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Wirtschaft: Der gebremste Reformer

Bert Rürup soll in acht Monaten die Sozialsysteme auf Kurs bringen – ohne ein Wunder ist das kaum möglich

Es hilft nichts, dass Bert Rürup neuerdings im selben Sportstudio schwitzt wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Es nützt auch nichts, dass er im selben Büro sitzt, in dem vor wenigen Wochen noch Peter Hartz in strenger Klausur seine Arbeitsmarktreformvorschläge formulierte. Und es wird die Sache kaum befördern, dass er sich in seiner eigenen Kommission zur Reform von Rente, Gesundheit und Pflege im Wesentlichen von befreundeten Wirtschaftswissenschaftlern umstellt weiß: Wenn der Wirtschaftsweise Rürup sein Hinterhofbüro in der Berliner Glinkastraße betritt, ist ihm klar, dass das mit dem einvernehmlichen, vertraulichen und vertrauensvollen Arbeiten in den kommenden acht Monaten nur klappen kann, wenn ein Wunder geschieht.

Ein Wunder für die Reform der Sozialversicherungen – abwegig sei das nicht, meint er. „Der Problem- und Leidensdruck ist zwischenzeitlich hoch genug“, sagt Rürup. Die Sozialversicherungsbeiträge hätten sich für alle erkennbar zur Beschäftigungsbremse entwickelt. Im kommenden März werde die Arbeitslosenzahl voraussichtlich bei knapp 4,5 Millionen liegen. Und das heiße, dass in der nächsten Zeit Verständigungen möglich werden könnten, zu denen es bisher nicht kommen konnte. Die Fähigkeit und vielleicht auch die Bereitschaft der Erwerbstätigen und der Arbeitgeber, weiter steigende Beiträge für die Sozialversicherungen zu bezahlen, hätten Grenzen. Von den politischen Kosten ganz zu schweigen. Meint Rürup.

Ein Wunder aber braucht es auch deshalb, weil sich die zuständige Ministerin Ulla Schmidt trotz dieser Notlage nicht dazu durchringen kann, der Kommission einen klaren Auftrag zu geben. Schlimmer noch: Sie hat die Experten zwar gerufen, aber auf sie hören will sie nicht. Munter plaudert sie mal von einer Reform, die den Rentenbeginn von den bis dahin gearbeiteten Jahren abhängig macht. Oder sie baut die neue Beratertruppe mit überzogenen Forderungen und unrealistischen Erwartungen zu, damit sie die Kreise der eigenen ministerialen Reformkommissionen nicht stören kann. Die Rürup-Kommission solle im Konsens entscheiden, fordert Frau Schmidt – genau wissend, dass der Vorsitzende abweichende Meinungen für unvermeidlich hält. Bei der Rente reiche es, sagt Frau Schmidt, wenn sich die Experten für den Zeitraum nach 2015 Gedanken machten – und beruft gleichzeitig Experten in die Runde, die weitere Reformen in Kürze für unverzichtbar halten. Bei der Gesundheitsreform, da erwarte sie Großes, sagte Frau Schmidt. Das Große möge sich an den Sofortmaßnahmen orientieren, die ihre eigene Kommission gerade ausdenke. Was aber Ulla Schmidts eigene Leute denken, sagt sie nicht.

Nicht gerade das, was ein Kommissionsvorsitzender als konstruktiv empfinden darf. Rürup und seine Truppe müssen auf das Kanzleramt hoffen – und auf die weitere Unterstützung von Gerhard Schröder. Und dass das Kanzleramt offenbar jetzt ernsthaft auf Reformkurs ist, wird durch das jüngste Strategiepapier deutlich: Das trifft im Kern die Mehrheitsmeinung der Wissenschaftler in der Rürup-Kommission – und nicht die der Beratergruppe von Ulla Schmidt. Rürup lächelt ein bisschen dünn, wenn er auf sein Verhältnis zur Ministerin angesprochen wird, und sagt – „persönlich auf alle Fälle bestens“. Für den scharfzüngigen Wirtschaftswissenschaftler ist das sehr, sehr brav. Und vielleicht das Zeichen dafür, dass er diesmal wirklich etwas erreichen will. Ulla Schmidt hin, Ulla Schmidt her. Als Versöhner und Ausgleicher hat sich Rürup bisher noch nie versucht. Der Sozialdemokrat hat im politischen Betrieb bislang eine etwas anders gelagerte Eigenschaft gepflegt: das Provozieren. Der Wirtschaftsweise Rürup war es, der sofort nach seiner Berufung zum Kommissionschef sagte, das Rentenalter müsse auf 67 Jahre steigen. Er war es, der sich an die Spitze derer setzte, die die Entmachtung der kassenärztlichen Vereinigungen im Gesundheitswesen fordern.

Und jetzt will er nichts mehr sagen zu Details der Sozialreformen.

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