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Wirtschaft: Der lange Marsch aus der Provinz

Die chinesische Region Zhejiang lebte früher von Fisch und Reis. Heute beliefert sie Kunden weltweit – auch in Deutschland

Hangzhou - Aus Bauern werden Schauspieler. Ihre Bühne ist die verbotene Stadt oder der Palast des Kaisers Qin. 13 verschiedene Filmkulissen gibt es verstreut über die chinesische Provinzstadt Hengdian. Anders als in Hollywood sind es nicht nur Fassaden. Der Palast des Kaisers Qin ist auch so etwas wie ein Museum, in dem die Besucher nachvollziehen können, wie der Erbauer der chinesischen Mauer gelebt hat. Ein paar tausend Menschen haben die Arbeit auf den Reisfeldern bereits aufgegeben und arbeiten lieber als Statisten für die Produktionen der Hengdian World Studios. Immer mehr kommen von den Dörfern in die Stadt, in der Hoffnung, für das Kino oder Fernsehen entdeckt zu werden. In acht Stunden verdient ein Statist dort 30 Yuan, das sind rund drei Euro am Tag.

Hengdian ist ein Ort in der Provinz Zhejiang, im Südosten Chinas, fünf Stunden Autofahrt von Schanghai entfernt. Man fährt auf neu erbauten Autobahnen, vorbei an Feldern mit Reis und Tee und an den vielen hundert gerade fertig gestellten Wohnsiedlungen. 49 Millionen Menschen leben in der Provinz, 22 Millionen davon sind Bauern. Im Jahr 2005, so sagt die offizielle Statistik, lag das Pro-Kopf-Einkommen der Landbevölkerung bei 6660 Yuan, das sind am Tag im Schnitt etwas mehr als 18 Yuan oder 1,80 Euro. „Land von Fisch und Reis“ heißt die Provinz auch und „Heimat von Seide und Tee“. Zhejiang ist eine der am meisten entwickelten und wachstumsstärksten Regionen in China. Doch der Reichtum gründet sich schon lange nicht mehr auf Fisch und Reis. Die Provinzregierung hat eine Gruppe von China-Experten und Journalisten eingeladen, um für die Provinz zu werben. Zhejiang will sich zur Welt hin öffnen – und hat es in vielen Bereichen schon getan.

333 Filmteams sind zwischen 1996 und 2005 schon in Hengdian gewesen. Sie haben knapp 7000 Filme und Fernsehspiele gedreht. „Hero“ aus dem Jahr 2002 hatte sogar eine Oscar-Nominierung. Auch eine Kooperation mit Warner Brothers gibt es bereits. Weil das Produzieren hier so günstig ist, seien die Studios auch für ausländische Filmemacher interessant, sagt Studio-Sprecher Weidong Shi. Derzeit drehe hier ein kanadisches Team „Marco Polo“, sagt er stolz. Auch ein deutscher Regisseur sei gerade da gewesen. Den Namen kann er nicht aussprechen. Doch bei der Erwähnung von Volker Schlöndorff nickt er. Ein Redakteur der amerikanischen Filmzeitung „Hollywood Reporter“ hat Hengdian einmal Chinawood genannt. Das wird hier gern gehört.

Am Anfang der Hengdian Group stand 1975 eine Seiden-Fabrik, das erste Unternehmen in der Stadt überhaupt. Heute ist es ein Konglomerat aus 17 Firmen, das in sechs Branchen aktiv ist, unter anderem im Bereich Elektronik, Pharma und Chemie sowie eben im Filmgeschäft. Hier erwartet das Unternehmen hohe Wachstumsraten. Immerhin verfügt das Land allein über 1,3 Milliarden potenzielle Kinogänger. Dennoch, eine ganz normale Firma ist Hengdian nicht. Gerade hat das Unternehmen einen Themenpark zum „Langen Marsch“ eröffnet, dem zentralen Heldenmythos der Kommunistischen Partei Chinas, und plant den Bau weiterer historischer Themenparks – aus patriotischen Gründen, wie der Vize-Vorsitzende der Hengdian Federation, Shiyan Sun, erklärt. Den Einwurf, dass dies eine ungewöhnliche Motivation für ein gewinnorientiertes Unternehmen sei, quittiert er wütend mit: „Wir sind kein privates Unternehmen.“ Die Firma gehöre den Arbeitern, erklärt er.

Überall kann man den Widerspruch zwischen der Öffnung des Landes und der Allgegenwart der kommunistischen Partei spüren. Auch die Partei selbst lebt mit diesem Widerspruch: Der stellvertretende Chef des Provinzkomitees der Partei, Xia Baolong, verweist in seiner Begrüßungsansprache in der Provinzhauptstadt Hangzhou stolz auf das starke Wirtschaftswachstum. 13 Prozent pro Jahr habe das Bruttoinlandsprodukt Zhejiangs zwischen 1978 und 2005 im Schnitt zugelegt. Und: Bereits 70 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringe die Privatwirtschaft. Das Investitionsklima sei bestens, auch für ausländische Geldgeber. Nicht zuletzt hebt er aber den „humanistischen Geist“ hervor, der in der Prozinz herrsche. Schon in der alten Gesellschaft, sagt der Parteifunktionär, hätten die Menschen von Zhejiang die Ideen von Konfuzius mit ihrer Art, Geschäfte zu machen, gut verbinden können.

In der Stadt Yiwu im Zentrum der Provinz, 120 Kilometer von Hangzhou, geht das Geschäft eindeutig vor. Was 1982 als lokaler Markt begann, auf dem Bauern unter Bambusdächern auf Betonbänken Tauschhandel trieben, hat sich bis heute zu einem der größten Handelsplätze für Massenware entwickelt. Der größte Basar der Stadt mit einer Fläche von 2,6 Millionen Quadratmetern ist der International Trade Mart. In 58 000 kleinen Buden, verteilt über mehrere Stockwerke in einem 2,5 Kilometer langen Gebäudekomplex, bieten Händler mehr als 400 000 verschiedene Waren aus mehr als 43 Industrien an. Taschenlampen, Lautsprecher, Kosmetik, Monitore, Körbe, Geschirr, Elektroartikel, Modeschmuck und Haushaltswaren gehören dazu. Hier findet man die Mitbringsel vom kleinen Holzboot bis zur Kuckucksuhr, die von Südafrika bis Dänemark in den Souvenirläden der ganzen Welt verkauft werden. Natürlich alle „Made in China“. 200 000 Kunden kommen jeden Tag. 2005 lag der Umsatz bei 28,9 Milliarden Yuan.

Noch kaufen hier vor allem Koreaner ein, sagt einer der Manager des Marktes. Aber auch immer mehr europäische Firmen kämen inzwischen direkt hierher und verzichteten auf den Zwischenhandel. Er nennt die französische Supermarktkette Carrefour und die deutsche Metro. 65 Prozent der Händler in Yiwu exportieren ihre Waren in mehr als 212 Länder und Regionen der Welt. Jeden Tag füllen die Waren des Marktes im Hafen von Ningbo, dem zweitgrößten Hafen Chinas, 1000 Standardcontainer.

Und dennoch stellt die Regierung der Stadt mit dem Parteikomitee immer noch Fünfjahrespläne auf. Darin steht nicht nur das Ziel, die Reformen zu vertiefen und sich stärker der Welt hin zu öffnen, sondern auch eine neue sozialistische Umwelt zu formen und eine harmonische Gesellschaft zu schaffen.

Auch auf eines der wichtigsten Anliegen, das deutsche Unternehmer im Kopf haben, wenn sie an China denken – illegale Kopien ihrer Produkte – hat die örtliche Parteifunktionärin eine Antwort: „Wir nehmen den Schutz von Urheberrechten sehr ernst“, sagt sie. Man schicke jeden Tag Mitarbeiter durch die Gänge, die kopierte Waren ausfindig machen und aus dem Verkehr ziehen sollen. Wer Raubkopien anzeige, erhalte eine Belohnung von 300 000 Yuan. Zudem habe man ein Informationszentrum für internationale Marken eingerichtet, um Produktpiraterie besser bekämpfen zu können. „Bei so vielen Produkten ist eine lückenlose Kontrolle natürlich schwierig“, räumt sie ein. „Aber unsere Einstellung ist sehr strikt: Wen wir erwischen, dessen Gewinn behalten wir ein.“ Den Hinweis der Reporterin, sie habe mindestens zwei Raubkopien bei der Besichtigung des Marktes entdeckt, tut sie jedoch mit einem Lächeln ab. Es ist also eine Frage der Zeit, bis die weihnachtsliedersingende Kopie des Weltmeisterschaftsmaskottchens „Goleo“ in den Fanshops der Welt zu kaufen ist, oder der WM-Ball „Teamgeist Replique“, der garantiert nicht von Adidas stammt.

Zwei wichtige Dinge muss Chinas Wirtschaft erreichen. Daran arbeitet auch die Provinzregierung von Zhejiang: Das eine ist, die Industriestruktur zu verbessern und von der billigen Werkbank der Welt fortzukommen hin zu qualitativ hochwertigen Produkten. Und es geht darum, eigene Produkte zu entwickeln, weg vom „Made in Zheijang“ hin zu „Created in Zheijang“.

Gu Yin Zong ist gelungen, woran andere noch arbeiten. Bereits mit 16 Jahren hat er angefangen, Geschäfte zu machen. Er gründete die Zhejiang MengNa Knitting Company, die 1995 mit 78 Nähmaschinen und 132 Angestellten die Produktion begann. Heute beschäftigt das Unternehmen 5000 Mitarbeiter und ist mit einer Kapazität von 150 Millionen Paar im Jahr der größte Sockenproduzent des Landes. 2006 will das Unternehmen Socken im Wert von 60 Millionen Dollar exportieren – auch nach Deutschland.

Angesprochen auf die Textilquoten der EU und der USA wird Zong richtig wütend. „Mit der EU habe ich keine Probleme. Die kümmert sich nicht um Socken“, sagt er. Anders die USA: „Wir sollen ihre teuren Flugzeuge kaufen. Das kostet Arbeitsplätze in der chinesischen Luftfahrtindustrie“, schimpft er. „Aber Socken darf ich dort nicht verkaufen.“ Dabei sollten in der WTO doch alle Länder gleiche Chancen haben, fügt er hinzu.

Zongs Socken sind in China eine Marke. Doch er produziert auch für die US-Marke „Gold Toe“ und für Puma. Bloß die Puma-Socken darf er, anders als die Gold-Toe-Socken, nicht in seinem Showroom zeigen. Das wolle Puma nicht, sagt er. „Ich weiß nicht, warum.“

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