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Wirtschaft: „Der Aufschwung gehört den Arbeitern“

IG-Metall-Vize Berthold Huber über Tarifpolitik mit Augenmaß und die Korruptionskrise bei Siemens

Herr Huber, sind die mageren Jahre für die Arbeitnehmer am Standort Deutschland vorbei?

Die IG Metall hat auch in schwierigen Zeiten in den letzten Jahren ordentliche Tarifabschlüsse gemacht, die über dem Durchschnitt lagen. Vor einem Jahr haben wir Tariferhöhungen von drei Prozent erreicht, das lag deutlich über der Inflationsrate, und in diesem Jahr werden wir über 2006 liegen, das ist keine Frage.

Sie wecken solche Erwartungen, dass Sie kaum noch unter vier Prozent abschließen können. Wie groß ist die Gefahr, dass die IG Metall auch wegen der aktuell hervorragenden Konjunktur überzieht und einen zu teuren Tarifvertrag durchsetzt?

Die aktuelle Geschäftslage ist doch hervorragend! Der Maschinenbau, immerhin die größte Branche in der Metall- und Elektroindustrie, hat einen so guten Monat März hinter sich wie zuletzt in den 70er Jahren. Daran wollen die Beschäftigten teilhaben. Denn den Aufschwung haben ganz wesentlich die Beschäftigten erarbeitet. Und was den Vorwurf überzogener Abschlüsse anbelangt: Wir haben in den vergangen Jahren eine Tarifpolitik mit Augenmaß gemacht und werfen das auch jetzt nicht über Bord.

Können Sie sich an eine Tarifrunde erinnern, die unter so günstigen wirtschaftlichen Bedingungen stattfand?

Woran ich mich nicht erinnern kann, ist der Optimismus, mit dem derzeit in die Zukunft geschaut wird. Wir haben also nicht nur einen konjunkturellen Ausschlag nach oben, sondern einen tragenden Aufschwung, der länger anhält.

Gute Zeiten für Tarifpolitiker.

Im Vordergrund steht die Frage, ob die Arbeitgeber bereit sind, die Beschäftigten angemessen zu beteiligen. Das, was heute von den Arbeitgebern vorliegt, nämlich ein Angebot über 2,5 Prozent, ein Bonus der wieder wegfällt und die Möglichkeit zur Kürzung des Weihnachtsgeldes, ist keine faire Beteiligung.

Ein verbessertes Angebot wird es am heutigen Donnerstag in Sindelfingen geben.

Entweder wir bekommen in den nächsten Tagen einen Abschluss, den wir tragen können und wollen, oder wir entscheiden Mitte Mai, ob es einen Arbeitskampf gibt. Wir werden nicht den ganzen Mai hindurch verhandeln, der Worte sind genug gewechselt.

Es geht nur ums Geld. Sollten sich die Tarifparteien nicht stärker mit altersgerechter Arbeit, Aus- und Weiterbildung befassen?

Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder getan. In der aktuellen Runde werden wir das Thema flexibler Übergang in die Rente auf den Tisch bringen, aber sicherlich nicht jetzt lösen. Da das Altersteilzeitgesetz 2009 ausläuft müssen wir uns nach der Tarifrunde sehr intensiv mit einer Anschlussregelung befassen und bis 2008 eine Lösung finden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Politik den gesetzlichen Rahmen schafft.

Das wird also ein Schwerpunktthema, wenn Sie im Herbst zum ersten Vorsitzenden gewählt werden sollten?

Ich möchte nicht über ungelegte Eier reden. Klar ist aber, dass wir keine monatelange Debatte über Personen wollen, und keine Flügelkämpfe an der Spitze. Ich gehe also davon aus, dass der Vorstand zu gegebener Zeit nach der Tarifrunde die Kandidaten für die IG-Metall-Spitze vorschlagen wird.

Sie sind Mitglied im Aufsichtsrat der Siemens AG, ist der Konzern noch zu retten?

Im November letzten Jahres wurde deutlich, dass schwarze Kassen existieren. Es gab offensichtlich ein System im Geschäftsbereich COM, Aufträge auch über Bestechungen zu kaufen. Daraufhin hat Siemens selbst massive Schritte unternommen, um das aufzuklären und um künftig Strukturen einzuziehen, die so etwas verhindern. Dann kam im Februar die AUB-Affäre hinzu, also die gesetzeswidrige Finanzierung einer Arbeitnehmerorganisation die dem Siemens-Vorstand genehm war.

Wie sehr weitet sich die Krise noch aus?

Das, was wir bereits heute wissen, ist sehr besorgniserregend. Und viele Unternehmensbereiche, in denen es Korruptionsgefährdung gibt, sind noch gar nicht untersucht. Zum Beispiel der Kraftwerksbau, die Medizintechnik oder die Transportsysteme. Der Aufsichtsrat hat deshalb die Pflicht, die Aufklärung weiter voran zu treiben. Und der Aufsichtsrat muss jetzt eine Führung finden, die glaubwürdig diese Aufklärung betreibt und alles dafür unternimmt, dass Siemens mit seinem guten Ruf weltweit nicht weiter beschädigt wird. Siemens ist kein Krämerladen um die Ecke. Siemens heißt: Benchmark für Technologie Made in Germany und steht für 475 000 Beschäftigte weltweit, davon 160 000 in Deutschland.

Warum musste Klaus Kleinfeld gehen?

Bisher gibt es überhaupt keine Vorwürfe gegen Herrn Kleinfeld oder irgendwelche Hinweise. Dennoch konnten wir Herrn Kleinfeld zu diesem Zeitpunkt keinen neuen Vertrag über fünf Jahre geben, weil vieles, wie zum Beispiel der Bereich USA, für den Kleinfeld zuständig war, noch nicht untersucht ist. Wir haben Kleinfeld gesagt, dass wir noch Zeit brauchen zur Verlängerung des Vertrages, weil die Unsicherheit zu groß ist. Herr Kleinfeld wollte das nicht akzeptieren.

Was muss der Nachfolger mitbringen?

Die zukünftige Siemens-Führung muss die Fähigkeit beweisen, im eigenen Haus für Ordnung zu sorgen. Außerdem ist die Fähigkeit erforderlich, die Belegschaft gewissermaßen mitzunehmen, und ihr zu zeigen dass das Unternehmen auch eine gute Zukunft hat. Alles in allem geht es um Perspektive und Solidität. Ganz wichtig ist jetzt, vor allem auch für die Belegschaft, dass die Verfehlungen im Unternehmen selbst aufgearbeitet werden.

Die IG Metall oder ihre Vertreter haben nichts gewusst von der Korruption?

Mir ist niemand bekannt, aber man kann das nicht ausschließen. Klar ist für uns: Ungesetzliches Verhalten mit System, wie es bei Siemens offenbar vorliegt, können wir nicht billigen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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