zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der Lufthansa fehlt der Nachwuchs - Nur fünf Prozent bestehen den Eingangstest

Tina Turnheim verhält sich so wie die Piloten der großen Lufthansa (LH)-Jets. Im grauen Overall mit dem Lufthansa-Emblem auf dem Rücken nimmt sie das kleine, einmotorige Flugzeug vom Typ Beech Bonanza genau unter die Lupe.

Tina Turnheim verhält sich so wie die Piloten der großen Lufthansa (LH)-Jets. Im grauen Overall mit dem Lufthansa-Emblem auf dem Rücken nimmt sie das kleine, einmotorige Flugzeug vom Typ Beech Bonanza genau unter die Lupe. Prüft Landeklappen, Beschaffenheit des Benzins, checkt den Ölstand des Motors. Sicherheit geht über alles. Seit einem Jahr lernt die 22-Jährige an der LH-Flugschule in Bremen und in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona Fliegen. Tina Turnheim will sich ihren Traum erfüllen und Pilotin werden. Heute steht gemeinsam mit Fluglehrer Tom Starr ihr fünfter Übungsflug auf der Bonanza auf dem Programm. Das Wetter ist ideal, kaum Wolken über dem Wüstenhimmel des Goodyear-Airports in Phoenix. Seit 30 Jahren hat der US-Ableger der LH-Flugschule hier seinen Sitz. 360 Tage Sonnenschein im Jahr machen die Gegend zu einer idealen Region für das Flugtraining. Tina Turnheim schwingt sich auf den linken Sitz im Cockpit. Die Instrumente, angeordnet wie in einer Boing oder einem Airbus, werden geprüft, die Checkliste Punkt für Punkt abgehakt. Ein letzter Blick auf die beiden Passagiere. Die junge Frau startet den Motor, das Flugzeug rollt zur Landebahn.

Die 22-Jährige ist eine von derzeit rund 250 jungen Leuten, die sich bei der LH ihren Traum vom Fliegen verwirklichen wollen. Ihren Job als Pilot haben die Frauen und Männer so gut wie sicher. Die strenge Vorauswahl sorgt dafür, dass praktisch jeder die anspruchsvolle Ausbildung packt. Über zwei Jahre dauert es, bis die jungen Leute als Copilot in einer Boing 737 oder in einem Airbus A 320 Platz nehmen können. Die LH braucht Piloten, um aus Altersgründen ausscheidende Flugzeugführer zu ersetzen. Vor allem aber, um am Wachstum der Branche teilhaben zu können. Um fünf Prozent pro Jahr wird der weltweite Flugverkehr in den nächsten Jahren zulegen, sagen Experten. Piloten sind wieder knapp, wie Jürgen Raps, Chefpilot der LH gesteht. Die rund 4600 Flugzeugführer der Airline sind mehr als ausgelastet. 1999 konnten statt der erforderlichen 240 nur 187 frische Pilotinnen und Piloten gewonnen werden. Die Lücken werden gestopft, in dem LH ihren Flugzeugführern nach Absprache mit den Gewerkschaften in diesem Jahr rund 8000 Urlaubstage abkauft. 19 000 junge Menschen bekundeten im letzten Jahr Interesse an einer Ausbildung zum Verkehrspiloten. Aber nur 3500 bewarben sich tatsächlich an der LH-Flugschule. Nur etwa fünf Prozent bestehen den Eingangstest. Spitzenkönner sucht die LH nicht. "Es geht uns um den guten Durchschnitt", sagt Raps. "Vor allem um Menschen, die im Team arbeiten können. Das ist ein entscheidender Faktor im Cockpit." Und für die Sicherheit einer Airline. 100 Millionen Mark steckt LH jedes Jahr in die Aus- und Fortbildung ihrer Piloten.

Längst hat der Traumberuf Pilot seinen Mythos verloren, Fliegen ist heute Alltag. Andere Berufe sind auch attraktiv. Vielleicht hat es auch mit den Gehältern zu tun. Mit rund 5200 Mark pro Monat fängt ein Pilot bei der LH an, rund 23 300 DM bekommt er nach frühestens zehn Jahren als Kapitän auf einem Jumbo. Die LH sieht sich damit im Vergleich zu anderen großen Airlines im guten Mittelfeld. Für Rolf Kiess, Schulchef in Bremen und selbst Jumbo-Pilot, ist sein Job heute gleichwohl noch mehr als früher ein Traum: "Der Beruf ist noch anspruchsvoller als früher. Cockpits werden immer komplexer, dazu kommen Management-Aufgaben und nicht zuletzt der verantwortungsvolle Umgang mit Menschen." Die Ausbildung müssen die Schüler selbst finanzieren und 80 000 Mark zurückzahlen, wenn sie später als Pilot im Cockpit sitzen. "Ein Medizinstudium", sagt einer, "ist auch nicht billiger."

Tina Turnheim denkt kaum an ihr späteres Gehalt. Wer den Sprung an die Schule geschafft hat, sieht seinen Traum verwirklicht, sinniert in den schwierigen Theoriestunden darüber, seinen Kaffee bald im Cockpit in 30 000 Fuß trinken zu können. Fliegen kann die 22-Jährige zwar schon, aber zum Kaffeetrinken hoch in der Luft hat sie längst noch keine Muße. Der Kontrollturm erteilt die Startfreigabe für die Bonanza mit der Nummer 8173 Charly. Nach rund 300 Metern hebt sie ab. Orientierungsflug ist heute die Aufgabe. An Straßen, Flüssen, Bergen oder anderen Punkten soll sich die Flugschülerin ausrichten. Die Flugroute hat sie selbst festgelegt, sich die Wetterdaten geholt. So wie sie das später tun wird, wenn sie große Passagierjets fliegen wird. Die LH legt von Anfang an Wert auf standardisierte Abläufe. Das fördert die Sicherheit im Cockpit. Nicht nur um die Orientierung muss sich die 22-Jährige heute kümmern. Auch um den Funkverkehr mit dem Kontrollturm des internationalen Flughafens Phoenix Sky Harbor. Das ist viel für jemand, der noch nicht oft am Steuerknüppel saß. Der Fluglehrer muss helfen. Es bleibt die Ausnahme auf diesem Flug; acht Monate Theorie in Bremen mit 1250 Stunden und intensives Training in den Simulatoren an der Weser und in Phoenix zahlen sich aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false