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Wirtschaft: Der Konzern hat die nächsten Akquisitionen im Auge und erwartet vom nächsten Jahr an deutliche Gewinnsteigerungen

Genau hundert Tage nach dem Börsengang der Agfa-Gevaert N.V.

Genau hundert Tage nach dem Börsengang der Agfa-Gevaert N.V. zog Vorstandschef Klaus Seeger am Mittwoch eine gemischte Bilanz. Den aktuellen Börsenkurs bezeichnete er mit Blick auf den Einführungspreis von 22 Euro als nicht zufriedenstellend. Die Titel seien total unterbewertet, erklärte Seeger bei der Bilanzvorlage im belgischen Mortsel.

Als fairen Wert für die derzeit unter ihrem Emissionspreis notierende Aktie nannte der Vorstandsvorsitzende die von Analysten angegebenen Spannen von 28 bis 35 Euro. Denn Agfa befindet sich seinen Angaben zufolge grundsätzlich "auf Kurs", was das Wachstum, die Ertragskraft und die laufenden Restrukturierungen angehe. Außerdem werde an dem Versprechen, für 1999 eine Dividende in Höhe von 1,5 Prozent des Emissionswertes auszuschütten, nicht gerüttelt. Immerhin sei Agfa-Gevaert eine cash-flow-starke Gesellschaft. Die freien Mittel betrugen zuletzt 216 (220) Mill. Euro.

Für das laufende Jahr stellte Seeger gleichwohl einen Reingewinn von weniger als zehn Mill. Euro in Aussicht, nachdem im Vorjahr noch eine Steigerung auf 141 (nach 120) Mill. Euro gelungen war. Vom kommenden Jahr an sei dann aber mit deutlichen Ergebniszuwächsen zu rechnen, unterstrich Seeger. Ursache des aktuellen Gewinneinbruchs sei ein Restrukturierungsaufwand von 250 Mill. Euro. Allerdings werden auch nächstes Jahr Umstrukturierungskosten von etwa 150 Mill. Euro das Nettoergebnis in Teilen noch belasten. Das operative Ergebnis des Konzerns vor Restukturierungskosten jedoch wachse bereits jetzt stetig, erklärte der Konzernchef auf der ersten Pressekonferenz der Agfa-Gevaert als börsennotiertes Unternehmen.

Im ersten Halbjahr stieg der Betriebsgewinn um 5,7 Prozent. Einschließlich des Aufwandes für die Akquisition des US-Medizintechnik-Unternehmens Sterling Diagnostic Imaging verbesserte er sich um 1,3 Prozent auf 161 Mill. Euro. Durch die 66 Mill. Euro an Restrukturierungskosten sank der Nettoüberschuss im Vergleich zum Vorjahreszeitraum jedoch um gut ein Drittel auf 45 (69) Mill. Gulden. Seeger hatte bereits vor dem Börsengang vor der zeitweisen Ertragsschwäche gewarnt. Der Konzernumsatz des fortlaufenden Geschäfts hingegen stieg laut Seegers um 7,5 Prozent auf 2,25 (2,09) Mrd. Euro. Einige Geschäftsbereiche verbuchten zweistellige Zuwachsraten. Die Bruttoumsatzrendite (ohne Sterling) betrug 7,7 Prozent nach einem Plus von 7,2 Prozent im Vorjahr. Binnen fünf Jahren will Seeger eine Rendite von zwölf Prozent erreichen.

Die zu hohen Herstellungskosten sollen insbesondere die Werksschließungen in Neu-Isenburg und dem spanischen Aranjuez sowie die Produktionsverlagerung zum belgischen Hauptsitz Mortsel senken. In welchem Umfang, ließ der Vorstandschef offen. 850 Stellen entfallen. Langfristige Synergievorteile erwartet er auch von der zunächst mit Kosten verbundenen Integration der im Mai erworbenen Sterling-Gruppe. Insgesamt will Agfa-Gevaert bis Jahresende 1700 Arbeitsplätze streichen. Anfang des Jahres beschäftigte die Gruppe noch 23 286 Mitarbeiter.

Sterling - mit einem Vorjahresumsatz von 465 Mill. US-Dollar - war die dritte Großakquisition des Konzerns innerhalb von drei Jahren. Sie steigerte den weltweiten Marktanteil bei Röntgenfilmen von 20 Prozent auf insgesamt 35 Prozent und machte die Gruppe zum zweitgrößten Anbieter medizinischer Bildverfahren. Der Übernahmehunger der Agfa- Gevaert-Gruppe ist aber damit keineswegs gestillt. Der Konzern hat sowohl kleine High-Tech-Betriebe für einen Wert von bis zu 200 Mill. Gulden im Visier als auch weitere Großübernahmen zur Verstärkung von Marktpositionen.

Agfa-Gevaert will insbesondere in die sogenannten "Neuen Märkte" expandieren, die laut Seegers Einschätzung auch künftig dynamisch wachsen werden. Der durch digitale Technologie dominierte Geschäftsbereich steigerte seinen Umsatz um 40 Prozent und macht jetzt 14 (Vorjahr: zehn) Prozent des Konzernumsatzes aus. Der Vorstandschef will zunehmend komplette Systemlösungen anbieten, das heißt Software, Geräte und Verbraucheranwendungen.

Seeger erwägt überdies Kooperationen mit Wettbewerbern. So arbeitet Agfa-Gevaert bei digitalen Drucksystemen mit dem börsennotierten niederländischen Büromaschinenhersteller Océe N.V., Venlo, zusammen. Auf einen möglichen Zusammenschluss mit der weitgehend komplementären Océe (Umsatz 1998: 2,75 Mrd. Euro) angesprochen, sagte Seeger: "Darüber müssen wir nachdenken." Zu der Frage, ob bereits Gespräche geführt werden, schwieg er. An der Gruppe hält der Leverkusener Chemiekonzern Bayer AG noch 30 Prozent. Die belgische Gevaert N.V. ist inzwischen zu 20 Prozent beteiligt. Die andere Hälfte der Aktien ist im freien Handel.

sbe

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