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Wirtschaft: Der liebe Gott und das Geld

Religion ist für christliche Unternehmer mehr als ein ethischer Kompass. Viele sehen darin eine Hilfe, um im Betrieb Entscheidungen zu treffen

Michael Keppel trägt ein Kreuz um den Hals – es ist nur auf den ersten Blick nicht zu sehen. Denn es baumelt unter seinem weißen Hemd. Seinen Glauben versteckt der Katholik aber nicht. Ohne Scheu spricht er vom Heiligen Vater, der Audienz beim Papst oder der Wallfahrt nach Kevelaer. Keppel ist aber kein Kirchenmann. Er ist Manager, in seinem ganzen Auftreten, gut gekleidet und sehr beredt. Nur hin und wieder, wenn er über sich persönlich spricht, schiebt der 46-Jährige die Schultern nach vorn und seine schmalen Augen verraten einen Hauch von Schüchternheit.

Keppel ist seit Jahren auf das härteste Geschäft spezialisiert, das es für einen Manager gibt: die Sanierung von Unternehmen. Immer wieder hat er es mit Beinahe-Zusammenbrüchen, hin und wieder mit Betrugsfällen zu tun. Er war beim Stahlkonzern Klöckner & Co., der Drogeriekette „Ihr Platz“, der Geldtransportfirma Heros und im Pharma-Imperium der Familie Merckle im Einsatz. Und zwar nicht nur als feiner Berater, sondern als Geschäftsführer auf Zeit, der jeden Tag im Betrieb ist und auch die Kündigungen ausspricht. Bei „Ihr Platz“ allein waren es 800.

Keppel ist nur ein Beispiel für Unternehmer und Manager in Deutschland, die sich ausdrücklich als Christen bezeichnen. Hinter einigen bekannten Markennamen, zum Beispiel der Kleiderkette C&A und dem Schuheinzelhändler Deichmann, stehen Familien, die von der Religion geprägt sind und das im Alltag umsetzen wollen. Viele dieser Familien blicken auf eine lange, christliche Tradition zurück, andere haben den Glauben neu für sich entdeckt. Keppel kommt aus einer Unternehmerfamilie, zum Glauben fand der promovierte Betriebswirt erst während seines Studiums: Er befasste sich mit der Rolle der Kirche in der Friedensbewegung und nahm deshalb Kontakt zu dem Priester auf, der ihn getauft hatte. Ganz anders kam der Verleger Norman Rentrop zum Glauben: Er begann in einer Bibel zu lesen, die in einem Hotelzimmer auslag, und stellte fest: „Da bin ich gemeint!“ Außerdem begeisterte ihn der amerikanische Prediger Billy Graham.

Doch was unterscheidet christliche Manager und Unternehmer von anderen? Die meisten legen Wert auf eine persönliche, familiäre Atmosphäre im Betrieb, versuchen Kündigungen zu vermeiden, auch älteren Arbeitnehmern eine Chance zu geben, Unternehmensziele langfristig zu definieren. Manchmal ist das mit einer gewissen Distanz zu den großen Gewerkschaften verbunden: Bei C&A etwa hat Verdi keinen Einfluss, der Elektronikhersteller Pilz in Esslingen ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten, bei Rentrop gibt es gar keinen Betriebsrat.

All das trifft auch in den zahlreichen Familienunternehmen zu, die nicht ausdrücklich christlich geprägt sind. Man kann gute Führung auch rein wirtschaftlich begründen. Wie etwa der evangelische Unternehmer Manfred Diederichs, der in Remscheid ein Stahl-Unternehmen mit jahrhundertealter Tradition führt: „Ich bin auf meine Mitarbeiter angewiesen, deswegen versuche ich, sie gut zu behandeln und zu halten.“ Auch Keppel kann seine wichtigsten Geschäftsprinzipien rational erklären: „Nachhaltig sind Problemlösungen nur, wenn alle Beteiligten einigermaßen damit leben können“, sagt er. „Kündigungen sind der allerletzte Schritt. Sie zerstören die Unternehmenskultur, die man beim Wiederaufbau braucht.“

Religion stärkt also Ethik, ist aber keine zwingende Voraussetzung. Doch Religion ist auch mehr als Ethik. Der Sanierer Keppel betet oft, vor allem vor schwierigen Entscheidungen. Keppel sagt: „Ich bete auch für die Mitarbeiter, die von harten Entscheidungen betroffen sind.“ Beten heißt für ihn Reflexion, sich klar werden über sich selbst: „Man muss den Mut haben, für einen Moment buchstäblich die Hände in den Schoß zu legen.“ Die Intuition für die Situation und für die beteiligten Personen schärfen; das ist letztlich auch eine wirtschaftliche Ressource. Abstand gewinnen zur Hetze des Alltags. Und man merkt Keppels flinken Augen, seinen schnellen Gesten und seinem unaufhörlichen Redefluss an, dass die Hetze nicht im Sakko stecken bleibt. Die Verantwortung drückt; er sagt: „Sanierer sind keine Helden.“

Renate Pilz ist ein anderer Typ als Keppel – sie wirkt ausgeglichen, ihre Gesten sind gemessen, nur hin und wieder energisch, wenn sie von den Zielen ihres Unternehmens spricht, das elektronische Sicherungssysteme in mehreren europäischen Ländern herstellt und weltweit verkauft. Sie ist dezent gekleidet, nur die eckigen Ohrringe aus gelb-orangenen Halbedelsteinen fallen auf. „Erst habe ich mich gar nicht getraut, die zu tragen – bis ich gesehen habe, dass die zu unserem Firmenlogo passen“, sagt sie.

Ein Kreuz hängt in dem kleinen Büro, das sie mit Sohn und Tochter teilt, mit denen zusammen sie das Unternehmen führt. Daneben Fotos von einer Papst-Audienz und bunte Zeichnungen, die Kinder der Mitarbeiter für sie gemalt haben. Auch sie betet häufig vor geschäftlichen Entscheidungen. Nicht dafür, dass der Umsatz steigt. Sondern, ähnlich wie Keppel, als Form der Besinnung: „Das öffnet mich für andere Wahrheiten, für die Standpunkte anderer Menschen.“ Dabei sind ihr die Zahlen sehr wichtig. „Zum Glück läuft es wieder gut nach der Krise“, sagt sie, auch aus Sorge um die Arbeitsplätze. Pilz lebt ihren Glauben im Betrieb und in der Öffentlichkeit zurückhaltend: „Ich trage das nicht vor mir her.“

Ganz anders der Verleger Norman Rentrop, der seine religiösen Vorträge ins Internet stellt und gerne über seinen Glauben redet. „Ich kann Gott dienen, indem ich Brötchen backe, als Chauffeur arbeite oder eben als Verleger“, erklärt der Bonner mit rheinischen Akzent. Er hat keine Berührungsängste: Sein Verlag ist spezialisiert auf alle möglichen Ratgeber, bei denen es ums Geld geht. Seine durchschlagende Geschäftsidee war eine Zeitschrift über Geschäftsideen. Er verehrt den US-Milliardär Warren Buffett – und dessen Devise: Ein Unternehmer soll seine Aufgabe lieben, nicht das Geld. „Die meisten Unternehmer sind keine Profitmaximierer“, sagt er, „sonst würden sie doch nur in Prostitution und Drogenhandel investieren.“ In seinem eigenen Betrieb hält Rentrop eine gute Bezahlung für wichtig, nimmt aber für sich nicht in Anspruch, seine Mitarbeiter besonders „christlich“ zu behandeln: „Wir sind doch ohnehin alle Sünder und auf Gottes Gnade angewiesen.“

Rentrop engagiert sich im Kuratorium der Bewegung Pro Christ, in dem sich auch Unternehmer wie Heinz-Horst Deichmann, Alexander Graf zu Castell-Castell und Friedhelm Loh, der Präsident des Elektronikverbands ZVEI, finden. Pro Christ veranstaltet Mega-Events im Stil der amerikanischen Evangelikalen mit Tausenden von Teilnehmern. In den Leitlinien heißt es: „Wir beten kontinuierlich, damit wir erkennen, welche Wege und Methoden wir wählen sollen.“ Auch hier gibt es keine Berührungsangst gegenüber Geld: „Pro Christ for business“ wirbt dafür, Geschäftsfreunde mit Jesus bekannt zu machen, und schlägt dazu Veranstaltungen in edler Atmosphäre vor, die Beispiele: „Bentley-Salon, Ferrari-Halle, Edel-Werkstatt, Oldtimer-Ausstellung“.

Christliche Unternehmer sind also dem irdischen Reichtum keineswegs abgeneigt. Trotzdem spielt für einen religiösen Menschen auch das Jenseits eine wichtige Rolle. Die entscheidende Frage lautet daher: Werde ich dereinst für mein Engagement hier auf Erden belohnt?

Der Sanierer Keppel lächelt da ganz entspannt: „Keine Ahnung, das überlasse ich dem da.“ Und sein Blick geht nach oben. (HB)

Frank Wiebe

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