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Wirtschaft: Der Hormonkrieg

Arzneien für die Wechseljahre sind schädlich, sagen Studien. Viele Ärzte empfehlen sie trotzdem weiter – Schering zuliebe

Berlin – Ein bizarrer Streit unter Gynäkologen wirft auch ein schräges Licht auf den Berliner Pharmakonzern Schering. Schering steht im Verdacht, Hormonersatzprodukte für Frauen in den Wechseljahren weiter zu empfehlen, obwohl mehrere internationale Studien herausgefunden haben, dass bei Frauen, die diese Produkte über einen längeren Zeitraum schlucken, das Risiko für Brustkrebs deutlich steigt. Erst in dieser Woche hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angeordnet, dass die Arzneimittel nur noch im Ausnahmefall verordnet werden dürfen und die Zulassungsvorschriften deutlich verschärft. „Die Risiken überwiegen ganz klar den Nutzen“, sagt BfArM-Experte Ulrich Hagemann. Schering selbst spielt die Gefahr herunter. „Das Brustkrebsrisiko ist nicht signifikant“, sagte Unternehmenssprecherin Astrid Forster dem Tagesspiegel am Sonntag.Sie wirft den Studien "methodische Mängel" vor.

Allein in Deutschland schlucken vier bis fünf Millionen Frauen in und nach den Wechseljahren Hormonpräparate. Mit den Medikamenten lebten alle Beteiligten prächtig – bis vor zwei Jahren die erste große Studie zur Hormonersatztherapie in den USA vorzeitig abgebrochen wurde. Es hatte sich herausgestellt, dass die Gabe von Homonen Frauen nicht, wie versprochen, länger jung und fit hält, sondern ihnen schadet. Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, stieg deutlich an. Das gilt insbesondere bei kombinierten Östrogen-Gestagen-Präparaten.

Nach dem Abbruch der Studie sank die Zahl der Verordnungen von Hormonersatzpräparaten in den USA rapide, in Deutschland dagegen bei weitem nicht so stark. Nach Meinung von Kritikern ist das auch auf den massiven Einfluss der Pharmaindustrie auf Ärzte und Patientinnen zurückzuführen. „Die Unternehmen stehen vor einer Umsatzmisere und versuchen zu retten, was zu retten ist“, sagt Gerd Glaeske, Arzneimittelexperte von der Universität Bremen.

Schering selbst bestreitet die Vorwürfe und gibt sich demonstrativ optimistisch. Dabei ist der Umsatz im Geschäftsbereich Hormontherapie bei dem Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren deutlich eingebrochen. Dennoch sagt die Schering-Sprecherin: „Wir sind vom Nutzen der Hormontherapie überzeugt und bauen unser Portfolio aus.“

Intern allerdings ist das Unternehmen offenbar nicht mehr von der Kraft der Hormone überzeugt. Pharmaexperte Glaeske sieht Signale, dass Schering nichts mehr für Hormone tut.

Auch der Markt rechnet längst nicht mehr mit Hormonen. „Das Potenzial der nächsten Jahre ist beschränkt“, sagt Pharma-Analyst Marcus Konstanti vom Bankhaus Sal. Oppenheim. Dabei spiele es auch keine Rolle mehr, ob Schering die längst erwartete Zulassung für sein Hormonersatzprodukt Angeliq in den USA noch bekomme oder nicht, sagt ein anderer Kollege. „Ich erwarte keine signifikanten Umsätze.“

Doch nicht nur Hormonhersteller wie Schering, auch viele Frauenärzte kämpfen verbissen gegen den hormonellen Absturz. Statt Frauen auf das erhöhte Risiko hinzuweisen, das inzwischen durch weitere Studien bestätigt wurde, trotz klarer Empfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, des Bundesgesundheitsministeriums und des BfArM empfehlen Mediziner die Präparate weiter. „Was sich hier abspielt, ist ungeheuerlich“, sagt Bruno Müller-Oerlinghausen, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Viele Frauenärzte wehrten sich aus berufspolitischem Interesse gegen die neuen Studien, sagt er, aus Angst vor Umsatzeinbußen.

In Fachblättern fänden regelrechte Schlammschlachten zum Thema Hormonprodukte statt, sagt die Gynäkologin Martina Dören, Professorin am Klinischen Forschungszentrum Frauengesundheit der Berliner Charité. Im Hintergrund versuchten die Hormonhersteller Meinungsbildner zu überzeugen, „dass alles nicht so schlimm ist“.

Die Mittel sind vielfältig und in der Branche bekannt, auch wenn sie nicht gerne darüber redet. Pharmafirmen finanzierten Studien, ließen eigene Referenten wie die Schering-Fachfrau Karin Schmidt-Gollwitzer auf Fachkongressen wie der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe im September werben, ohne dass diese als „gesponsertes Symposium“ gelistet wäre, kritisert Dören. „In den USA“, sagt sie, „würde es so etwas in dieser Form nicht geben.“ Schering-Sprecherin Forster dagegen sagte auf Anfrage, sie gehe davon aus, dass alle von Schering mitfinanzierten Kongresse auch als solche gekennzeichnet seien.

Auch ganze Gynäkologen-Verbände arbeiteten Hand in Hand mit der Pharmaindustrie. So stammte ein positiv kommentierender Faxabruf des Berufsverbandes der Frauenärzte, der nach der ersten großen Hormonstudie in den USA die Ärzte in Deutschland informierte, tatsächlich direkt von Schering, wie das Unternehmen inzwischen zugegeben hat. Der Berufsverband der Frauenärzte wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

Maren Peters

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