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Wirtschaft: Der leere Zug von Gotha nach Crawinkel (Kommentar)

Wenn es morgens um fünf draußen vor den Gartentoren tutet, dann wissen die Leute vom Kienberg, dass es Zeit wird aufzustehen. Denn gleich wird es rumpeln und pumpeln, und dann kommt der Zug von Gotha nach Crawinkel vorbei.

Wenn es morgens um fünf draußen vor den Gartentoren tutet, dann wissen die Leute vom Kienberg, dass es Zeit wird aufzustehen. Denn gleich wird es rumpeln und pumpeln, und dann kommt der Zug von Gotha nach Crawinkel vorbei.

Nicht, dass man nun seinen Morgenkaffee herunterstürzen muss, um den Zug am Bahnhof noch zu erwischen. Längst fährt hier jeder mit dem Auto zur Arbeit. Nur ganz selten gibt es jemanden, der in diesem Zug sitzt. Oft fährt nur ein einsamer Schaffner mit. Meistens tutet der Lokführer für sich ganz allein. Zur Fortbewegung also braucht man den Zug von Gotha nach Crawinkel schon lange nicht mehr.

Und doch ist diese Rumpelbahn für die Leute vom Kienberg wichtig. Dreißig Jahre fährt sie schon an den Gartentoren vorbei. Vielleicht auch fünfzig. Auf jeden Fall neigen die Älteren am Kienberg zuweilen ihre Köpfe zueinander und flüstern: "Weißt Du noch, wie wir uns damals zum ersten Mal in diesem Zug geküsst haben". "Denkst Du dran", feixen auch Jüngere, "wie uns der Lokfahrer mal verhauen hat, als wir auf den Gleisen standen und den Zug angehalten haben". Kein Zweifel: Wenn es den Zug von Gotha nach Crawinkel nicht mehr gäbe, den Leuten würde ein Stückchen Heimat fehlen.

Und so tutet es auch heute noch vor den Gartentoren der Leute vom Kienberg. Nicht nur morgens um kurz vor fünf. Pünktlich wie eine Uhr rumpelt und pumpelt der leere Zug später alle Stunde von Gotha nach Crawinkel und im gleichen Takt wieder leer zurück. Und erst wenn es dunkel wird am Kienberg, und die Turmuhr zur zehnten Stunde schlägt, dann tutet er zum letzten Mal. Und die Leute wissen, dass es jetzt Zeit ist schlafen zu gehen.

asi

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