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Wirtschaft: „Der Innovationsstau wird sich auflösen“

Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des Verbands Bitkom, über Handys mit Herzschrittmacher und neue Stellen in der IT-Branche

Herr Rohleder, die Cebit, die am Mittwoch eröffnet wird, ist die jährliche Leistungsschau der Computerbranche. Welchen neuen Trend werden wir sehen?

Ein großes Thema ist Breitband.

Das ist doch nicht neu.

Doch. 2004 stand noch ganz im Zeichen von DSL, also dem schnellen Internetzugang über das Festnetz. In diesem Jahr steht der mobile Breitbandzugang im Zentrum, also UMTS.

Über UMTS wird schon lange gesprochen.

Aber jetzt haben wir das Netz, die Endgeräte und auch die Anwendungen. Im vergangenen Jahr hatten wir das Problem, dass die Netzbetreiber darauf gewartet haben, dass es attraktive Endgeräte gibt. Dieses Problem haben wir gelöst. Ende 2004 gab es 250000 UMTS-Nutzer in Deutschland, Ende dieses Jahres werden es rund 2,5 Millionen sein.

Und wozu brauchen die UMTS?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich habe mir jetzt die 1000. Folge der Lindenstraße angesehen, die ich im Fernsehen verpasst hatte. Die Folge aus dem Netz herunterzuladen und sie mobil auf meinem Laptop anzuschauen, das ist eine Möglichkeit, die ich vor einem Jahr noch nicht hatte. Ich sehe große Chancen zum Beispiel für die Telemedizin, Videokonferenzen, den Versand von Filmsequenzen oder mobile Online-Spiele.

Welche Trends sehen Sie noch?

Ein großes Thema ist die Konvergenz.

Auch das ist ein Dauerbrenner.

Richtig. Es sind aber andere Technologien, die zusammenwachsen. Als wir vor fünf Jahren über Konvergenz sprachen, ging es um die Verbindung von Informationstechnik und Telekommunikation, also zum Beispiel darum, dass Sie mit Ihrem Handy E-Mails versenden können. Jetzt geht es um die Konvergenz mit ganz anderen Bereichen wie der Kfz-Elektronik, der Unterhaltungselektronik und extrem stark auch mit der Medizintechnik. Denken Sie nur an den Herzschrittmacher, der über ein Handy direkt Kontakt mit der Notfallzentrale aufnimmt. Das fasziniert mich persönlich sehr.

Traditionell eröffnet der Bundeskanzler die Cebit. Welche Botschaft erwarten Sie?

Wir haben viele Großprojekte aus dem öffentlichen Bereich auf der Agenda: den digitalen Polizeifunk, das IT-Projekt der Bundeswehr „Herkules“, die eCard-Initiative oder die elektronische Gesundheitskarte. Wir hoffen, dass der Kanzler klare Aussagen zum Zeitplan macht.

Ist denn der Zeitplan für die Projekte das Wichtigste, was Sie wissen wollen?

Es wird weltweit neue Infrastrukturen aus unserer Branche geben für den Verkehr, die Medizin, die Bildung, die Sicherheit, den digitalen Personalausweis. Die Frage ist: In welchen Ländern starten wir mit den Projekten zuerst? Ist Deutschland vorne dabei und machen wir aus Inlandsprojekten Exporterfolge oder importieren wir die Technik irgendwann?

Was muss die Politik noch tun?

Sie muss vor allem etwas lassen, nämlich unsere Branche zusätzlich zu belasten. Die Bundesregierung plant Urheberrechtsabgaben für Drucker und Handys, teilweise sinnlose Auflagen für Telekommunikationsunternehmen und verlängerte Abschreibungsfristen für Software. Die Länder wollen Rundfunkgebühren für PCs einführen. All das sind hausgemachte Belastungen, die sich in Deutschland schnell auf einen Milliarden-Betrag summieren.

Einige Konjunkturexperten haben ihre Wachstumserwartungen für 2005 nach unten revidiert. Bleiben Sie für die Informationstechnik- und Telekommunikationsbranche (ITK) bei Ihrer Prognose?

Im vergangenen Jahr ist die ITK-Branche um 2,5 Prozent gewachsen, in diesem Jahr sollen es mehr als drei Prozent werden. Wir können uns zwar nicht von der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln. Aber wir spüren im Moment einen Nachfrageschub. Nach der Belebung im vergangenen Jahr wird sich der Innovationsstau weiter auflösen.

Bringt das auch neue Arbeitsplätze? Ist Ihre Schätzung von 10000 neuen Jobs im derzeitigen Umfeld realistisch?

Ja, wir spüren derzeit eine steigende Nachfrage nach Fachleuten in den wachstumsstarken Segmenten Software und IT-Services. Hier rechnen wir mit 12000 zusätzlichen Stellen. Allerdings werden in der Hardware-Fertigung noch einmal 2000 Stellen verloren gehen, in der Telekommunikation sollte die Situation stabil bleiben.

Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke hat gerade angekündigt, dass die Zahl der Arbeitsplätze weiter sinken wird...

Die Telekom hat personalseitig Überkapazitäten, die sozialverträglich angepasst werden. Andere Telekommunikations- Dienstleister bauen aber Personal auf.

Was könnte den Aufbau neuer Stellen gefährden?

Wir hoffen, dass sich das Schlimmste vermeiden lässt. Insbesondere da, wo Deutschland eine unrühmliche Vorreiterrolle spielt. Es gibt kein Land weltweit, das ein so umfassendes Abgabenregime beim Urheberrecht hat. Besser wäre es, Autoren zu motivieren, ihre Werke aktiv gegen illegales Kopieren zu schützen, indem sie ein digitales Rechtemanagement nutzen. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle im Internet. Die Musikindustrie zeigt wie es geht – wenn auch mit mehrjähriger Verspätung. Wir haben eine Studie erstellt, die zeigt, wie stark sich der Online-Markt für bezahlte Inhalte entwickelt.

Bisher waren Kunden nicht bereit, für Inhalte aus dem Internet zu bezahlen.

Das ändert sich. Der Markt für digitale Güter wächst extrem dynamisch. Wir gehen davon aus, dass der Umsatz mit Musik, Spielen, Videos und Publikationen aus dem Netz in Deutschland von 204 Millionen Euro im Jahr 2004 auf rund 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2008 steigen wird.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

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