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Martin Knapp: Der Griechen liebster Deutscher

Zorbas muss sterben. Das sagt Martin Knapp nicht so deutlich, denn dafür ist er viel zu sehr Diplomat. Aber er meint es. Weg mit den Klischees! Also kämpft er gegen das, was das Verhältnis beider Länder am meisten belastet.

In dem Moment, in dem das griechische Parlament mit knapper Mehrheit das Sparpaket verabschiedet und damit den Weg für neue Finanzhilfen freigibt, gleichzeitig in der tränengasgeschwängerten Luft auf dem Syntagma-Platz die Situation eskaliert, steht Martin Knapp im Stau. „Hier geht gar nichts mehr“, sagt er am Telefon. Eigentlich müsste der Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in einem Kongresszentrum genau jetzt einen Vortrag über „Tourismus während der Krise“ beginnen. Doch es herrscht Generalstreik, die ganze Innenstadt ist gesperrt.

An diesem vergangenen Mittwoch aber, an dem alles in Athen aus den Fugen zu geraten scheint, spielt auch die Zeit verrückt. Man kann zu spät sein und trotzdem pünktlich erscheinen. Es kann Ende Juni 2011 sein und trotzdem fühlen sich viele in die Juntazeit der siebziger Jahre zurückversetzt. Es kann sogar sein, dass der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou, Angela Merkel und mit ihnen die anziehenden Finanzmärkte die Verabschiedung des Sparpakets als freudiges Ereignis feiern, das für die, die am Syntagma mitbekommen, wie Polizisten mit Steinen nach Demonstranten werfen, den Beginn des Endes der Demokratie markiert. Widersprüche klaffen auf, nichts scheint zusammenzupassen. Und natürlich ist an solch einem Tag auch die „Tourism Investment Conference“ mit ihrem Programm im Verzug.

Während also aufgewühlte Bürger gegen die weitere Verarmung der Ärmsten demonstrieren und in den Gängen des U-Bahnhofs Verletzte versorgt werden, betritt schließlich eilig und mit einer halben Stunde Verspätung Martin Knapp den fensterlosen Raum. Er bekommt gerade das Ende eines Vortrags der sogenannten Nation-Branding-Expertin Maria Fola mit. Laut einer Umfrage zur „Marke Griechenland“, sagt sie, dächten 50 Prozent bei Griechenland an Krise und Chaos. Aber immerhin 25 Prozent sähen auch das „unentwickelte Potenzial“. Dann tritt Martin Knapp ans Pult, 53 Jahre alt, helles schütteres Haar, heller Leinenanzug, studierter Neogräzist. Das Land müsse sich endlich vom Souvlaki-, vom pittoresken Zorbas-Image verabschieden, sagt er. Zorbas muss sterben. Natürlich sagt Martin Knapp das nicht so direkt, dafür ist er viel zu sehr Diplomat, „der Objektivität verpflichtet“, wie er später sagen wird. Aber doch, eigentlich ist das die Botschaft seines Vortrags.

Griechenlands unausgeschöpftes Potenzial, das ist auch Knapps großes Thema – und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen steht die Industrie- und Handelskammer deutschen Unternehmen in Griechenland mit Rat und Tat zur Seite oder öffnet umgekehrt Türen und leistet Lobbyarbeit, wenn ein griechisches Unternehmen sich in Deutschland engagieren will. In letzter Zeit ist Martin Knapp aber vor allem in Sachen deutsch-griechische Beziehung unterwegs, die seit Beginn der griechischen Schuldenkrise bekanntlich stark gestört ist und über reichlich Harmonisierungspotenzial verfügt. Bei der deutschen Presse ist er gefragt, weil er Einblick in die griechische Wirtschaft hat – gerade hat er in mehreren Fernsehinterviews einen neuen Marshall-Plan für Griechenland gefordert. Gleichzeitig ist er im Moment der Lieblingsdeutsche der griechischen Medien.

Denn er lebt – mit einigen Jahren Unterbrechung – seit fast drei Jahrzehnten in Griechenland, ist mit einer Griechin verheiratet und spricht ein exzellentes Griechisch, in dem er die Mängel seines Gastlandes zu benennen versteht, ohne die Gefühle der Einwohner zu verletzen. Kurz, Knapp ist Angela Merkels bester Mann in Griechenland, der mit Sisyphos-Geduld versucht, den Imagekarren aus dem Dreck zu ziehen, den sie mit populistischen Sprüchen über die Faulheit des Südländers und ihrem langen Zögern zum Ja fürs erste Hilfspaket dorthin bugsiert hat.

Genau deshalb kann er auch nicht lange auf dem Kongress bleiben und sitzt bald wieder im Auto. Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender Net will ein Interview mit ihm aufzeichnen, im Norden der Stadt. „Ich komme mir schon vor wie ein Politiker, der nach seiner Rede sofort wieder geht. Eigentlich nicht meine Sache, aber im Moment geht es drunter und drüber.“

In Höhe des Nationalgartens sieht man vereinzelte Touristen, die sich an ihren Stadtplänen festhalten und verloren durch die Stadt tapsen. „Tatsächlich ist es so“, sagt Martin Knapp, während er den Wagen am Kallimarmaro vorbeisteuert, dem Stadion, in dem 1896 die ersten olympischen Spiele der Neuzeit stattfanden, „dass die Berichterstattung aus Deutschland wieder wohlmeinender geworden ist. Dafür hat sich die Stimmung in Griechenland leider verschlechtert.“

Konkreter wird er nicht, aber was er meint, ist klar. Die Transparente einiger Demonstranten, die seit Wochen auf dem Syntagma-Platz gegen die Regierung und den Einfluss von EU und Internationalem Währungsfond protestieren. Transparente, auf denen Angela Merkel ein Hitlerbärtchen trägt oder die Sterne der Europa-Fahne zum Hakenkreuz umgestaltet wurden. Es ist die Meinung einiger weniger, aber die Bilder brennen sich ein.

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Wie Martin Knapp den Griechen die Deutschen näher bringt

Dass die Stimmung grundsätzlich angespannt ist, demonstriert das Interview in den Katakomben des griechischen Fernsehens. Der Moderator ist freundlich, aber kurz angebunden. Im Vorgespräch fragt er: „Wir sind das schwarze Schaf der Familie, was?“ – „Ja, so haben die Deutschen früher gedacht. Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Es gibt keine weißen Schafe mehr. Alle sind verschuldet“, antwortet Martin Knapp. Schlagartig verbessert sich das Klima. Als die Kamera läuft, bringt der Moderator die Sorgen vieler Griechen auf den Punkt: Dass die Deutschen nur auf die Privatisierung der Staatsbetriebe im Sparpaket gepocht hätten, um sie sich als Schnäppchen selbst unter den Nagel zu reißen. „Das ist ein großes Missverständnis“, sagt Knapp. „Die Deutschen beharren auf der Privatisierung, um die Schuldenlast zu verringern. Außerdem hat bisher noch niemand bei uns angerufen, weil er einen griechischen Staatsbetrieb kaufen wollte. Nur für den Flughafen von Athen gibt es zur Zeit Interesse.“

„Wie könnten denn deutsche Investitionen in Griechenland in Zukunft aussehen?“ Martin Knapp spricht von Tourismus, vom Ausbau erneuerbarer Energie, und kommt dann auf seine Lieblingsidee: Warum nicht die südlichen Länder Europas wie Kalifornien in Amerika zum IT-Gürtel des Kontinents ausbauen? Genügend gut ausgebildete Ingenieure und Softwareentwickler seien schließlich da.

Kritik an den herrschenden Zuständen übt er auch, aber in homöopathischen Dosen. Es warteten übrigens schon einige deutsche Fotovoltaik-Unternehmen darauf, loszulegen. Warten. Soll heißen: Sie wollen, können aber nicht, weil die bürokratischen Widerstände zu groß sind oder das Netz die Energieeinspeisung nicht verkraften würde. Aber es gibt auch Lichtblicke. Gerade hat die griechische Regierung ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, bei dem die Energieversorgung von Inselgemeinden auf hundert Prozent erneuerbar umgestellt werden soll. Statt Opas, die malerisch vor einer Taverne sitzen, Elektroautos, die geräuschlos über karge Hügel düsen. So könnte er aussehen: Zorbas Tod. Der Paradigmenwechsel.

Wieder im Auto, faltet Martin Knapp die Landkarte auf. Bosch feiert 125. Geburtstag in Koropi, nördlich von Athen. Vom Navigationssystem lässt er sich durchs zersiedelte Umland lotsen.

Es stimme natürlich, dass Griechenland viel ändern müsse, um konkurrenzfähig zu werden. Fast alles sogar. Eine Justizreform müsse her, eine Verwaltungsreform auch. Es stimme auch, dass die Staatsverschuldung, unter der Griechenland gerade zusammenbreche, mit Andreas Papandreou, dem Vater des jetzigen Premiers, vor knapp dreißig Jahren in die Höhe geschnellt sei. Das Hauptproblem Griechenlands heute sei aber, dass im Land so wenig gefertigt werde. Und das, sagt Knapp, sei eben nicht nur selbst verschuldet. Vor dem Eintritt zur Europäischen Gemeinschaft wurde in Griechenland sehr wohl produziert. Haushaltsgeräte, Waren des täglichen Bedarfs. Es gab von jedem Produkt zwei Versionen, die günstigere Eigenproduktion und das mit Zoll belegte teurere Markenfabrikat aus dem Ausland. „Dann fielen die Zölle weg, auf einmal konnte sich jeder die billiger gewordenen Markenprodukte leisten, und viele griechische Firmen gingen ein.“

Auch Bosch verkauft in Griechenland nur noch und produziert nicht mehr – bis auf Kühlschränke, die aus irgendeinem Grund hier breiter sind als woanders. Knapp hinterlässt am Tor die Karte von der Industrie- und Handelskammer und eilt in die Halle, wo Geburtstagsreden gehalten werden. Es wird auch ein Bosch-Unternehmensvideo gezeigt. Innovation, Senkung des CO2-Ausstoßes, soziale Verantwortung. Danach strömen die Gäste auf den Vorplatz. Martin Knapp sieht sich um, kennt niemanden. Doch, da stehen die Chefs einiger deutscher Firmen. Fünf Minuten später strebt er erleichtert wieder zum Auto. „Die glauben auch, dass sich nach der Zustimmung zum Sparpaket die Lage am Syntagma entspannen wird.“

Die Demonstranten vom Syntagma. So wie Martin Knapp in diesen Tagen die Innenstadt umfährt, versucht er auch im Gespräch das Thema zu vermeiden. Obwohl er Respekt vor denen hat, die tatsächlich aus dem Finanzsystem aussteigen wollen, um wieder bei null anzufangen. Aber die anderen, die sich wieder als Opfer sehen und die Verantwortung für die Lage traditionsgemäß an ein Draußen delegieren? „Wir schulden nichts. Wir zahlen nichts. Wir verkaufen nichts“, steht auf einem der Transparente. „Das geht natürlich nicht“, sagt er. „Man muss sich an die Spielregeln halten.“

Letzter Termin des Tages. Auch Nivea feiert heute Geburtstag, den hundertsten, und hat dafür einen der teuersten Clubs an der Küste Attikas gemietet. Hier scheint die deutsch-griechische Wirtschaftswelt noch in Ordnung. Junge Männer in Weiß übernehmen das Einparken des Wagens. Der junge deutsche Leiter von Nivea Griechenland begrüßt jeden Gast überschwänglich. Der Blick aufs Meer, auf die Lichter der entfernten Küste bis zum Kap Sounion ist schön wie immer. Es werden Drinks serviert, bläuliche natürlich, weil Nivea blau ist. Seit achtzig Jahren ist Nivea in Griechenland. Aber produziert wird hier schon Jahrzehnte nicht mehr. Dafür sponsert man jetzt die Sendung „Greek Idol“, das Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“. Martin Knapp schaut sich um. Er wirkt müde, scheint sich nicht wohlzufühlen in diesem Glamour-Bühnenbild, zwischen all den schicken Gästen. Aber wer weiß schon, warum die anderen gekommen sind? Vielleicht aus dem gleichen Grund wie er. Um sich zu zeigen. Um da zu sein.

Auf der Rückfahrt heißt es im Radio, dass es bei den Ausschreitungen am Syntagma-Platz 300 Verletzte gegeben hat. Martin Knapp hört schweigend zu. Morgen wird Griechenland mit einem Kater erwachen. Busse werden wieder fahren und Banken ihre Schalter öffnen, und das halbe Land über ein Video sprechen, aus dem hervorgehen soll, dass Polizisten und Provokateure vom rechten Rand gemeinsam Scharmützel inszeniert hätten. Morgen wird die Sandwich-Verkäuferin von der Ecke sagen: „Schlimmer als während der Junta.“ Und am Abend wird Martin Knapp wieder im griechischen Fernsehen auftreten, bei einer Talkshow zur Lage der Nation. Er wird eine halbe Stunde warten müssen und auf die vorhersehbare Frage: „Was denkt eigentlich der Durchschnittsdeutsche von Griechenland“ dann sibyllinisch antworten: „Den Deutschen an sich gibt es gar nicht.“ Aber jetzt will er nur noch nach Hause. Er fährt schnell, wie alle hier. Irgendwann im Laufe des Tages hatte er gesagt. „Misstrauen ist ein sehr großes Problem in Griechenland.“

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