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Wirtschaft: Der kleine Unterschied

Versicherer müssen in Zukunft Männer und Frauen gleich behandeln. Viele Policen werden dann teurer

Ein winziges Chromosom ändert alles. Menschen mit dem XY-Chromosomenpaar zahlen mehr für ihre Risikolebensversicherung. Auch wenn sie ihr Auto versichern, müssen Männer höhere Beiträge in Kauf nehmen als Frauen. Dafür sind die Trägerinnen des XX-Chromosoms schlechter dran, wenn sie eine Berufsunfähigkeits- oder eine Rentenversicherung abschließen. Auch private Krankenversicherungen sind für Frauen deutlich teurer als für Männer. Das ist keine Schikane der Versicherer, sondern eine Folge der Statistik.

Denn statistisch gesehen leben Frauen länger als Männer und fallen daher der Renten- und der Krankenversicherung länger zur Last. Das schlägt sich in höheren Versicherungsbeiträgen nieder. Außerdem werden Frauen häufiger berufsunfähig. Dafür bauen Männer im Straßenverkehr mehr Unfälle, was ihre Autoversicherung teurer macht. Auch für die Risikolebensversicherung zahlen sie mehr, weil der Durchschnittsmann früher stirbt als die Durchschnittsfrau.

Das war immer so, und das wäre auch weiter so geblieben, wenn nicht der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 1. März mit einem Grundsatzurteil die Branche mächtig durcheinandergewirbelt hätte. Die Richter erklärten die Differenzierung nach dem Geschlecht für eine unzulässige Diskriminierung. Bis zum Dezember nächsten Jahres müssen die europäischen Versicherer nun für Männer und Frauen gleiche Tarife auf den Markt bringen. Betroffen ist, so der EuGH, aber nur das Neugeschäft, alte Policen dürfen weiterlaufen.

Noch ist völlig unklar, wie das Urteil umgesetzt wird. Zwar rechnen die Versicherer bereits verschiedene Varianten durch, doch verbindlich ist das alles nicht. Denn noch gibt es keinen rechtlichen Rahmen und keine Entscheidung darüber, ob der deutsche Gesetzgeber die Tarifreform auf Neuverträge beschränkt oder ob auch bestehende Policen umgestellt werden müssen. Das Bundesfinanzministerin will bis Ende dieses Jahres einen Gesetzentwurf ausarbeiten, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Mit einer Kabinettsentscheidung könne frühestens Anfang 2012 gerechnet werden.

Verbraucher, die ohnehin mit dem Gedanken spielen, eine der betroffenen Versicherungen abzuschließen, sollten nicht zu lange warten. „Wer jetzt handelt, kann sich die Vorteile eventuell ein Leben lang sichern“, rät Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten – zumindest dann, wenn der Gesetzgeber Altverträge in Ruhe lässt. Beitragsunterschiede von 50 oder 60 Euro im Jahr klingen nicht sonderlich dramatisch, auf eine 20-jährige Versicherungslaufzeit hochgerechnet kommt jedoch einiges zusammen.

Hinzu kommt: Die Versicherer werden die Umstellung auf Unisex-Tarife dazu nutzen, die Preise zu erhöhen. „Insgesamt wird das Preisgefüge – relativ gesehen – höher“, sagte Michael Westkamp, Vorstandsvorsitzender der Aachen-Münchener, dem Tagesspiegel. Warum das so ist, begründet Westkamp mit einer Beispielrechnung, bei der Männer und Frauen für eine Rentenversicherung monatlich 50 Euro Beitrag zahlen. Männer bekämen eine Monatsrente in Höhe von 110 Euro, Frauen dagegen nur eine von 90 Euro. Bei einem Unisex-Tarif könnte man eine Rente von 100 Euro für beide erwarten. Das setze aber voraus, dass die Verteilung von Männern und Frauen gleich bleibt. Davon, so Westkamp, könne man nicht ausgehen. „Um für den Fall gewappnet zu sein, dass aufgrund der günstigeren Konditionen mehr Frauen eine Rentenversicherung abschließen, wird die monatliche Rente für beide eher 98 Euro betragen“, prognostiziert der Versicherungschef. Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen fürchtet, dass die Versicherer die Prämien über das nötige Maß hinaus erhöhen. Der Verbraucherschützer sieht die Finanzaufsicht Bafin in der Pflicht, „die neu kalkulierten Tarife nach versteckten Kosten zu überprüfen“. Doch noch sind die Versicherer nicht so weit.

Vor dem Projekt Unisex müssen sie noch eine andere Arbeit erledigen – die Neukalkulation der Lebensversicherungen. Der Garantiezins sinkt zum 1. Januar 2012 von 2,25 Prozent auf 1,75 Prozent – allerdings nur für neu abgeschlossene Verträge. Wer sich die alten Konditionen sichern will, muss daher noch in diesem Jahr handeln. Egal, ob er ein XX- oder eine XY-Chromosenträger ist.

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