfer in Senne die Schafe mit zwei Hunden über die Heide – zweimal täglich sowohl um 4 Uhr morgens als auch bis 20 Uhr abends.

Auch in dem Unternehmen seines Onkels gebe es täglich immer wieder neue Herausforderungen. Bereut hat Wagner seine Entscheidung, Schäfer zu werden, allerdings nie.

„Der Umgang mit den Tieren macht einfach wahnsinnig viel Spaß“, findet der 27-Jährige, und in seiner Stimme klingt Begeisterung mit. „Gerade die Lammzeit ist toll.“ Und das Wissen, dass gerade 500 Schafe hinter ihm herlaufen. „Das Gefühl ist einfach unbeschreiblich.“ dpa

Sophie Mono

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