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Wirtschaft: Der Kampf um kluge Köpfe

Trotz Massenarbeitslosigkeit fehlen in Deutschland Tausende Fachkräfte. Für Unternehmen könnte das zur Wachstumsbremse werden

Viel zu sehen gibt es nicht im 420-Seelen-Ort Fürnsal. Wenn sich doch jemand hierher in den Schwarzwald verirrt, dann für einen Besuch im Atem- und Naturheilsanatorium Graether. Bisher hat Volker Kilian im Türnental genügend Leute für seinen 45-Mann-Betrieb gefunden. Doch langsam macht sich der Chef der Firma Schray-Antriebstechnik Sorgen: Er bekommt kein geeignetes Personal mehr. „Ich brauche Mechaniker, die vom Stahlausfräsen bis hin zum Zahnradstanzen sämtliche Arbeitsschritte beherrschen.“

33 Hauptschüler haben sich kürzlich bei Kilian beworben. Zwei hat er schließlich eingestellt. Früher hätte er auch gutes Personal von der Konkurrenz abgeworben. „Doch heute“, sagt Kilian, „sind die Besten längst schon weg.“ Mehr als 8000 Ingenieure und Techniker fehlen derzeit in Deutschland, schätzt der Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Im Sommer war noch von 7000 die Rede. Doch der anhaltende konjunkturelle Aufschwung verschärft den Fachkräftemangel.

Nicht nur Ingenieure sind knapp. „Das ist ein großes Problem für die Branche“, klagt auch Stephan Pfisterer, Personalexperte beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). Vor allem Softwarefirmen und IT-Dienstleister suchten dringend Leute.

Für die Wirtschaft wird der Personalmangel mittlerweile zum echten Problem, weil teilweise Investitionen zurückgestellt werden müssen. „Wir laufen Gefahr, dass Unternehmen ihre Planungen nicht verwirklichen können“, sagt Oliver Heikaus, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Der Arbeitskräftemangel droht zur Beschäftigungs- und Wachstumsbremse zu werden.“ Das Problem habe sich seit dem vergangenen Jahr noch deutlich verschärft. Schon damals hatte bei einer DIHK-Umfrage in Branchen wie dem Maschinenbau, der pharmazeutischen Industrie und der Elektrotechnik mehr als ein Viertel der Unternehmen über Arbeitskräftemangel geklagt.

Auch die Energiewirtschaft sucht Mitarbeiter. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) sprechen 41 Prozent der Firmen von einem akuten Fachkräftemangel. Die Pläne der Branche, bis 2010 von heute 170 000 Beschäftigten auf 260 000 zu wachsen, dürften dadurch gefährdet sein.

Den Mangel an Arbeitskräften bekommen auch die Zeitarbeitsfirmen zu spüren. „Wir haben derzeit 5000 bis 6000 freie Stellen bundesweit“, sagt Heide Franken, Geschäftsführerin des Branchenführers Randstad. Der Mangel sei regional unterschiedlich verteilt. Im Rhein-Main-Gebiet fehlten vor allem Fachkräfte für Banken und Versicherungen. In München seien die Bewerber generell knapp. „Früher hat man eine Anzeige geschaltet und bekam Bewerbungen“, sagt Franken. „Das ist heute nicht mehr selbstverständlich.“

Konkurrent Manpower hat 3000 offene Stellen. Die Nachfrage der Unternehmen sei ungebrochen, sagt Geschäftsführer Thomas Reitz. Es fehle aber an gut ausgebildetem Nachwuchs. „Die Bewerber sind oft nicht ausreichend qualifiziert“, klagt er. Das bemängelt auch der Maschinenbau. „Wenn die Facharbeiterausbildung auf dem derzeitigen Niveau stagniert, sehe ich schwarz“, warnt Manfred Wittenstein, Vizepräsident des VDMA. „Ohne qualifizierte Facharbeiter kann es keinen leistungsstarken Maschinenbau am Standort Deutschland geben.“

Besonders mangelt es allerdings am akademischen Nachwuchs. „Es gibt zu wenige Studiengänge, die auf unsere Ansprüche zugeschnitten sind“, sagt zum Beispiel BEE-Geschäftsführer Milan Nitzschke. Viele Unternehmen siedelten sich derzeit in strukturschwachen Regionen an und seien dort auf mobile Fachkräfte angewiesen.

Auch beim Technologieverband Bitkom hadert man mit dem Bildungssystem: „Ein Informatiker muss heute nicht mehr nur programmieren, sondern auch kommunizieren können“, erklärt Stephan Pfisterer. „Persönliche Fertigkeiten wie Fremdsprachen werden im Studium noch zu wenig vermittelt.“

In den Informatik- und Ingenieursstudiengängen sind die Absolventenzahlen jahrelang drastisch gesunken. Erst seit kurzem ist eine Trendwende zu erkennen. „Der Einbruch der Studierendenzahlen in den 90er Jahren, besonders in technisch-wissenschaftlichen Berufen, wirkt sich jetzt erst richtig aus“, erklärt Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Er befürchtet weitreichende Folgen. „Der Fachkräftemangel trifft nicht nur einzelne Branchen, sondern auch angegliederte Wirtschaftsbereiche und unternehmensorientierte Dienstleister.“ Schäfer glaubt dabei nicht, dass der Fachkräftemangel in Deutschland langfristig aus eigener Kraft auszugleichen ist. „Verschlimmert sich die Lage weiter, ist mit der Verlagerung wissensintensiver Unternehmensbereiche ins Ausland zu rechnen“, sagt er.

DIHK-Experte Heikaus will es erst gar nicht so weit kommen lassen. Er fordert, mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. „Wir müssen unseren Arbeitsmarkt stärker als bisher für qualifizierte Ausländer öffnen.“ Bisher könnten sich Hochqualifizierte nur dann in Deutschland niederlassen, wenn sie mindestens rund 85 000 Euro im Jahr verdienten. „Das ist für kleine und mittlere Unternehmen häufig nicht zu machen“, sagt Heikaus. „Die Zugangshürden müssen deutlich abgesenkt werden.“ Das fordert auch der Technologieverband Bitkom. „Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung junger Fachkräfte. Dazu bedarf es einer Reform des Zuwanderungsrechts“, sagt Personalexperte Pfisterer.

Andere sehen dagegen die Unternehmen in der Pflicht. „Durch die Frühverrentung und Kündigung von älteren Arbeitskräften geht viel Know-how in Unternehmen verloren“, sagt Tanja Siegmund von der Zeitarbeitsfirma Adecco. Der branchenspezifische Fachkräftemangel sei deshalb teilweise hausgemacht. Unternehmen müssten sich künftig genauer überlegen, wie sie qualifizierte Mitarbeiter gewinnen und an sich binden können. Der „war of talents“, der Kampf um kluge Köpfe, werde sich weiter verschärfen.

Stefan Kaiser, Manuel Köppl

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