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Wirtschaft: Der Feuerwehrmann des Kanzlers

Wirtschaftsminister Werner Müller kann aussprechen, was Schröder nur denken darf

Von Carsten Brönstrup

Einer der größten Fans von Werner Müller lebt in der sachsen-anhaltinischen Provinz und schenkt Bier aus. Otto Töffels, Wirt des Ausflugslokals „Brauner Hirsch" in Schönebeck bei Magdeburg, hat dem Bundeswirtschaftsminister einiges zu verdanken. Nachdem die Elbe im August seinen Gasthof geflutet hatte, stand Töffels Existenz auf dem Spiel. Mobiliar, Küchengeräte, Eichenparkett – das meiste war abgesoffen, verdreckt, unbrauchbar. Die Bundesregierung legte flugs ein Hilfsprogramm für Unternehmen auf, die nach dem Hochwasser vor dem Aus standen. Und Minister Müller persönlich rückte mit einem Soforthilfe-Scheck über 15000 Euro im „Hirschen“ an. „Ohne das Geld wären wir ruckzuck Pleite gewesen", sagt Töffels. „Doch jetzt geht es weiter."

Nicht alle Unternehmer sind so gut auf den alten und wahrscheinlich neuen Wirtschaftsminister zu sprechen wie Töffels. Als sich in den vergangenen Tagen die Gewissheit verdichtete, dass Müller auch dem neuen Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder angehören werde, hielt sich die Begeisterung bei Wirtschaftsverbänden und Managern in Grenzen. Sie machen keinen Hehl daraus, dass ihnen ein Minister Lothar Späth lieber gewesen wäre. Ein Lobbyist aus der Energiebranche forderte den Kanzler jüngst gar auf, über eine „personelle Alternative" zu dem 56-jährigen Mülheimer nachzudenken.

Das hat Gerhard Schröder vermutlich nicht getan, auch wenn zurzeit über einen Superminister Wolfgang Clement spekuliert wird. Denn für den Kanzler spielt der parteilose Westfale eine wichtige Rolle. Der Vorwurf der Wirtschaft, Müller habe zu wenig für Wettbewerb und Liberalisierung in Deutschland getan, ficht Schröder nicht an. Ob Flutopfer-Hilfe, Mobilcom-Pleite oder Konjunkturkrise, der Volkswirt und promovierte Sprachwissenschaftler Müller ist stets zur Stelle – entweder mit schnellen Staatsmillionen oder mit salbungsvollen Worten Er ist Schröders Feuerwehrmann. Und er spricht aus, was Schröder denkt, aber nicht sagen darf. Schon oft ist Müller mit einer Reformidee vorgeprescht, hat die Schelte von Funktionären und Genossen eingesteckt und damit eine Debatte angestoßen.

Zur Belohnung darf Müller, dem zeitweilig Amtsmüdigkeit nachgesagt wurde, vermutlich den renommierten Kabinettsposten behalten. Sein Haus wird sogar aufgewertet: Die wichtige wirtschaftspolitische Grundsatzabteilung, die Wachstumsprognosen und Konjunkturstatistiken erstellt, wird zurück in die Berliner Scharnhorststraße ziehen. 1998 hatte sie der Interims-Finanzminister Oskar Lafontaine dem Ressort entrissen. Ohne das ordnungspolitische Herzstück seines Ministeriums stehe er für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung, hatte Müller dem Kanzler gedroht, und auch weitere Beschneidungen seiner Autorität seien mit ihm nicht zu machen. Ob ihm dieser Wunsch zur Gänze erfüllt wird, ist noch unklar. Im Wirtschaftsministerium herrsche „große Unruhe“, raunen Mitarbeiter, weil Umweltminister Jürgen Trittin gerne die erneuerbaren Energien unter seinen Fittichen hätte. Regierungskreise berichten dagegen, Schröder wolle das Ministerium aufwerten.

Er täte gut daran. Denn die Unzufriedenheit der Wirtschaft mit ihrem Minister rührt nicht zuletzt daher, dass Müller ein zahnloser Tiger ist. Die Zeiten, wo Ordnungspolitik und Soziale Marktwirtschaft Kernpunkte eines Regierungsprogramms waren, sind vorbei. „Von dem Format und dem Einfluss, den Leute wie Ludwig Erhard oder Karl Schiller hatten, kann Müller doch nur träumen“, sagt ein renommierter Wirtschaftsprofessor aus seinem wissenschaftlichen Beirat. Ohnehin ist Müller kein Verfechter der reinen marktwirtschaftlichen Lehre. Und anders als seine Vorgänger darf Müller bei den entscheidenden Wirtschaftsfragen nicht mitreden: Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung liegen in der Hand der Sozialromantiker Walter Riester und Ulla Schmidt. Und gegen Überregulierung und Bürokratie hat der Zigarillo-Liebhaber Müller bislang nicht wirklich etwas ausrichten können. So konnte er bei der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes die ärgsten Grausamkeiten mit einer Rücktrittsdrohung abwenden – verhindern konnte er das Gesetz nicht.

Bleibt das Thema Wettbewerb. Hier bestimmt er die Spielregeln in den Schlüsselmärkten Telekommunikation, Post und Energie. Doch seit dem Amtsantritt des langjährigen Strom-Managers stockt die Liberalisierung der einstigen Monopole. Beispiel Energie: Die Strompreise steigen wieder, beim Gas kommt der Wettbewerb nicht in Gang, und gegen eine Regulierungsbehörde sperrt sich Müller. Beispiel Post: Die Öffnung des lukrativen Briefmarktes ist bis 2007 aufgeschoben, eine Senkung des Portos ließ lange auf sich warten. Beispiel Telefonmarkt: Viele kleine Gesprächs-Anbieter, die zunächst für einen Preiskampf gesorgt hatten, mussten den Betrieb wieder einstellen. Es profitieren am Ende stets die Staatskonzerne Deutsche Telekom und Deutsche Post. „Die Telekom versucht sogar auf Kosten ihres Gewinns, Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Hier muss der Minister viel energischer eingreifen“, klagt Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Verbandes VATM.

Freilich kann Müller auch Pluspunkte für sich verbuchen. Auf seiner Habenseite nach vier Jahren im Amt stehen die Abschaffung des Rabattgesetzes, der Atomausstieg und ein zaghafter Subventionsabbau. Experten raten ihm, nun im neuen Kabinett mit mehr Nachdruck aufzutreten. „Als erstes müsste er darauf pochen, die Europa-Zuständigkeiten und die Abteilung Geld und Kredit aus dem Finanzministerium zurückzubekommen“, sagt ein seinem Haus nahe stehender Ökonom. Otto Töffels, der Gastwirt aus Schönebeck, findet die Kritik überzogen. „Für den Tourismus bei uns“, befindet er zufrieden, „hat die Regierung eine Menge getan“.

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