zum Hauptinhalt
Wie geht es weiter? Die Prognoseindustrie läuft vor allem gegen Jahresende zur Hochform auf. Die Anleger möchten wissen: Wohin entwickeln sich die Märkte? Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Der Blick täuscht

Was Anleger aus Prognosen für Aktien, Devisen oder Rohstoffe lernen.

Wie geht es weiter mit dem Dax, nachdem er über die 9000-Punkte-Marke gesprungen ist? Daumen hoch oder runter? Eine ganze Industrie ist pausenlos damit beschäftigt, in die Zukunft zu blicken: Heerscharen von Analysten sagen jeden Tag Kurse vorher, prognostizieren die Zukunft von Aktien, von Rohstoffen oder Wechselkursen. Viele Anleger orientieren sich an den Prognosen. Der Traum, dass die Zukunft und damit die richtige Entscheidung letztlich berechenbar seien, ist alt und verlockend. Aber falsch.

„Prognosen von Finanzexperten ergeben im Schnitt keine besseren Resultate als der Zufall“, sagt Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Der Psychologe hat in seinem neuen Buch „Risiko“ gründlich mit der Prognose- und Statistikindustrie aufgeräumt. Vielen Menschen, sagt Gigerenzer, genüge die Hoffnung, dass „einer alles im Griff hat“. Sie verfielen einer Illusion von Gewissheit. Zwar lächelten sie über Wahrsager. Doch sobald ein Computer Terabytes von Daten analysiere und ein Experte daraus seine Schlussfolgerungen ziehe, nähmen die meisten die Vorhersagen ernst.

Doch just Experten, sagt der Forscher, seien Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Der Rat von Experten könne also genau das Falsche sein. Studien belegen dies. So ergab eine schwedische Studie aus dem Jahr 2004: Experten entscheiden oft sogar schlechter als Laien. In der Studie wurden Fondsmanager und Anlageberater gebeten, die Wertentwicklung von 20 umsatzstarken Aktien großer Unternehmen (Bluechips) vorherzusagen. Dabei erhielten sie je zwei Aktien und mussten sich für jene entscheiden, der sie mehr zutrauten. Eine Gruppe von Laien, der die gleichen Fragen gestellt wurden, traf zu 50 Prozent ins Schwarze. Die Experten wählten nur zu 40 Prozent richtig aus. Sie verließen sich auf ihr Spezialwissen, ohne dessen Unzuverlässigkeit für die Zukunft zu berücksichtigen. Zudem fielen sie der „Overconfidence“ zum Opfer, der Selbstüberschätzung, die auch informierte Privatanleger glauben lässt, sie könnten dem Markt ein Schnippchen schlagen – und dies nicht nur durch Glück und Zufall.

Dabei hat die Prognoseindustrie alles ausprobiert, was denkbar ist: Die einen analysieren Twitter-Nachrichten, andere ziehen Schlussfolgerungen aus dem Kursbild der Vergangenheit oder der Stimmung der Anleger, Dritte füttern Hochleistungsrechner mit Daten oder leiten Kaufentscheidungen aus dem perfekten Verhältnis von Rendite und Risiko ab. Wieder andere bemühen „die Weisheit der Vielen“ oder gar die Quantenphysik.

Fakt bleibt jedoch: Was geschehen wird, weiß niemand. Gerade an den Aktienmärkten gehe es nicht um berechenbare Risiken, sondern um Ungewissheiten, sagt Gigerenzer. Ähnlich argumentiert Martin Weber, Professor für Bankbetriebswirtschaft an der Uni Mannheim. Die Kurse beinhalteten zu jedem Zeitpunkt alle bekannten Informationen, enthalten seien auch Gier und Ängste, Hoffnungen und Erwartungen. Komme eine neue Information hinzu, werde sie sofort im Kurs verdaut. Zwar entwickeln sich Aktien sehr langfristig im Einklang mit fundamentalen Kriterien, etwa Verschuldung oder Gewinnen. Doch auch diese Parameter sind nicht vorhersehbar.

Dass es Profis auch langfristig nicht gelingt, schlauer zu sein als der Markt, belegt eine Studie aus dem Jahr 2010. Die Ökonomen Eugene Fama (der diesjährige Nobelpreisträger) und Kenneth French wiesen für einen Zeitraum von 22 Jahren nach, dass Aktienfondsmanager nach Kosten im Schnitt 1,1 Prozent weniger erzielen als der Gesamtmarkt.

Dennoch läuft die Prognoseindustrie vor allem gegen Jahresende zur Hochform auf. Die Anleger möchten wissen: Wohin geht der Dax im neuen Jahr? Wie wird sich der Euro entwickeln? Steigt der Goldpreis wieder? Bisher blieb der Realitäts-Check stets niederschmetternd. Ende 2011, der Dax befand sich gerade in einer sechsmonatigen Schwächephase, trauten die Banken ihm für 2012 im Schnitt maximal 6573 Punkte zu. Doch Ende 2012 stand der Dax bei 7412 Zählern. Ende 2007, vor dem Ausbruch der Finanzkrise, tippten die Banken auf einen Stand zwischen 7770 und 10 250 Punkten. Tatsächlich waren es 4810. Auch für 2013 waren die Experten zu vorsichtig: 8069 Punkte prognostizierten die Banken im Schnitt für den Dax. Rund 9000 sind es bisher geworden.

Freilich: Immer wieder liegen einzelne Analysten zufällig richtig. „Doch selbst eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig“, sagt Gigerenzer. Manche avancieren gar zu Investmentgurus, vor allem, wenn sie einmal einen Crash richtig prophezeit hatten. Rein statistisch, rechnet Gigerenzer vor, würden von 10 000 Anlageberatern und Analysten auch nach zehn Jahren noch zehn Experten alljährlich Gewinne gemacht haben. Nur welche, kann auch der Anleger nicht ahnen.

Welche Schlussfolgerungen kann ein Anleger daraus ziehen? Es gibt zwei Möglichkeiten: Da niemand die Zukunft kennen kann, fährt man am besten, wenn man mit dem Markt geht – also passiv investiert. Weber hat zu diesem Zweck einen Fonds entwickelt, der nach einem festen Muster völlig passiv und ohne Expertenauswahl in Aktien, Renten und Rohstoffe investiert, den „Arero“. Gigerenzer wiederum findet: Es ist besser, mit Faustregeln und Intuition zu arbeiten, denn für komplexe, aber ungewisse Szenarien eigneten sich einfache Lösungen besser. Wer sich zudem an Gewissheiten klammere, die es aber nie gebe, entwickle „eine übertriebene Scheu vor den unvermeidlichen Risiken finanzieller Anlagen“. Gigerenzer rät zur sogenannten 1/n-Formel. Sie besagt: Teile dein Geld gleichmäßig auf (etwa je ein Drittel Aktien, Anleihen und Immobilien), diversifiziere so breit, wie es die Anlagesumme erlaubt, kaufe nur, was du verstehst, und misstraue Experten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false