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Wirtschaft: Der kranke Mann auf dem Kontinent (Leitartikel)

Der Euro hat die Parität zum Dollar getestet. Ein Schwarzer Freitag war das nicht.

Der Euro hat die Parität zum Dollar getestet. Ein Schwarzer Freitag war das nicht. Es gibt keinen Automatismus, wonach jetzt kein Halten nach unten mehr sei. Wer auf die Konjunktur im Euroraum blickt, der kann sogar Argumente nennen, dass der Europreis bald wieder anziehen könnte.

Nein, die Parität ist auch kein Plädoyer der Märkte gegen den gemeinsamen europäischen Währungsraum. Als vor einem Jahr der Euro eingeführt wurde, mussten für einen Euro 1,1877 Dollar gezahlt werden. Teurer als damals wurde der Euro nie mehr. Es besteht kein Zweifel, dass dieser künstlich festgesetzte Anfangskurs die europäische Währung überbewertet hat. Der Verlauf des Jahres hat dies korrigiert. Zugleich hat das Jahr aber gezeigt, dass die Binnenstabilität nicht in Gefahr ist: Inflation gibt es fast nirgends. Auch die gestiegenen Einfuhrpreise, die als Folge der Währungsschwäche jetzt erlöst werden, haben bislang am stabilen Gesamtbild nichts geändert.

Erste Aufforderungen, die Europäische Zentralbank sollte jetzt rasch intervenieren, um die Richtung des Euroverfalls umzukehren, gehen in die falsche Richtung. Selbst wenn man dies für wünschenswert hielte, wäre es ziemlich wirkungslos. Wer das nicht glaubt, soll sich noch einmal durch die Erfahrungen der Asien-Krise eines Besseren belehren lassen. Interventionen der Notenbanken gegen die Märkte, können nie gelingen. Das sagt nicht nur das Lehrbuch, sondern auch die Empirie.

Entwarnung ist das eine - Forschung nach Ursachen der Schwäche ist das andere. Die simple Botschaft vom Freitag heisst: Kapital fühlt sich offenbar in den Vereinigten Staaten wohler als in Europa. Das liegt zugleich an Europa und an Amerika. Die USA befinden sich im neunten Jahr eines konjunkturellen Aufschwungs. Das Land hat aber auch strukturell seine Wirtschaft derart gestählt, dass die Optimisten schon von einer "Neuen Ökonomie" sprechen. Deren Kennzeichen sind: Unternehmerische Einbildungskraft, die von Ideen nur so strotzt. Kapitalgeber, die das Risiko nicht scheuen und auf satte Renditen hoffen können. Ein Arbeitsmarkt an der Schwelle zur Vollbeschäftigung, wovon gleichwohl weder Lohndruck noch Inflationsgefahren ausgehen. Schließlich ein Staat, der sich aus den Märkten heraus hält, institutionelle Regelungen zurücknimmt und dafür durch höhere Steuereinnahmen und entsprechende Haushaltsüberschüsse belohnt wird.

Für den Euroraum gilt zu all dem das Gegenteil. Und Deutschland führt die Riege der Schwächlinge an. Das britische Magazin Economist hat schon vor Monaten Deutschland den "kranken Mann des Euro" genannt. Als ob es noch einmal bewiesen werden müsste, hat der Bundeskanzler am Freitag angekündigt, für den Fall, dass es nicht zu einer Steuerregelung auf EU-Ebene komme, werde Deutschland notfalls auch im Alleingang eine Kapitalbesteuerung beschließen. Das muss als Ermunterung an alle Investoren gelesen werden, Kapital außerhalb der Euro-Zone anzulegen.

Auf ungewöhnlich deutliche Weise hat der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, ausgesprochen, was er von unserer neuen Industriepolitik hält: Gar nichts. Natürlich ist es der Politik freigestellt, marode Bauunternehmen zu retten oder den Aktionären Ratschläge zu geben, dass Mannesmann-Aktien schöner seien als Vodafone-Anteile. Aber niemand darf sich dann wundern, wenn die Anleger dies nur als Zeichen dafür lesen, dass es um die Modernisierungsfähigkeit hierzulande schlecht bestellt sei. Freilich: Der geldpolitische Schlingerkurs der EZB im ersten Eurojahr war auch nicht gerade ein Muster zur Nachahmung.

Rainer Hank

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