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Wirtschaft: Der Euro kommt: Das Sex-Symbol des Sozialismus

Die Fotos sind noch nicht vergilbt. Jene Aufnahmen vom Juli 1990, auf denen zu sehen ist, wie das neue Geld auf dem Wohnzimmertisch liegt.

Die Fotos sind noch nicht vergilbt. Jene Aufnahmen vom Juli 1990, auf denen zu sehen ist, wie das neue Geld auf dem Wohnzimmertisch liegt. Sauber ausgebreitet und nach Wert sortiert. Aufnahmen von Vater und Mutter, die sich gegenüber sitzen und Hundert-Mark-Scheine in der Hand auffächern wie Kartenspieler. Aufnahmen von lachenden Kindern, die zu ahnen scheinen, dass gerade etwas Großes passieren muss.

Zum Thema OnlineSpezial: Der Euro kommt Euro-Countdown: Die Serie im Tagesspiegel Euro-Memory: Passende Euro-Pärchen finden Ted: Der Euro - mehr Vor- oder mehr Nachteile? Die Fotos sind in nahezu allen ostdeutschen Familienalben zu finden. Denn die Einführung der D-Mark war tatsächlich etwas Großes. Für die Menschen ging ein Traum in Erfüllung. Ein Traum, der aus Hoffen und Warten bestand. Ein Traum, den sich das Volk auf der Straße erkämpfte. Der Traum geht nun zu Ende. Nach elf Jahren D-Mark kommt der Euro.

"Mit Freude gibt hier keiner sein Geld ab", erzählt Wolfgang Knorr von der Heros Geld- und Werttransport GmbH. Seit April ist er mit einer Münz-Zählmaschine in Sachsen unterwegs, um Bares aus Sparschweinen einzusammeln. Knorr steht täglich auf der Straße. Er berichtet: "Dem Euro fiebert keiner entgegen." Umfragen zeichnen das gleiche Stimmungsbild. Gerade mal ein Drittel der Ostdeutschen erwartet, dass der Euro eine erfolgreiche Währung wird. Im Westen glauben immerhin 52 Prozent daran. Die Hälfte der Ostdeutschen befürchtet finanzielle Einbußen durch das neue Geld. Auf Verbesserungen hofft gerade mal ein Prozent.

Vor elf Jahren war das anders. Mit Sekt und Wunderkerzen wurden vor den Sparkassen die ersten D-Mark-Scheine gefeiert. Es war ein warmer Sonntag. Zum Wochenbeginn waren die Geschäfte plötzlich voll, die Tristesse der Planwirtschaft war verschwunden. All die "vorübergehenden Auslieferungsschwierigkeiten" oder "nicht für den Erwerb vorgesehenen Beratungsmuster" - vergessen und vorbei. Es war die Zeit, in der alle auf das zweite Wirtschaftswunder hofften. Und auch wenn das Wunder an vielen Orten ausblieb - dem ostdeutschen Mythos der D-Mark hat das nicht geschadet.

Zwei Stunden lang nur geweint

Warum waren die Ostdeutschen so fixiert auf das Westgeld? War es nur der Traum von Wohlstand und Erfolg? Oder war die D-Mark ein Symbol für politische Freiheit und Unabhängigkeit? "Die D-Mark bedeutete noch viel mehr", erläutert Psychologin Simone Severin, "sie war zentraler Splitter deutscher Identität." Für eine Euro-Studie des Kölner Rheingold-Instituts hat Severin tiefenpsychologische Interviews mit Frauen und Männern aus Köln und Dresden geführt. Ergebnis: Besonders Ostdeutsche sind vom Abschied der D-Mark emotional berührt. In Dresden hätten die Befragten mit langem Schweigen und Wutausbrüchen reagiert. "Es gab Leute, die haben zwei Stunden lang nur geweint", erzählt Severin. Die Forscherin hat für die starke Bindung an die D-Mark zwei Gründe ausgemacht. Erstens: das Westgeld erzeugt ein nationales Wir-Gefühl, es verbindet Ost und West wie ein unsichtbares Band. Zweitens: Die D-Mark ist Symbol für die Sehnsucht der Ostdeutschen, endlich als vollwertige Deutsche anerkannt zu werden. Diese Sehnsucht wird durch die Abschaffung der D-Mark wieder verstärkt. Severin: "Viele haben das Gefühl, das Band wird jetzt zerschnitten und sie gehören nicht mehr dazu."

Die D-Mark als Objekt der Sehnsucht. Ein Sex-Symbol des Sozialismus? Angesichts der Geschichte scheint das nicht mal übertrieben. Denn die Sehnsucht begann schon bei der Geburt der D-Mark in den westlichen Besatzungszonen. Dort füllten sich nach der Währungsreform am 21. Juni 1948 schlagartig die Einkaufsregale. In der sowjetischen Besatzungszone, in der drei Tage später die ostdeutsche Mark eingeführt wurde, gab es nicht einmal genügend neue Geldscheine. Druckkapazitäten und Papier waren knapp. Bankangestellte wurden zwei Tage in Schulen eingesperrt und mussten dort unter sowjetischer Bewachung alte Reichsmark mit neuen Kupons überkleben. Für zusätzliche Verwirrung sorgten unterschiedliche Umtauschkurse. Die Privatwirtschaft hatte ungünstigere Wechselkonditionen als volkseigene Betriebe, bei Privatpersonen war der Umtausch mehrfach gestaffelt. Kein leichter Start für die ostdeutsche Mark.

Der Unterschied blieb bis zum Schluss. Während die D-Mark zur internationalen Reservewährung avancierte, hing an ihrer ostdeutschen Schwester der Makel von Mangel und Misswirtschaft. Die DDR-Mark war eine Binnenwährung. Am deutlichsten spürten das die Ostdeutschen im Urlaub am Balaton oder am Schwarzen Meer. Dort existierten beide deutsche Währungen nebeneinander - doch die weichen Alu-Chips made in GDR zählten nichts. Der heute oft zitierte Spruch von den "Deutschen zweiter Klasse" war schon lange vor der Wende Realität.

Das Werbefernsehen, das zur Weihnachtszeit bunte Geschenke versprach (Später mussten die Eltern ihren Kindern erklären, warum sie Präsente wieder vom Wunschzettel strichen.), die "Intershops" mit den Westwaren, in denen es duftete und glitzerte, die inoffizielle Wechselei unter Freunden zu Kursen bis zu 1:20 - all das waren kollektive Erlebnisse der Herabstufung. Mit jedem Erlebnis wuchs die Sehnsucht nach dem Westen. Obwohl nur wenige die D-Mark hatten, war sie ständig präsent. Selbst die Parteiführung gierte nach internationalen Krediten und zog den Bürgern in den "Intershops" die Devisen aus der Tasche. In den achtziger Jahren konnte niemand mehr verbergen, wie wichtig die West-Währung für die DDR war.

Eine Drohung zum Schluss

Als sich 1989 die Schulden häuften, die Abwandererzahlen explodierten und die Menschen die alte Parteiclique verjagten, kam der Ruf schnell auf die D-Mark. Auf den Leipziger Montags-Demonstrationen hieß es Anfang 1990 nicht mehr: "Wir sind das Volk" und "Stasi in die Produktion". Nach der Maueröffnung und den ersten 100 D-Mark Begrüßungsgeld ging es um andere Dinge. "Wir sind ein Volk", schallte es. Und: "Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, gehen wir zu ihr." Die Drohung wirkte.

Nun kommt der Euro und die meisten Ostdeutschen haben Angst. "Meine Stelle kann ich verlieren, meine Frau kann mich verlassen, aber wenn die D-Mark geht, zerreißt es mir das Herz." Das hat ein Dresdner in einem Interview für die Euro-Studie gesagt. Es wird viele geben zwischen Ostsee und Erzgebirge, die in diesen Tagen ihr Familienalbum hervorkramen. Manche werden dabei die alten DDR-Mark-Scheine wieder erblicken, die sie zwischen die Fotos von der Währungsunion geklebt haben. Wertlose Erinnerung an jene Zeit, in der sich ein Traum erfüllte.

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