zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der Chef der US-Notenbank wird kultisch verehrt, jetzt wird sein Mandat abermals verlängert

Eigentlich war mit der neuen Nominierung von Alan Greenspan zum US-Notenbankchef erst später gerechnet worden. Doch US-Präsident Bill Clinton erklärte bereits am Dienstag, er schlage den 73-Jährigen angesichts dessen überzeugender Leistungen für die US-amerikanische Wirtschaft für eine weitere Amtszeit vor.

Eigentlich war mit der neuen Nominierung von Alan Greenspan zum US-Notenbankchef erst später gerechnet worden. Doch US-Präsident Bill Clinton erklärte bereits am Dienstag, er schlage den 73-Jährigen angesichts dessen überzeugender Leistungen für die US-amerikanische Wirtschaft für eine weitere Amtszeit vor. Unzweifelhaft ein Dankeschön an die US-Notenbank. Denn die hat maßgeblichen Anteil am Erfolg der Politik des Weißen Hauses. Im Wesentlichen verdankt Amerika seiner unabhängigen Notenbank den längsten Aufschwung der US-Wirtschaftsgeschiche, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und eine zehnjährige Hausse am Aktienmarkt.

Durch die vorgezogene Ankündigung wollte Clinton auch vermeiden, dass die Wiederwahl des mächtigsten Mannes der Weltwirtschaft auf irgendeine Weise in den bevorstehenden Wahlkampf hineingezogen werden könnte. Immerhin hat sich Greenspan mehr als einmal mit den Republikanern angelegt. Ex-Präsident George Bush hatte die Politik Greenspans sogar ausdrücklich für seine Abwahl als Präsident im Jahre 1992 verantwortlich gemacht. Und schließlich muss die Ernennung Greenspans durch den US-Präsidenten ja noch vom Senat bestätigt werden, wo die Republikaner die Mehrheit haben.

Ernsthaft freilich erwartet niemand in Washington, dass dem populären Notenbankchef im Wahljahr Steine in den Weg gelegt werden. Auch deshalb nicht, weil Greenspan selbst Republikaner ist. Vor allem aber: Zu Greenspan gibt es keine Alternative. Seit der damalige US-Präsident Ronald Reagan den Sohn eines Börsenmaklers Greenspan im Sommer 1987 zum Nachfolger des damaligen Notenbankchefs Paul A. Volckers, zum "Chairman of the Board of Governors of the Federal Reserve System", berief, hat Alan Greenspan als exzellenten Job gemacht. Wie kein Zweiter versteht er die Sprache der Märkte. Gerade zehn Wochen im Amt, da kam es zum Oktober-Crash, dem schlimmsten Einbruch der Akienmärkte seit 1929. Greenspan hatte die Macht des Wortes entdeckt und bald auch die dazugehörige Formel geprägt: "Ich murmele in großen Zusammenhängen."

Als "den führenden Experten für milchigtrübe Ausdrucksweisen" hat die "New York Times" ihn einmal bezeichnet. Dabei geht der typische Greenspan-Auftritt geht so: Der Fed-Chef huscht fast unbemerkt in den Raum, im Laufschritt hinter ein Pult mit schwerem Tuch. Die wuchtige Brille läßt den schmalen, gebückt laufenden Mann noch mehr nach Eule aussehen, als er dies dank schütteren Haares und eingefallener Wangen ohnehin schon tut. Manche sagen, er sei eine Sphinx, weil er die Öffentlichkeit meidet, wo er nur kann. Andere erinnert er an Woody Allen. Wenn er zuhört, hat er stets eine Hand vor die Stirn geschlagen oder unters Kinn geschraubt; ein oder zwei gespreizte Finger verdecken den Mund, aus dem dann die Milch der Weisheit sprudelt.

Die sozialen Verpflichtungen eines Zentralbankchefs sind ihm ein Graus. Zu Parties und Empfängen erscheint er fast unsichtbar seiner Frau hinterhertrabend. Wenn es sein muss, kann er ein Fachreferat über die Marktchancen eines neunachsigen LkWs in Lateinamerika halten. Meist steht er aber gesenkten Hauptes wie verloren herum.

Seine Emotionen gelten der Wirtschaft. Wenn Greenspans heisere Stimme warnt, wackeln die Börsen. Wenn er die "für Friedenszeiten einmalige Erfolgsgeschichte der letzten zehn Jahre" lobt und von "nachhaligen Expansionskräften" spricht, kippen die Chefredakteure britischer und deutscher Wirtschaftsmagazine ihre geplanten Titel zur "Seifenblasen-Ökonomie" der USA. Wem Greenspan traut, dem traut die Welt. Und der US-Notenbankchef traut weiter seiner Nationalökonomie.

Greenspans Mischung aus fanatischem Arbeitseifer, persönlicher Unnahbarkeit und exzentrischer Großstadtneurotik verrät den typischen New-Yorker. 1926 wurde er im "Big Apple" geboren. Dort wuchs er nach der Scheidung der Eltern, einem Börsianer und einer Verkäuferin, in bescheidenen Verhältnissen auf. Er ging auf die High School, die kurz danach Henry Kissinger besuchte, und entdeckte seine Liebe zur Musik. Eine erfolgversprechende Karriere als Jazz-Klarinettist gab er zugunsten des Ökonomie-Studiums auf. Heute hat er dutzende Aufsichtsratsposten, Doktorwürden und Ehrenämter.

Robert vonRimscha, Martina Ohm

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false